Bilder getöteteter Erzfeinde:Das Antlitz des Todes

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Die Moderne hat zwar das Sterben verdrängt, bringt aber ständig Bilder von Toten in Umlauf. Warum selbst Hochzivilisationen noch den Drang kennen, die Bilder ihrer getöteten Erzfeinde zu zeigen - und der Tote nach dem Foto unauffindbar verschwinden muss.

Bernd Graff

Eine der Thesen zur jüngeren Moderne, die sich am hartnäckigsten hält, stammt von Walter Benjamin und sie lautet: Der unbewusste Hauptzweck der bürgerlichen Gesellschaft sei es gewesen, den modernen Menschen die Möglichkeit zu verschaffen, sich dem Anblick von Tod und Sterben zu entziehen.

Der Tote auf dem Bild ist nicht der tote Bin Laden - doch dem aufgeklärten Bewusstsein ist nicht jederzeit bewusst, dass Bilder manipuliert werden können, sei es durch Retusche, Montage, Inszenierung oder digital am Computer. (Foto: AFP)

"Heute", schreibt Benjamin in seinen Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows, "sind die Bürger in Räumen, welche rein vom Sterben geblieben sind, Trockenwohner der Ewigkeit, und sie werden, wenn es mit ihnen zu Ende geht, von den Erben in Sanatorien oder in Krankenhäusern verstaut."

Sterben aber sei einstmals ein öffentlicher Vorgang gewesen ("Man denke an die Bilder des Mittelalters, auf denen das Sterbebett sich in einen Thron verwandelt hat, dem durch weitgeöffnete Türen des Sterbehauses das Volk sich entgegen drängt"). Nun werde es im Verlauf der Neuzeit aus der Merkwelt der Lebenden immer weiter herausgedrängt.

Insofern, sollte diese These ihre Berechtigung haben, muss gefragt werden, warum die späte Moderne mit ihren "Trockenwohnern der Ewigkeit" zwar das Sterben verdrängt, aber ständig Bilder von Toten in Umlauf bringt. Und sogar drängend nach dem Bild gewisser Toter verlangt. Warum also muss in den Nachrichtenagenturen das Bild einer bärtigen, entstellten Leiche alsbald der Nachricht folgen, dass Osama bin Laden von US-Spezialeinheiten getötet worden sei?

Die Feststellung ist nicht neu, dass auch die Hochzivilisationen der Gegenwart ein archaisches Erbe weiter pflegen: Es ist die mitunter triumphal inszenierte Präsentation der Leichen von deklarierten Erzfeinden. Man erinnert sich an die in Mailand kopfüber aufgehängten Leichen Benito Mussolinis und Clara Petaccis vom Mai 1945.

Es gibt die Dokumentation von Leichen der 1946 Gehenkten der Nürnberger Prozesse, auch das Bild der Leiche Hermann Görings, der sich der Hinrichtung durch Selbstmord entzog. Man erinnert sich an die Präsentation der Leiche Che Guevaras, die 1967 wie eine Jägerstrecke gleich von mehreren bewaffneten Häschern umringt inszeniert wurde. Es gibt ein Video der Erschießung Nicolae Ceausescus und seiner Frau Elenas und Bilder aus dem Jahr 1989. Dokumentiert sind die sterblichen Überreste Pol Pots aus dem Jahr 1998 wie die kugeldurchsiebte Leiche des afrikanischen Unita-Rebellen Jonas Savimbi aus dem Jahr 2002. Und selbstverständlich hat man die Bilder der Exekution von Saddam Hussein im Dezember 2006 noch im Gedächtnis.

Welche Rolle spielen diese Bilder für die mentale und kollektiv-psychische Hygiene von Hochzivilisationen? Warum muss - und zwar muss!, - man den Tod und die Toten zeigen, wenn die Leichen den Feinden der Zivilisation, der Demokratie, der eigenen Kultur gehören? Und will ihnen anschließend - andererseits - auf keinen Fall ein Grab geben.

Denn es ist ja auch so: Man will einerseits ihre Leichen zeigen und sehen. Aber man will ihnen keinen Ort geben, an dem man sie anschließend vermuten muss. Nach dem Foto muss der Tote unauffindbar verschwinden. Und zwar schnellstmöglich.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum man Bilder der Getöteten zeigt und ihre Leichen nicht sofort verschwinden lässt.

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Bezeichnend ist, dass man Bin Ladens Leiche zwar bereits Stunden nach der Tötung auf See bestattet habe, angeblich "im Einklang mit islamischen Praktiken und islamischer Tradition", wie ein US-Regierungsbeamter erklärte. Allerdings hielt man sich nur daran, den Toten islamischem Gebot gemäß innerhalb von 24 Stunden nach dem Tod beizusetzen. Die US-Behörden hielten sich aber nicht daran, dass nach islamischem Ritus Tote nicht auf See bestattet werden sollen - unauffindbar für alle Zeit.

Triumphal inszenierte Präsentation der Leichen von deklarierten Erzfeinden: Man erinnert sich an die in Mailand kopfüber aufgehängten Leichen Benito Mussolinis und Clara Petaccis vom Mai 1945. (Foto: picture alliance /)

Die Totenkulte der drei großen Religionen, Christentum, Judentum und Islam, sehen dafür die Beisetzung in einem Erdgrab vor. Denn das Bewusstsein, dass die Toten unter uns bleiben, ist gebunden an die Vorstellung, dass ihre Identität und Seele weiterhin im Grab einen unverrückbaren, dauerhaften Ort besitzen. Einen, den Angehörige kennen und aufsuchen können, einen, der kultisch Tod, Leben und die Hoffnung auf Weiterleben miteinander verknüpft. Denn die Grabstätte symbolisiert im Leben, dem Tod und dem Boden, aus dem wächst, dass Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ihren paradigmatischen Ausdruck finden. Daraus beziehen Gläubige aller Religionen seit je Hoffnung.

