Zensur in China:Unter dem Kinn ist Schluss

Chinas Zensur schneidet nackte Haut ohne Rücksicht auf Sinn und Film. Für die Sexszenen in Ang Lees "Gefahr und Begierde" reisen Chinesen nun in Scharen nach Hongkong.

Henrik Bork

Die Sexszenen in Ang Lees Film "Gefahr und Begierde" haben in China eine Reisewelle ausgelöst. Reisebüros in der Volksrepublik organisieren Gruppenreisen nach Hongkong, wo der Film unzensiert zu sehen ist. Zehntausende enttäuschte Kinofans, die sich von den Zensoren betrogen fühlen, überqueren nun eigens für einen Kinobesuch die Grenze. Die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong ist trotz ihrer Rückkehr nach China im Jahr 1997 noch immer eine Sonderverwaltungsregion, für deren Besuch Chinesen eine Reiseerlaubnis brauchen.

Ein Passant läuft in Hongkong an einem Plakat für den Kinofilm "Gefahr und Begierde" von Ang Lee vorbei

Chinas heißestes Gesprächsthema: Tang Wei und Tony Leung in "Gefahr und Begierde".

(Foto: Foto: ap)

Der erotische Spionagethriller des taiwanischen Regisseurs ist auch in China ein Hit, seit er am 1. November angelaufen ist. Schon in den ersten vier Tagen hat er 40 Millionen Renminbi (etwa vier Millionen Euro) eingespielt, berichtet die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Doch der für "Brokeback Mountain" mit einem Oscar ausgezeichnete Regisseur hatte zwölf der ursprünglich 156 Minuten herausschneiden müssen, bevor das chinesische Filmbüro das Werk für die Leinwand freigab. Er habe selbst geschnitten, ließ Lee verlauten.

Völlig unverständlich

Das Publikum in China reagiert mit einer Mischung aus Spott und Wut. "Da fehlt so viel, dass der Film völlig unverständlich geworden ist", sagt die empörte Zhang Li. Die 26-jährige Studentin kommt gerade aus dem Kino "China-Star" im Pekinger Univiertel Haidian, wo sie sich den Film mit zwei Freundinnen gemeinsam angesehen hat. "Das ganze Kino hat ein paar Mal laut gelacht, weil der Film plötzlich komisch wirkte", sagt Zhang.

Alle hier wissen, dass Chinas Zensoren unbekleidete Schauspieler nur bis exakt 13 Zentimeter unterhalb des Kinns zulassen. "Plötzlich sieht man nur noch zwei Köpfe auf der Leinwand, mit leidenschaftlich verzerrten Gesichtern", sagt die Studentin. Im Internet aber sind die herausgeschnittenen Szenen als Fotos zu besichtigen. Sie sind derzeit Chinas heißestes Gesprächsthema.

Zwei von fünf Liebesakten beispielsweise, auf der die weibliche Hauptdarstellerin Tang Wei über dem Hongkonger Star Tony Leung zu bewundern ist, fehlen in der auf dem Festland ausgestrahlten Version völlig. Ein anderer Akt, bei dem sich die beiden besonders akrobatisch vereinigen, hat in Chinas Internetforen den Spitznamen "die Büroklammer" erhalten.

Das Geschäft ihres Lebens

Da fahren viele Chinesen lieber gleich nach Hongkong. Die meisten dieser "Kinosextouristen" stammen aus der direkt an Hongkong grenzenden Stadt Shenzhen "Gefahr-und-Begierde-Reisegruppen aus Shenzhen rückten an", berichtete die Hongkonger Zeitung Wenhuibao. Bis zu 20 Prozent aller Kartenverkäufe für "Gefahr und Begierde" in Hongkong gingen schon auf Festlandschinesen zurück, berichtete ein anderes Blatt.

Manche Reisebüros machen das Geschäft ihres Lebens. "Wir haben spezielle Kinotouren nach Hongkong in unser Programm aufgenommen, weil so viele Kunden Karten für den Film vorbestellt hatten", sagt Herr Chen, Angestellter eines Reisebüros in Guangzhou.

Dass der Film trotz der Prüderie der Zensoren auch in Chinas Kinos Rekordumsätze einspielt, liegt jedoch nicht nur an der Berühmtheit seiner Sexszenen. Die Schriftstellerin Eileen Chang, auf deren Kurzgeschichte "Lust, Caution" der Film von Ang Lee basiert, ist in der Volksrepublik sehr beliebt. Und dass der Film wenigstens zensiert gezeigt werden darf, ist bemerkenswert. Er behandelt nämlich mit der Kollaboration während der japanischen Besatzung Chinas auch politisch ein Tabuthema.

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