ZDF-Fernsehgarten:Im Reich der Kiwi

Bier, Schunkeln und zum Abschied eine Polonaise - seit über 20 Jahren gibt es den "Fernsehgarten" im ZDF. Das Erfolgsrezept: Es hat sich nie etwas verändert.

Katharina Riehl

Diese Regenjacken haben alle dasselbe Ziel. Schon im Bus aus der Mainzer Innenstadt ist das nicht schwer zu erkennen. An der Station Lerchenberg/ZDF schieben sich Ponchos aller Farben aus der Linie 70, hinein in das Gebäude, an dessen Decke sich ein überlebensgroßer Claus Kleber das zweite Auge zuhält.

ZDF-Fernsehgarten: Vor acht Jahren hat Andrea Kiewel die Moderation des Fernsehgartens übernommen: "Es war Liebe auf den ersten Blick."

Vor acht Jahren hat Andrea Kiewel die Moderation des Fernsehgartens übernommen: "Es war Liebe auf den ersten Blick."

(Foto: Foto: Bänsch/ZDF)

Durch den ZDF-Shop mit Mainzelmännchen auf Tassen und T-Shirts geht es wieder hinaus in den Regen - die Kinder auf den Spielplatz, während sich Mutti und Vati um halb zehn die erste Bockwurst genehmigen und die älteren Herrschaften für sich und ihre Regenschirme schon mal die ideale Stehplatz-Position auskundschaften: mit Blick auf Hauptbühne und Kochstation des ZDF-Fernsehgartens. Wer später kommt, steht am Pool oder beim Blumenbeet.

Der Fernsehgarten ist, das kann man sagen, ein Phänomen öffentlich-rechtlicher Fernsehunterhaltung: Seit 23 Jahren extrem erfolgreich, obwohl sich - und Redaktionsleiter Christoph Hillenbrand ist sichtlich stolz, das erzählen zu können - seit 1986 nichts Wesentliches verändert hat. Hier gibt es so gar nichts von dem, was heute für ein Muss gut funktionierender Sendungen gehalten wird. Da wird weder gecastet noch gequizt, da wird niemand in Spinnen gebadet, und keine Babys werden von verhaltensauffälligen Jugendlichen gewickelt.

Um halb elf haben sich die letzten Regenschirme auf den Fernsehgarten verteilt, die jüngeren Zuschauer sind von Frauen in ZDF-Orange auf die Plätze nahe der Kameras komplimentiert worden und allen wird noch einmal erklärt, dass gelacht werden solle, wenn es lustig und geklatscht werden solle, wenn es musikalisch wird.

Dann - endlich - begrüßt eine blasslilane Andrea Kiewel die 4000 Besucher zu zwei Stunden von dem, was man leichte Kost nennen dürfte: ein bisschen Schlager, ein bisschen Pop, immer aber Texte mit ganz viel Liebe, love und amore, das Ganze verrührt zu einem leichten Sommerdrink aus Wellness, Kochen, Garten, Fallschirmspringen, Tischfußball und Bademoden. Es ist "Ein Kessel Buntes" - nur dass diese große Samstagabendshow der DDR im bundesdeutschen Fernsehen nicht so recht Fuß fasste und nach zehn Folgen verschwand.

Am Sonntagvormittag auf dem Lerchenberg in Mainz scheint sie zu funktionieren: Gekommen sind das blonde lesbische Paar aus der norddeutschen Kleinstadt, zwei rüstige Großmütter, die im ZDF-Café darüber diskutierten, was wohl unter einem Topping auf dem Kuchen zu verstehen sei. Dann die ein wenig übergewichtige Mutter mit der halbwüchsigen Tochter, die hinterher stolz die an der Hofeinfahrt erkämpften Autogrammkarten von Ballermann-Hüpfdohle Loona und Burg-König Christian Anders von ProSieben vergleichen. Und auch zwei Mittdreißiger, die phänotypisch stark an Mario Barth erinnern und zu Nicki und Dschingis Khan ebenso begeistert auf die Eins und auf die Drei klatschen wie ihre aufwendig frisierten Begleitungen.

