Zu Besuch bei den "Simpsons":Legende in Dottergelb

Die "Simpsons" werden 20 Jahre alt - nun kommt der Film zur vielleicht größten Kulturleistung des 20. Jahrhunderts ins Kino. Ein Besuch bei "Simpsons"-Erfinder Matt Groening in Los Angeles.

Tobias Kniebe

Los Angeles, ein schöner Tag Ende März. Homer Groening wird heute achtzehn Jahre alt. Ein wichtiger Einschnitt in seinem jungen Leben - und Anlass für seinen Vater Matt Groening, 53, an Homers Kindheit zurückzudenken.

Simpsons Film Serie Comic

Die "Simpsons" - eine amerikanische Vorzeigefamilie.

(Foto: Foto: Reuters)

"Schon mein Vater hieß Homer", sagt Groening, blickt gedankenverloren in die Ferne und fährt sich durchs lange graue Haar.

"Nach ihm habe ich meinen Erstgeborenen benannt, und ich bedauere es nicht. Aber natürlich gab es Probleme." Das Hauptproblem war, dass Matt Groening zwei Jahre vor der Geburt seines Sohnes die "Simpsons" erfunden hatte.

Als es darum ging, ihnen Namen zu geben, bediente er sich ebenfalls aus dem Fundus der Familie. "Es wurde dann ziemlich grauenvoll", erinnert er sich. "Wo immer ich mit dem Kleinen hinkam, sagt ich: Das ist Homer. Die Menschen prusteten los. Dann erstarrten sie vor Schreck, weil sie merkten, dass ich es ernst meinte. Heute ist es so: Mein Achtzehnjähriger schämt sich nicht für seinen Namen. Aber er benutzt ihn leider auch seit Jahren nicht mehr."

Das Schicksal des Homer Groening Jr. ist durchaus nicht das einzige, das von der Erfindung der "Simpsons" berührt wurde. Matt Groening, ein freundlicher Späthippie und Zottelbär, der bis dahin nur als Cartoonist alternativer Stadtzeitungen aufgefallen war, wurde, wie so viele Späthippies, reich, im Universum seines sehr speziellen Reichtums aber tummeln sich höchstens noch die etwas älteren Herren von Pink Floyd oder etwa Paul McCartney und George Lucas.

Pamela Anderson als Tarnung

Fernsehsender, Verlagshäuser und Merchandisingfirmen verdienten Milliarden mit der Familie; zwei Generationen der klügsten und lustigsten Schreiber Amerikas fanden eine Lebensaufgabe darin, immer neue Gags zu schreiben; und nicht zuletzt schenkten die "Simpsons" einer unüberschaubaren Zahl von Jüngern in vierzig Ländern und 400 Folgen (am Ende der aktuellen Staffel) eine unüberschaubare Menge echter Glücksmomente.

Das alles könnte, zusammengenommen, der Anlass für eine große, ja existentielle Lässigkeit in der Schaltzentrale des "Simpsons"-Imperiums sein. Davon ist an diesem schönen Märztag allerdings nichts zu spüren. Es sind nämlich exakt nur noch 126 Tage, 4 Stunden, 59 Minuten und 12 Sekunden bis zum "Simpsons"-Film. So steht es, in dem Moment, als wir darauf schauen, auf einer Countdown-Tafel in einer heißen Holzbaracke auf dem Gelände der Fox-Studios.

Draußen behauptet ein Schild, hier würde die Show "Stacked" mit Pamela Anderson produziert. "Stacked" heißt so viel wie: gut bestückt. Großzügig ausgestattet. Holz vor der Hütte. Es dient, wozu sonst, der Geheimhaltung.

Im zweiten Teil: Welche Fragen im Produktionsstudio erlaubt sind und welche nicht.

Legende in Dottergelb

Drinnen sitzen konzentrierte junge Menschen vor großen Graphikbildschirmen und digitalen Zeichentabletts und zeichnen "Simpsons"-Linien: Homers Bauch, Barts Haare, Maggies Schnuller. Es ist die "Baracke der letzten Änderungen", und letzte Änderungen wird es noch viele geben, bis wenige Tage vor dem Filmstart am 27. Juli.

