Zirkus:Gefallener Engel

Cirque du Soleil

Sprünge, die Zuschauer besser nicht nachahmen sollten: Von Russischen Schaukeln lassen sich die Artisten in die Luft katapultieren.

(Foto: Martin Girard / shootstudio.ca, Costumes: Eiko Ishioka / 2014 Cirque du Soleil)

Ein Gesamtkunstwerk aus Artistik, Theater und Musik: Der Cirque du Soleil kommt mit seiner Show "Varekai" in die Olympiahalle

Von Hannah Vogel

Bevor ich die Bühne betrete, spreche ich ein kurzes Gebet", sagt Fernando Miro. Noch ist er ungeschminkt, trägt ein schlichtes schwarzes T-Shirt statt weißem, geflügeltem Kostüm. Die Akrobatiknummern seien sehr gefährlich, und seine Figur vollziehe innerhalb von zwei Stunden eine Wandlung, die er dem Publikum vermitteln müsse, fügt der Darsteller des Cirque du Soleil hinzu. Fernando Miro spricht über seine Rolle des Icarus, den er in der Show "Varekai" verkörpert. Zu sehen ist die von Mittwoch bis Sonntag im Münchner Olympiastadium. Als Engel mit versengten Flügeln stürzt er vom Himmel herab in eine phantastische Welt, bevölkert von exotischen Kreaturen. Dort zeigt eine goldhäutige Akrobatin als Sonnenanbeterin verschlungene Figuren am Trapez, in grazilem Tanz nähert sich die reptilienartige Versprochene Icarus. Irokesenträger nutzen die Russischen Schaukeln als Sprungbrett für gewagte Saltos.

Aus 20 Straßenkünstlern, die 1984 in Québec den Cirque du Soleil gründeten, ist ein globales Entertainment-Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern geworden. Seine Artisten bildet der Sonnenzirkus nach wie vor in Montreal aus, dort üben sich diese nicht nur in Akrobatik, sondern auch im Schminken und Schauspiel. Viele von ihnen sind wie Fernando Miro ehemalige Leistungssportler, die es nicht gewohnt sind, durch theatrale Mimik und Gestik Geschichten aufleben zu lassen. Als Kind turnte er, erhielt ein Tanzstipendium und sah im Alter von zwölf Jahren die Show "Fire Within" des Cirque du Soleil im Fernsehen.

"Schon damals wusste ich, dass ich eines Tages gemeinsam mit den Akrobaten auf einer Bühne stehen würde", sagt er. Sein Traum ging 2009 in Erfüllung, nun verkörpert er die Hauptrolle in "Varekai". Bereits 2010 war die Show in der heimeligen Atmosphäre des Grand Chapiteau zu sehen, das der Sonnenzirkus für mehrere Wochen im Münchner Olympiastadium aufgeschlagen hatte. Seit Anfang Oktober gastiert der Zirkus nun jeweils für wenige Tage in europäischen Mehrzweckhallen, dies ermöglicht ihm, mehr Städte zu besuchen und ein größeres Publikum zu erreichen. Trotzdem lohnt auch ein zweiter Besuch von "Varekai", denn alle Shows befinden sich im steten Wandel. Neu aufgenommen wurde eine Nummer, bei der fünf Kreaturen des Waldes sich von einem Trampolin in die Luft schleudern lassen, um dort Saltos zu schlagen.

Sowohl Körperbeherrschung als auch gegenseitiges Vertrauen sind im Cirque du Soleil gefragt. Die jahrelangen Reisen um die Welt schweißen die Truppe zusammen, sie seien fast wie eine Familie, versichern Artisten und Mitarbeiter. "In der Welt da draußen gibt es Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion. Ich habe hier Freunde gefunden, mit denen ich nicht einmal in der selben Sprache kommuniziere", sagt die amerikanische Trapezkünstlerin Kerren McKeeman. Viel wichtiger sei ihrer Meinung nach die gemeinsame Interaktion auf der Bühne.

"Selbst als sich der Konflikt zwischen Ukraine und Russland hochschaukelte, arbeiteten Künstler beider Nationen bei uns gemeinsam an ihren Kunststücken", erzählt Sängerin Isabelle Corradi. Auf der Bühne verleiht sie in pompöser, veilchenfarbener Robe der Musik ihrer Schwester Ausdruck, die Violaine Corradi eigens für "Varekai" komponierte. Es ist eine klangvolle Mischung aus hawaiianischen Gesängen, Liedern französischer Troubadoure des elften Jahrhunderts, armenischen Volksweisen und zeitgenössischer Gospelmusik. Gespielt werden sie von einem Orchester, verborgen hinter dem Bühnenwald aus mehr als 300 Bäumen. Isabelle Corradi versucht stets, sich selbst zu übertreffen. Sie sagt: "Ich habe einen Vertrag mit mir: Wenn mich die Show nicht mehr herausfordert, werde ich sie verlassen."

Cirque du Soleil: Varekai, von Mittwoch bis Sonntag, 2. bis 6. Dezember, verschiedene Uhrzeiten, Olympiahalle, 018 05/74 00 74

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: