Franz von Papen:Der allzeit Gefällige

Hitler, Papen, Goebbels

Adolf Hitler bei einer Unterredung mit dem damaligen Vizekanzler Franz von Papen (links) und Reichsminister Joseph Goebbels.

(Foto: oh)

Vor und nach dem Krieg: Franz von Papen, einst Vizekanzler Hitlers, schaffte es stets, sich in positivem Licht zu präsentieren. Neue Dokumente geben Hinweise auf die Frage, warum Hitler ihn entließ.

Von Willi Winkler

"Wer nicht gerade den Weltkrieg durchgestanden hatte, kann sich nicht vorstellen, wie faszinierend es war, einen von diesen sprechen zu hören", berichtet die englische Lektorin Diana Athill in ihren Erinnerungen. Einer von "diesen", den Nazis und ihren Helfern, war Franz Joseph Hermann Michael von Papen, Erbsälzer zu Werl und Neuwerk, dessen Memoiren 1952 für die ungeheure Summe von 30 000 Pfund an die Wochenzeitung The People verkauft wurden. Papen sprach, aber er sagte alles andere als die Wahrheit.

Papen hat immer mit großem Geschick gelogen. Dieses Talent gehört möglicherweise zu den Grundfertigkeiten eines Politikers, ihm hat es mehrfach das Leben gerettet und zuletzt noch einen behaglichen Lebensabend verschafft.

1934 will er eine konservative Revolution anzetteln

Lange und sorgfältig habe er seine Rede vorbereitet, behauptete er, "weil hier die geistige Prominenz Deutschlands versammelt war und ich das Ohr des deutschen Volkes haben würde". Es war der 17. Juni 1934, Hitler seit mehr als einem Jahr Reichskanzler. Doch die so genannte Machtergreifung war längst nicht vollendet. Die SA spielte sich zwar als die neue Reichswehr auf, aber die Konservativen fürchteten um ihre überlieferte Vormacht, Reichspräsident Hindenburg, der den Führer ins Amt befördert hatte und ihn wiederholt als Einiger der Nation gefeiert hatte, stand bereits in seinem 87. Jahr und hatte nur mehr wenige Wochen zu leben, amtierte aber nach wie vor als Staatsoberhaupt.

Die Deutschnationalen vertrauten auf Franz von Papen, der als Vor-Vorgänger Hitlers den Reichstag entmachtete hatte und jetzt seinen Nachfolger im Zaum halten sollte. "Ich war nicht bereit", behauptete er später, "noch weitere Verantwortung zu übernehmen, wenn die Dinge sich nicht änderten." Von dieser Rede in der ehrwürdigen Marburger Universität sollte ein Fanal ausgehen für eine andere Machtergreifung, eine konservative Revolution, die sich auf die alte Reichswehr und Hitlers Vorgänger Kurt von Schleicher stützte.

"Innere Verpflichtung an Adolf Hitler"

Papen allerdings kannte die angeblich sorgfältig vorbereitete Rede gar nicht, keine einzige Silbe stammte von ihm, er las nur ab, was ihm sein Mitarbeiter Edgar Jung aufgeschrieben hatte. "Nun wohl: So sehr bin ich der in Angriff genommenen Erneuerung Deutschlands mit meinem Herzblut verbunden, dass es vom menschlichen wie vom staatsmännischen Gesichtspunkt aus eine Todsünde wäre, nicht das zu sagen, was in diesem entscheidenden Abschnitt der deutschen Revolution gesagt werden muss."

Dass er 1934 vor allem eine "innere Verpflichtung an Adolf Hitler und sein Werk" fühlte, musste nach dem Krieg begreiflicherweise entfallen. Papen oder vielmehr Jung wollte die "Schlacken" der nationalsozialistischen Revolution beseitigt sehen, also vor allem die NSDAP, es aber keineswegs an der Treue zum Führer fehlen lassen.

