Yoko Ono wird 80:Neuer Blick auf die Vorkämpferin

Frankfurter Schirn zeigt Yoko Ono als Künstlerin

Yoko Ono steht am 14. Februar 2013 in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main vor ihrer Installation 'HALF-A-ROOM (1967)'. 

(Foto: dpa)

Eine Frankfurter Ausstellung zeigt Yoko Ono rechtzeitig zu ihrem 80. Geburtstag als Künstlerin, die für Fluxus, Konzept- und Performancekunst Pionierarbeit geleistet hat. Wen kümmert da noch, ob sie die Beatles auseinandergebracht hat oder nicht?

Von Catrin Lorch

Yoko Ono bleibt ganz ruhig in ihrem Kniefall, als jemand die Schere ansetzt und ihr ein Stück vom Saum abschneidet. Der Nächste trennt sich etwas von der Schulter, Metall streift über ihren Hals. Immer bleibt ein Stück Nacktheit zurück. Und immer wieder findet sich einer, der weiter schneidet, bis zum Träger des Büstenhalters. Die Filmbilder wirken unangenehm, auch ein knappes halbes Jahrhundert nach dieser Aufführung der Performance "Cut Piece" im Jahr 1966.

Wer sich mit Yoko Ono befasst, der landet natürlich erst einmal auf einem Nebenschauplatz der Popgeschichte: Frau von John Lennon, Ende der Beatles. Es ist eine Perspektive, aus der ihre Berufsbezeichnung "Künstlerin" eher marginal klingt. Und Fluxus galt Ende der Sechzigerjahre auch noch nicht viel. Doch jetzt, wo sie am kommenden Montag achtzig Jahre alt wird, bietet eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn die Gelegenheit, noch einmal derjenigen nahezukommen, die sie war, bevor sie Lennons Gattin wurde. Denn ein epochales Werk wie "Cut Piece", so sagt die Kuratorin Ingrid Pfeiffer, sei in seiner Bedeutung noch in den Achtziger- und Neunzigerjahren konsequent übersehen worden - "dabei hat Yoko Ono nicht nur Fluxus, sondern auch dem Konzeptualismus Texte und dem Feminismus Bilder geliefert, bevor die Theorie, ja sogar bevor der Diskurs überhaupt eingesetzt hatte."

Yoko Ono wurde am 18. Februar 1933 als Tochter einer Banker-Familie aus Tokio geboren, die dafür sorgte, dass ihre Älteste in einer Schulklasse mit den Söhnen des Kaisers unterrichtet wurde. Den Krieg überstand man im familieneigenen Bunker, und wenn der höheren Tochter in diesem Leben irgendetwas half, aus der Rolle zu fallen, dann vielleicht das Pendeln der Familie zwischen Japan und den USA. Weswegen Yoko Ono allerdings auch das Philosophie-Studium an der Gakushuin-Universität aufgeben musste, die sie als erste Frau überhaupt zugelassen hatte.

Am Sarah Lawrence College im Staat New York verlegte sie sich dann auf Dichtung und Komposition und begegnete ihrem ersten Mann, dem Komponisten Toshi Ichiyanagi, durch den sie in Kontakt mit John Cage kam.

Im Zen-begeisterten New York

Ihre ersten Auftritte als Künstlerin in Amerika waren da noch konventionell: Sie las eigene Gedichte vor und zeigte, wie man Origami faltet. Dann mietete sie mit La Monte Young ein Loft in der Chambers Street, das bald als Treffpunkt der Musik- und Kunstszene galt. Es war die Zeit der "Dematerialisation des Kunstwerks", wie Lucy Lippard es formulierte. Bald bereicherten George Brecht, Jonas Mekas, Yvonne Rainer und Trisha Brown die Konzerte und Auftritte von Yoko Ono, die sich "langweilt mit Künstlern, die riesige Klumpen Skulptur machen und viel Platz" brauchen. "Zünde ein Streichholz an", befahl sie 1955 - und in dem "Lighting Piece" gelang ihr ein Fluxus-Klassiker. Lange blieb sie die einzige Frau unter den Avantgardisten. Doch ihre Event Scores, wie man die Anleitungen nennt, hatten einen Akzent von Haiku, was im Zen-begeisterten New York dieser Zeit gut ankam.

Dass damals gerade die Body Art noch von Männern dominiert wurde, ist in der Kunstgeschichte über die Würdigung der potenten Performer-Frauen wie Valie Export oder Marina Abramovic inzwischen fast in Vergessenheit geraten. Sie erscheint nur rückblickend als Frauendomäne. Die Action Paintings von Jackson Pollock waren kraftstrotzende Übungen. Yves Klein ließ für seine Anthropometrien zwar nackte Frauen auftreten, aber doch nur als lebende Pinsel. Und in Japan wälzten sich die - männlichen - Gutai-Künstler im Schlamm und malten mit den Füßen.

