Zeitschriftenschau:Prinz im Boot

Das "Schreibheft" bringt Neues zu Orson Welles und Henry James: Zum ersten Mal kann man Welles' Reportagen aus dem Nachkriegseuropa auf Deutsch lesen - und Henry James wechselt Briefe mit Robert Louis Stevenson.

Von Hans-Peter Kunisch

Etwa so exzentrisch wie das Zusammenspiel von Kuckucksuhr und Spionagehandlung im "Dritten Mann" lesen sich Orson Welles' Reportagen aus Nachkriegseuropa, die das Schreibheft jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt hat. Welles steht am Comer See neben dem ganz realen Waffenfabrikanten Fritz Mandl, der von Schweizer Bankiers umringt wird. Einer zündet ihm die Havanna an, sie horchen auf jedes seiner Worte. Mandl, Sohn eines jüdischen Vaters und Ex-Ehemann der Schauspielerin Hedy Lamarr, akzeptiert die Rolle des Orakels, starrt über den See ins Leere und spricht: "Wenn die Russen heute Richtung Westen marschieren, werden sie morgen den Rhein überqueren." Als Begleitmusik rast unten ein italienischer Prinz in einem Schnellboot vorbei, dem ein englisches Mannequin auf Wasserskiern folgt, und "Amerikaner am Nachbartisch fragten sich, ob sie ihre Rückflüge zeitig genug reserviert hätten". Da kam Welles gerade aus Berlin, wo ein Nachtclub-Orchester nach amerikanischen Schnulzen zum Abschluss das Horst-Wessel-Lied intonierte, was Welles eine Schlägerei, und, in France Dimanche veröffentlicht, diplomatische Schwierigkeiten einbrachte.

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