Nebenan ist die "Baracke der besseren Gags". Dort sitzen bis zu fünfzehn "Simpsons"-Schreiber, unter ihnen Matt Groening selbst, und stellen sich tagein tagaus dieselbe Frage: Wie kann der bisher nur akzeptable Gag auf Seite X in einen wirklich brillanten, völlig unerwarteten, zum Haareraufen komischen - und also: guten - Gag verwandelt werden? Nicht immer gibt es eine Antwort. Aber oft eben doch.

Die verbotenen Fragen

Hier muss nun die Frage gestellt werden, was mit den "Simpsons" nach zwanzig Jahren voller Streiche, Missgeschicke und Peinlichkeiten, in denen sie wundersamerweise keinen Tag gealtert sind, Großes passieren soll, das sich nicht mehr in einer Fernsehfolge erzählen lässt? Was hat sich zugetragen im "Simpsons"-Universum, das anderthalb Stunden auf der ganz großen Leinwand erfordern würde, und zwar im Cinemascope-Format?

Leider eine verbotene Frage! "Das müssen Sie, fürchte ich, schon selbst herausfinden", lautet die Antwort in verschiedenen Variationen. Und der zehnminütige Clip, der dem Besucher zur Einstimmung gezeigt wird, soll dabei natürlich auch nicht weiterhelfen. Da sieht man im Wesentlichen eine einleitende Slapstick-Sequenz: Bart und Homer auf dem Dach des Hauses, Bart in den Straßen von Springfield. Deutlich aufwendiger und opulenter animiert als die Serie, aber das kann natürlich nicht alles sein. Tolle Animation war bei den "Simpsons" noch nie der Punkt.

Der Film ist noch "Top Secret"

Man bleibt, wenn es um das Geheimnis des Kinofilms geht, auf die Trailer angewiesen - wo besonders der dritte, der vom Studio schnell wieder zurückgezogen wurde, schon einiges andeutet. Dort sieht man zum Beispiel einen Blick aus dem Weltraum, in dem alle Atomraketen der USA gleichzeitig zünden. Man sieht einen Schatten, der der Schatten eines riesigen Raumschiffs sein könnte, der den Himmel über Springfield verdunkelt und die Menschen in Panik versetzt.

Man sieht Mutter Marge, das untadelige Rückgrat der Familie, bei Sirenengeheul und Blaulichtflackern einen Akt der Plünderung begehen. Man sieht Vater Homer in einer haushohen Eishöhle, wo er einen gigantischen, vorzeitlichen Monster-Totempfahl zum Leben erweckt; wie er, mit Bart auf dem Rücksitz, auf dem Motorrad einer Flammenwand zu entkommen sucht; wie er mit einem Rudel Schlittenhunde durch die Arktis hetzt und von einer alten Eskimofrau mit einem Feuertrank wiederbelebt wird.

Es wird, so viel kann man sagen, mächtig was los sein in diesem Film. Wahrscheinlich ist es ein Katastrophenfilm. Und ganz ohne Zweifel ist Homer der Auslöser dieser Katastrophe - was durch eine Szene beglaubigt wird, in der sämtliche Bewohner Springfields, Polizeichef Wiggum eingeschlossen, mit Fackeln vor dem "Simpsons"-Haus aufmarschieren: Rachegefühle im Herzen, Mordlust in den Augen.

Ein Treffen von konkurrierenden Klassenclowns

Die nächste Frage, die man stellen muss, lautet: warum jetzt? Warum hat sich die "Simpsons"-Crew just in dem Moment noch einmal zu diesem Kraftakt aufgeschwungen, in dem ihr Platz in allen Geschichts- und Rekordbüchern (unter anderem als am längsten laufende Zeichentrickserie der Welt) längst gesichert ist? Diese Frage ist erlaubt. Und eine ganze Reihe von hochbezahlten, hochgebildeten Männern unterbricht die laufende Schreibarbeit in der Baracke, um sie zu beantworten."Weil wir seltsamerweise noch immer so hungrig, so sorgsam und so leidenschaftlich bei der Sache sind wie im ersten Jahr", sagt James L. Brooks, der Produzent von Anfang an.