So paradox es klingen mag: Gräber bedeuten, dass es weitergeht. Und genau diese Kette der Zeiten und der Hoffnung will man mit der Geheimhaltung des Bestattungsortes von mutmaßlichen Terroristen- und Diktatorenleichen abreißen lassen. Darum dürfen, schon, um einer kultischen Märtyrer- und Mythenbildung vorzubeugen, für sie keine Wallfahrtsorte entstehen.

Dass man nun Bilder der Getöteten zeigt und ihre Leichen nicht sofort verschwinden lässt, hat vorrangig den Grund, einen Beweis anzutreten. Die Nachricht vom Tod eines Feindes fällt bilderlos in den Bereich jener Neuigkeiten, die Benjamin in dem genannten Essay Information nennt. Für ihn hat "Information ihren Lohn mit dem Augenblick dahin, in dem sie neu war. Sie lebt nur in diesem Augenblick, sie muss sich gänzlich an ihn ausliefern und, ohne Zeit zu verlieren, sich ihm erklären."

Der Bilderbeweis dagegen will belegen, dass eine Information nicht bloße Propaganda war. Dass tatsächlich sichtbar ist, was andernfalls als nur behauptet diffamiert werden könnte. Darum also die anti-propagandistische Zeugenschaft des Bildes.

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Die Sichtbarmachung des Toten will in aufgeklärten Zivilisationen auch jedem möglichen Spuk und Geisterwesen vorbeugen, dem Glauben an Wiedergängertum und dem Zweifel an der Unumkehrbarkeit der Todes. "Thou'lt come no more. Never, never, never, never, never!", heißt es bei Shakespeares "King Lear".

Dennoch spielen die Bilder der zu Tode Gestellten noch in einem anderen Kontext eine Rolle. Sie sind Instrumente in dem, was man "Information War" nennt, einem Krieg, der nicht über Sprache, sondern über die Macht und Widermacht von Bildern geführt wird.

Eines der furchtbarsten und brutalsten Ereignisse unseres Jahrtausends waren die Terroranschläge auf die Zwillingstürme des New Yorker World Trade Center vom 11. September 2001. In der Erinnerung an diese Anschläge sind nicht die Live-Kommentare, nicht die anschließenden klugen Analysen und Kommentare geblieben, sondern die pure Gewalt der damals akuten Bilder: Die einfliegenden Flugzeuge, die Explosionen, die einstürzenden Türme. Denn unsere Wahrnehmung von Realität - der Realität der Medien, der Politik, des Krieges wie der Wissenschaften - hat in den letzten Jahrzehnten eine dramatische Änderung erfahren.

Galten Bilder zuvor als Begleitphänomene von Wirklichkeit, als Abbilder von etwas, das mit Sprache erfasst werden konnte und nur in Sprache erst als Politik, Krieg, Medium und Wissenschaft real war, so haben sich die kognitiven Gewichte für unsere Wahrnehmung von Realität zugunsten des vermeintlich authentischen Bildes verschoben. Wir leben zuerst in ikonographischen, nicht mehr primär in intellektuellen Zeiten.

"Damit", so der Kunsthistoriker Horst Bredekamp in seinem Buch "Theorie des Bildakts", "verschärft sich ein lange eingeschliffener Konflikt über den Status der Bilder. Er resultiert aus dem Widerspruch zwischen der Annahme, dass Erkenntnis erst dann fundiert ist, wenn sie das Feld des Sinnlichen und Visuellen verlassen habe, und der Überzeugung, dass Bilder nicht nur das Denken formen, sondern auch das Empfinden und Handeln hervorbringen."

Ein Zwiespalt, der dadurch keineswegs nivelliert wird, dass dem aufgeklärten Bewusstsein jederzeit auch "bewusst" ist, dass Bilder manipuliert, ja allererst hergestellt werden können, sei es durch Retusche, Montage, Inszenierung oder digital am Computer.

Bilder haben eine solch immense Verführungs- und Suggestivkraft, dass genau die Hochkulturen, die danach lechzen, sie entweder verharmlosen, um sich ihrer Macht zu entledigen, oder sie dramatisch dämonisieren, weil man ihnen eben alles und nichts zutraut.

Insofern steht das sich nach der Todesmeldung über den Globus verbreitende Bild einer grässlich entstellten Männerleiche, die angeblich den getöteten Bin Laden zeigen sollte, sofort an der Speerspitze mehrerer Diskurse:

Es ist eingebaut in die Ikonographie des 11. September, die erst damit ihr finales Bild erhalten sollte. Der getötete Urheber, die mutmaßliche Sichtbarkeit seines Todes, hätten jetzt erst symbolisch den Terrorakt von New York beenden können.

Denn dem Kunstwissenschaftler Hans Belting zufolge hat dieser Wille zum Bild des Toten kompensatorische Gründe: "In Wirklichkeit ersetzen wir die Bilder, die wir nicht ertragen, durch Bilder, die wir aushalten. Ständig bekommen wir Tote zu Gesicht, damit wir uns nicht vor dem Sterben 'zu Tode' fürchten müssen."

Andererseits belegt die Tatsache, dass der Tote auf dem Bild nicht der tote Bin Laden war, dass man Bildern und ihren Zuschreibungen nicht trauen mag. Und letztlich beweist die Meldung, dass die CIA dennoch Bilder des getöteten Bin Laden besitze, nichts, sondern belegt nur, dass man ihr immer noch nicht recht glaubt - bis man die Bilder gesehen hat.

© SZ vom 03.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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