Zukunft des Kinos:Die größte Show der Erde

Kino daheim

Illustration: Stefan Dimitrov

Auf der Filmtheatermesse in Las Vegas rufen die Verteidiger der großen Leinwand zum Widerstand auf - gegen Sean Parker und seine Idee von der Kinopremiere im Wohnzimmer.

Von Susan Vahabzadeh

Einmal im Jahr halten die amerikanischen Filmtheaterbetreiber in Las Vegas ihr Branchentreffen ab, die CinemaCon - und diesmal ging es wirklich ums Überleben. Das Reizwort in aller Munde: "Screening Room". Das Start-up des Internet-Visionärs Sean Parker (Napster, Facebook), das Kinofilme über ein eigenes, hochgesichertes High-Definition-System ins heimische Wohnzimmer streamen will, zeitgleich mit der Premiere in den Filmtheatern, erregt die Gemüter - obwohl es sich, mit der Anschaffung einer teuren Set-Top-Box und einem Preis von 50 Dollar pro Film, zunächst nur an eine innovationsfreudige Elite richten würde.

Dass Parker bei diesen Plänen prominente Fürsprecher hat, die auch Anteile an "Screening Room" besitzen - darunter Steven Spielberg und Peter Jackson ("Herr der Ringe") - ist bereits viel diskutiert worden. Jetzt aber, vor einem Publikum, das für eine stolze Tradition der öffentlichen Zurschaustellung von Filmen steht, formierte sich der Widerstand. Zum Beispiel von James Cameron: "Gemeinsam werden wir dafür sorgen, dass unsere Industrie die größte Show der Erde bleibt", verkündete er bei der Präsentation der 20th Century Fox im vollbesetzten Saal des Colosseum. "Es ist essenziell, dass Filme bei ihrem Start exklusiv in Filmtheatern laufen." Wichtig sei das Gemeinschaftserlebnis vor der Kinoleinwand, und: "Unser Job ist es, Filme zu machen, die auf dieser Leinwand am besten laufen." Anschließend kündigte er an, dass es von seinem Riesenspektakel "Avatar" nicht nur drei, sondern sogar vier Fortsetzungen geben wird.

Ähnlich schicksalhaft ums Kino besorgt klang auch der Däne Nicholas Winding Refn - und das sogar, obwohl er für die Amazon Studios im Einsatz war, die neue Filmsparte des Shopping- und Streaming-Giganten, die seinen neuen Film "The Neon Demon" finanziert: "Manchmal klingen Menschen eindrucksvoll, die von der Zukunft reden, aber das Kino wird es immer geben", sagte er - und erinnerte die Kinobetreiber daran, was sie bitte nie vergessen sollen: "Ihr zeigt nicht nur großartige Filme - ihr verschafft uns ein Erlebnis, das wir für den Rest unseres Lebens nicht mehr vergessen werden." Unter anderen reihten sich auch "Batman"-Regisseur Christopher Nolan, Todd Philipps, der "Hangover" gemacht hat, und Brett Ratner ("Rush Hour") in die Riege der "Screening Room"-Kritiker ein.

Die Überlegung allerdings, dass etwas passieren muss, bevor eine Generation von Internet-Nutzern herangewachsen ist, die mit Kino gar nichts mehr anfangen kann, ist nicht ganz abwegig. Sean Parker will nach eigener Aussage verhindern, dass es der Filmindustrie geht wie der Musikbranche, die von der digitalen Evolution quasi überrannt wurde.

Und neben Spielberg und Peter Jackson gibt es weitere Filmemacher, die das sinnvoll finden, "Star Wars"-Regisseur J.J. Abrams etwa: "Wir erleben derzeit einen Umbruch. Ich liebe nichts mehr als ins Kino zu gehen. So soll es bleiben", sagt Abrams in Las Vegas. "Aber ich weiß auch, dass ich drei Kinder habe und es seit ungefähr zwölf Jahren nicht mehr geschafft habe, einen Film am Starttag im Kino zu sehen." Die Industrie, heißt das, muss sich ans digitale Zeitalter anpassen.

Die "Screening Room"-Befürworter sind sogar überzeugt, der neue Service würde der Theaterauswertung von Filmen gar nicht schaden. Weil die Filmtheater-Betreiber am Profit beteiligt werden sollen, damit sie das exklusive Zeitfenster aufgeben, in der Filme ausschließlich im Kino zu sehen sind. Zumindest legal - die großen Blockbuster geistern meist schon als Raubkopie durchs Internet, sobald sie irgendwo gezeigt wurden. Die "Screening-Room"-Aktivisten glauben dagegen, der Piraterei sei beizukommen - das ginge, sagte Peter Jackson dem Hollywood Reporter: Eine Art Wasserzeichen soll nachweisen können, aus welchem "Screening-Room"-Wohnzimmer eine Datei verbotenerweise im Netz gelandet ist - was etwas kühn klingt, wenn man bedenkt, wie perfekt die Möglichkeiten zu Hause sind, einen aktuellen Blockbuster in Ruhe noch einmal abzufilmen. Aber, so Jackson: "Screening Room" richte sich ja an die Millionen und Abermillionen Menschen, die derzeit gar nicht ins Kino gehen.

Zehn kleine Mädchen in Pyjamas, und "Frozen 2" als Party zum Starttag - das kostet Einnahmen

Lässt man sich einmal auf die Idee ein, bleiben dennoch genug Probleme - etwa der Preis. 50 Dollar pro Film, so die Idee, sind immer noch weniger als die Kosten, die ein junges Paar mit Kindern hat, das für einen Kinobesuch nicht nur Eintritt und Popcorn, sondern auch noch einen Babysitter bezahlen muss. Und wer sich ein paar Freunde einlädt, kommt günstiger weg - schon zu fünft wäre der Eintritt ins Filmtheater teurer. Hier setzten die Kritiker aus der Branche an, die den Preis noch viel zu niedrig finden: "50 Dollar sind zu wenig, es wird Kannibalisierung geben, besonders bei Familienunterhaltung", sagt beispielsweise der Analyst Eric Handler in Variety. Es sei selbstverständlich mit Gewinneinbußen bei der Kinoauswertung zu rechnen, wenn "sich zehn kleine Mädchen bei einer Pyjamaparty ,Frozen 2' ansehen statt im Kino".

Andererseits wurde bei der Konferenz in Las Vegas eine erste Studie vorgestellt, die mit 1200 Befragten untersucht hat, wie viel Geld die Menschen für eine Kinopremiere im eigenen Wohnzimmer ausgeben würden. "Screening Room" wurde dabei nicht genannt, aber die Ergebnisse sind doch bezeichnend - die Mehrheit der Befragten würde nicht mehr als 35 Dollar pro Film ausgeben. Mit anderen Worten: 50 Dollar sind den Kunden zu viel - und der Industrie zu wenig.

Sollten all diese Probleme gelöst werden und "Screening Room" sich auf eine Weise etablieren, die der Filmindustrie tatsächlich keine Einnahmen wegnimmt - dann bleibt immer noch die Frage, wie diese neue Präsentationsform auf Regisseure, Kameraleute und Setdesigner zurückwirken wird. Bisher haben sie, gerade bei den teuren Prestigeprojekten, gern die größtmögliche Leinwand mitgedacht - so wie James Cameron es dramatisch fordert. Was aber, wenn die größtmögliche Leinwand gar nicht mehr der Standard der Betrachtung ist? Das sind nicht unbedingt die Fragen, die in Filmstudios brennend interessieren werden, solange die Kasse stimmt. Es sind schon die Filmemacher selbst, die sich darum kümmern müssen.

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