"Weil wir endlich auch einmal dieses berauschende Gefühl haben wollen, im Kino zu sitzen - und der ganze Saal lacht über unsere Witze", sagt Matt Groening. Al Jean, ein weiterer wichtiger "Simpsons"-Produzent, ergänzt: "Weil ich das Geld brauchte!" Mattes Lachen der anderen: netter Versuch. So funktioniert die Baracke: ein Treffen konkurrierender Klassenclowns, bei denen einer immer das letzte Wort haben muss, und das letzte Wort ist immer ein Witz. Nur wirklich lautes Gelächter bedeutet, dass ein Witz auch ins Drehbuch kommt. Wenn du einen pro Folge schaffst, bist du schon gut.

Im dritten Teil: Die Wahrheit über die Legende der "Simpsons"-Entstehung, die nur 15 Minuten gedauert haben soll.

Legende in Dottergelb

Der Durchbruch der Schallmauer

Das Thema, bei dem alle sehr schnell wieder ernst werden, ist die Liebe zu den "Simpsons" selbst. Dies ist, verdammt noch mal, der beste Job im ganzen amerikanischen Fernsehen. Der Vertrag mit dem Studio ist sensationell. Niemand darf reinreden. Wenn wir versagen, versagen wir allein. Es ist eine große Pflicht, die Fans in aller Welt nicht zu enttäuschen.

Es gab mal eine Phase vor etwa fünf Jahren, da sah es so aus, als wäre jeder denkbare "Simpsons"-Witz schon erzählt worden, und die Arbeit wurde zäh. Aber dann wurde eine Art Schallmauer durchbrochen, die Vergangenheit durfte vergangen sein, und alles ging wieder leichter. Außerdem sind jetzt junge Leute im Team, die praktisch mit den "Simpsons" aufgewachsen sind - die könnten gar nicht glücklicher sein, dass sie endlich mitmachen dürfen.

Die Legende der 15-Minuten-Skizzen

Die Serie wird, damit es da keine Missverständnisse gibt, natürlich weitergehen. Auch nach dem Film. Eine neue Staffel ist bereits in Arbeit. Was alle antreibt, ist ein Gefühl der Verantwortung: Wir werden nicht der Jahrgang sein, der die Sache gegen die Wand fährt. Nicht nach so vielen tollen Jahren. Und ein Film, auf den die Welt seit mindestens fünfzehn Jahren wartet, muss natürlich der Hammer werden. Ein seltsames Gefühl: Da sitzen die respektlosesten Spaßmacher der Welt - und sagen all diese respektvollen Sachen. Wenn das jetzt mal kein schlechtes Omen ist.

Aber man kann das verstehen. Bescheidenheit ist angebracht. Niemand, nicht einmal Matt Groening selbst, würde das "Simpsons"-Phänomen allein dem eigenen Genie zuschreiben. Die Legende geht, und diese Legende ist wahr, dass Groening seine fünf dottergelben Hauptfiguren - Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie - in weniger als fünfzehn Minuten erfand, zeichnete und mit Namen versah. Auf dem Weg zu einem Treffen mit James L. Brooks, der damals im Jahr 1987 die "Tracey Ullmann Show" produzierte und eine kleine Cartoon-Sequenz suchte, die seine Sendung auflockern konnte.