Hitler duldete derlei Unbotmäßigkeit nicht. Er ließ die Verbreitung der Rede unterbinden, zwei Redakteure des Reichssenders Frankfurt, die sie voreilig ausgestrahlt hatten, wurden entlassen, Papen selbst von seinem Führer einbestellt und mit Ungnade bedroht. In einem ausführlichen Schreiben versucht sich Papen am Tag nach der Rede zu rechtfertigen. Dem Manuskript ist zu entnehmen, dass er aus dem "Zwist" mit dem Mann, den "man nicht im Stiche lassen darf", eine "Meinungsverschiedenheit" macht.

Papen unterschätzt den Ernst der Lage - und rettet seinen Kopf

Anhand von einem guten Dutzend weiterer Briefe und Memoranden, die aus dem Moskauer Staatsarchiv aufgetaucht sind und in der neuen Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht werden, lässt sich teilweise nachvollziehen, was im Juni und Juli 1934 vor sich ging.

Tatsächlich appelliert Papen an Hitler, den verhafteten Edgar Jung freizulassen. "Wenn jemand für die Marburger Rede ins Gefängnis wandern soll, so stehe ich hierzu jederzeit zur Verfügung." Vor allem bittet er um Demission, die ihm Hitler zunächst abschlägt.

Offensichtlich unterschätzt Papen den Ernst der Lage. Göring als preußischer Innen- und Polizeiminister lässt Papens Kanzlei besetzen und seine Akten beschlagnahmen. Die Revolution ist da, nur anders als erhofft. Am 30. Juni tut Hitler der Reichswehr den Gefallen, die SA zu entmachten. Ihr Chef Ernst Röhm, zum Ärger des alten Militärs Hindenburg ein bekennender Homosexueller, wird mitsamt seinen Häuptlingen sofort umgebracht. Dem Mord folgten noch etwa hundert weitere, darunter der an Kurt von Schleicher und seiner Frau. Aber auch Edgar Jung, der so sehr auf eine konservative Revolution mit und gegen Hitler zugleich gehofft hatte, muss sterben.

Papen rühmt Hitlers Morde als "männlich und menschlich groß"

Hindenburg ließ auch dies geschehen und empfing seinen treuen Gefolgsmann Papen nicht mehr, wenn er auch für die Aufhebung des Hausarrests sorgte. Papen war festgesetzt worden, um Hitler bei seiner Mordaktion nicht zu stören, was ihn aber nicht hinderte, Hitlers Mordwelle als "männlich und menschlich gross" zu rühmen. Die Niederschlagung der angeblichen Revolte habe in der ganzen Welt Anerkennung gefunden.

"Es ist mir ein Bedürfnis", schreibt er am 14. Juli an den "sehr verehrten Herrn Reichskanzler", "Ihnen, wie einst am 30. Januar 1933, die Hand zu drücken und zu danken für alles, was Sie durch die Niederschlagung der beabsichtigten Revolution und durch die Verkündung unverrückbarer staatsmännischer Grundsätze dem deutschen Volke neu gegeben haben."

Auch nach dem Krieg profitiert Papen von seinen Lügen

Der allzeit gefällige Papen verlor nicht sein Leben, sondern nur sein Amt und wurde im August 1934 als Gesandter nach Wien geschickt, wo die Nazis gerade den Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet hatten. Wie Diplomaten berichteten, ließ sich Papen dort gern als "Herr Reichskanzler" anreden.

Beim Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg wurde Franz von Papen 1946 freigesprochen, denn er konnte ja auf die Marburger Rede verweisen, als deren Autor er sich weiter ausgab. 1959 gab ihm Papst Johannes XXIII. den Operettentitel des Päpstlichen Geheimkämmerers zurück, den ihm sein Vorgänger Pius XII. entzogen hatte. Sieben Jahre zuvor hatte Papen seine Memoiren unter dem noch schöneren Titel "Der Wahrheit eine Gasse" veröffentlicht.

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