Der Fernsehgarten ist ein Volksfest in der Kleinstadt: Bier, Schunkeln und zum Abschied eine Polonaise - und wem die Fahrt nach Mainz zu mühsam ist, der feiert zu Hause vor dem Fernseher. Eben weil man beim ZDF darauf setzt, die ganze Familie, also auch die jüngeren Zuschauer, zu erreichen, gibt es im Fernsehgarten kein vom Öffentlich-Rechtlichen sonst gern blechgeblasenes Volksmusik-Tamtaram. Im Gegensatz zur ARD: Die sendet seit 1995 in trauter Programmnähe von zehn Uhr an Immer wieder sonntags, ein ähnliches - aber deutlich weniger erfolgreiches - Format mit Stefan Mross und den Größen des volkstümelnden Musikbusiness. "Als Konkurrenz sehen wir das nicht", sagt ZDF-Mann Hillenbrand, "die richten sich mit Musik und Moderator deutlich auf eine ältere Zielgruppe aus." Schlager, Pop und das, wo diese Grenzen fließend sind, funktionieren in Mainz als generationenübergreifender Konsens: "Was wir machen, ist zielgruppenübergreifend."

Humor und Musik werden dabei ausgerichtet am kleinsten gemeinsamen Nenner des Publikums. Als Comedian Guido Cantz auf die Bühne des Fernsehgartens tritt, um ein paar Witze zum Urlaubsbeginn zu reißen, versucht er es erst mit einer Spitze gegen Traumschiff-Offizier Sascha Hehn, dann gegen Roberto Blanco - das Echo ist vor allem bei den grauhaarigen Zuschauern auf den hinteren Rängen verhalten. Doch dann, bei der Pointe über die Verspätungen der Deutschen Bahn, da hat er plötzlich den ganzen Garten auf seiner Seite.

Fernsehen für alle, Fernsehen, das niemandem weh tut: Als Comedian Cantz beim Anblick zweier Karaoke singender, beleibter Fernsehgarten-Besucherinnen breit grinsend über deren unbeholfenen Tanzstil zu scherzen beginnt, fällt ihm Andrea Kiewel schnell ins Wort. So läuft es nicht am Lerchenberg: Wohlfühlfernsehen, nie gemein, nie streitbar.

Es ist viertel vor zwölf, die kaum bekleideten Sängerinnen von Mayor's Destiny haben gerade fast synchron die Lippen zu ihrem Lied Revenge is sweet bewegt. Ein nicht mehr ganz junger Mann, in einen Smoking gequetscht, tritt auf die Bühne , um seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen. Gereimt, mit Rosen und Whitney Houston. Da laufen Andrea Kiewel, die über sich selbst nur als Kiwi spricht, Tränen der Rührung die Wangen hinunter. Man nimmt ihr das ab - im schlimmsten Fall ist es hervorragend inszeniert. Solidarisch mit der Kiwi werden im Publikum noch drei weitere Taschentücher gezückt. Wahrscheinlich sind es genau diese Momente, deretwegen die Moderatorin so geliebt wird vom Stammpublikum - egal, ob die Tränen nun echt oder einfach gut gesetzt sind.

Als man Andrea Kiewel 2007 aus dem Fernsehgarten verbannte (weil sie Schleichwerbung betrieb und darüber öffentlich log, ausgerechnet im Plauder-Studio von Johannes B. Kerner, dem ZDF-Kollegen) meuterten ihre Anhänger: In der von Ernst-Markus Thomas moderierten Saison 2008 rutschte die Quote von zwei Millionen Zuschauern im Jahresdurchschnitt auf 1,5 Millionen ab. Der Marktanteil schrumpfte von 19,7 auf 15,8 Prozent. Das ZDF hatte auch daraufhin ein Einsehen mit seiner reumütigen Mitarbeiterin und holte sie an den Lerchenberg zurück. Die Quoten sind seitdem gestiegen - 2,6 Millionen Zuschauer schalteten am Sonntag der vergangenen Woche zu. An diesem wird eine große Beachparty veranstaltet, das ZDF wirbt mit "Cocktails und Seelöwen" im Internet dafür.

Vor acht Jahren hat Andrea Kiewel den Fernsehgarten von ihrer Vorgängerin Ramona Leiß übernommen. "Es war Liebe auf den ersten Blick", sagt sie. Und dass sie - wenn sie es nicht besser wüsste - sicher wäre, die Sendung wäre für sie erfunden worden. So einfach lässt sich wahrscheinlich auch erklären, warum ihr der eine Fehltritt so bereitwillig verziehen wurde: Bei ihrer Rückkehr, in der ersten Sendung dieser Saison also, habe man sie mit so viel Applaus empfangen, erzählt Fernsehgarten-Pfleger Hillenbrand, dass sie minutenlang nicht zu Wort kam. Im Fernsehhimmel wird einem eben schneller vergeben als auf der Erde.

Fernsehgarten, ZDF, Sonntag, 11 Uhr.

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