"Simpsons" heute: Leuchtturm der Stabilität

Groening hatte bereits einen Comicstrip: "Life in Hell". Die Rechte daran wollte er allerdings lieber behalten. Um nicht mit leeren Händen dazustehen, erfand er kurzerhand die "Simpsons". Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte. "Diese erste Zeichnung war wie ein Blitzschlag aus höheren Sphären", erinnert sich James L. Brooks. "Etwas, das dir nur einmal im Leben passiert. Und dann kam einfach alles perfekt zusammen - zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Die positive Version einer Massenkarambolage." Matt Groening nickt: "Diese erste Zeichnung ist wirklich verdammt hässlich."

Die Zeiten, in denen die "Simpsons" als Speerspitze des gesellschaftlichen Niedergangs galten, als Verderber der Jugend und Umwerter aller Familienwerte, sind längst vorbei. Kein Politiker würde sich mehr entblöden, weniger "Simpsons" und mehr "Waltons" im Fernsehen zu fordern, wie es George Bush der Ältere einst tat. Viel davon hängt einfach mit Gewöhnung zusammen: Eine Fernsehfamilie, die so lange unverändert bleibt, in der es weder Scheidung noch Ehebruch noch Patchwork-Verhältnisse gibt, muss heutzutage automatisch als Leuchtturm der Stabilität erscheinen.

Das Wunder einer perfekten Folge

Außerdem kann der "Simpsons"-Humor so böse sein, wie er will - die grundsätzliche Harmonie der Familie berührt er nicht. "Die Figuren sind oft fehlgeleitet, aber sie sind nie wirklich übel", sagt Matt Groening. "Wir alle wünschen uns, wir könnten einfach unseren Impulsen folgen und dabei nie ein schlechtes Gewissen haben", sagt James L. Brooks: "Aber das kann leider nur Homer Simpson."

Das alles erklärt das Wunder einer perfekten "Simpsons"-Folge noch nicht. Es steckt im Genie der Autoren, die manchmal mehr Geist, Erkenntnis und Aufklärung in einem halbsekündigen Gag verstecken als andere Schreiber in ganzen Büchern. "Gott begrüßt seine Opfer", stand zum Beispiel auf dem Plakat der Kirche, nachdem Springfield von einem Orkan verwüstet war. Hier sprechen Großmeister wie George Meyer, der Mann hinter den legendärsten "Simpsons"-Gags, und John Swartzwelder, der geniale Autor der meisten Einzelfolgen.

Die größte Kulturleistung des 20. Jahrhunderts

Es gibt Leute, und es sind durchaus nicht die dümmsten, die halten die "Simpsons" deshalb für die größte Kulturleistung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Für die Kulmination dessen, was im relevanten Medium der Zeit, dem Fernsehen, an Witz, Wahrheit und philosophischer Tiefe eben möglich war. Und gleichzeitig auch noch für die klügste Kritik dieses Mediums selbst.

Zu den Menschen, die sich in dieser Richtung geäußert haben, gehören unter anderen Stephen Hawking, Douglas Coupland und der neue deutsche Großdichter Daniel Kehlmann. Grund genug für eine weitere Homer-Frage an Matt Groening: Könnte es nicht sein, dass die "Simpsons" in tausend Jahren in einem Atemzug mit der "Odyssee" und der "Ilias" genannt werden - und er selbst als Erbe jenes antiken Poeten, dessen Namen er sich geborgt hat?

Die Einzigartigkeit des "Simpsons"-Universiums

Matt Groening schaut kurz verwirrt, dann strahlt er über das ganze Gesicht. "Wahnsinn, dass Sie mich daran erinnern", sagt er. "Ich wollte schon immer eine Episode machen, in der Homer Simpson als Dichterfürst Homer auftritt. Das ist der Plan, Mann. Er könnte Plato treffen. Mit Sokrates einen Drink nehmen. In die Schlacht bei den Thermopylen eingreifen. Danke dass Sie mich daran erinnert haben!" Bitte, gern geschehen. Nur: Beantwortet das auch die Frage?

Im Grunde ja - und zwar auf die einzige Art, die im "Simpsons"-Universum überhaupt denkbar ist: Schneller als man schauen kann, ist aus ein klein wenig Prätention wieder einmal großes Gelächter geworden.

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