Erst später prägten Frauen die Performance als subversive und ironische Kunst. Carolee Schneemann mit einer Botschaft, die sie aus ihrer Vagina zog, oder Shigeko Kubota mit ihren "Vagina Paintings". 1960 lud Yoko Ono in ihr Loft, um vor Zuschauern eine Leinwand erst mit Essensresten zu beschmieren und dann mit den Händen Tusche darauf zu verreiben. Dann fackelte sie das Bild ab und damit auch alle Verweise auf Autoritäten wie Pollock oder Kalligrafie-Kunst.

Ein ungute Gefühl

Mehr als unfertige Bilder mochte sie 1961 auch in der AC Gallery von George Maciunas und Almus Salcius nicht zeigen, wo sie mit Tusche eingefärbte Stofflappen ausbreitete, die im Titel "Painting to be Stepped On" oder "Waterdrop Painting" die Hilfe der Betrachter einfordern. Und im Vorgriff auf Konzeptkunst beauftragte sie ihren Mann, ihre Scores in japanische Schriftzeichen aufs Blatt zu setzen, als sie 1962 im Sogetsu Art Center in Tokio ausstellte. In Japan lernte Ono Anfang der 60er-Jahre ihren zweiten Mann kennen, den amerikanischen Filmproduzenten Anthony Cox. Ihre gemeinsame Tochter kam 1963 zur Welt, was ihre künstlerische Arbeit nicht einschränkte: Drei Jahre später führte sie das "Cut Piece" im prüden Kyoto erstmals auf.

Es ist ein ungutes Gefühl zu wissen, dass diese schmale Figur, dieser verletzliche Körper, wenige Jahre später vor der ganzen Welt als hässlich angefeindet wird. John Lennon ist bei einer Ausstellung in der Londoner Indica Gallery der Künstlerin begegnet, die dort viel Aufmerksamkeit für ihren "Film No 4 (Bottoms)" erhielt, der achtzig Minuten lang Pos auf schwarz-weißem Sechzehn-Millimeter-Filmmaterial zeigt. Die Anfeindungen der hysterischen Weltöffentlichkeit, die Schmähungen gehen, wie John Lennon bei Pressekonferenzen selbst sagt, über alles hinaus, was die Medien bis dahin angerichtet hatten: "Nicht einmal hässliche Menschen wurden bislang hässlich genannt."

Doch hat sie dem Pop die Beatles weggenommen. Da ist es ganz egal, ob sie nun tatsächlich an der Auflösung der Band arbeitete. Oder sich Lennon einfach lieber mit ihr im Amsterdamer Hotelbett bei einem Bed-In für den Frieden zeigte, anstatt sich nach der Hochzeit am 20. März 1969 auf Gibraltar diskret in die Flitterwochen zu verabschieden und danach weiterhin mit Paul, Ringo und George zu proben. Er spielt dann in der Plastic Ono Band, singt "The Ballad of John und Yoko". 1968 erscheint das erste gemeinsame Album "Two Virgins". John Lennon schwärmt von der "Sechzehn-Spur-Stimme" von Yoko Ono.

Nach dem Umzug nach New York entdecken sie jedoch zunächst den Aktivismus als gemeinsame Sache. Als sie feststellen, dass es nur eines Konzertauftritts bedarf, um den wegen Marihuana-Besitz zu zehn Jahren verurteilten John Sinclair aus dem Gefängnis zu holen, spüren sie die Macht, die aus der Addition von Popularität, politischem Bewusstsein und einem Gespür für Theatralik resultiert. Dass Yoko Ono im Jahr 1972 auf der Documenta 5 auftritt, verblasst hinter der klaren Typografie der Großplakate und Transparente, auf denen Handlungsanweisungen wie "Imagine Peace" stehen - auch wenn das durchaus noch an die frühen Event-Scores erinnert. US-Präsident Nixon jedenfalls fürchtet den Einfluss von Lennon und Ono in einer Zeit, in der das Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt wurde. John Lennon droht über Jahre hinweg die Ausweisung.

In weiter Entfernung von Kameras

Dass das Paar auf Fotos unzertrennliche Stärke zeigt, gehört zum Selbstbild. Doch sind die Kameras eben auch dabei, als sich John bei Yoko entschuldigen muss, weil er sie betrogen hat. Die Versöhnung samt Kniefall wird zur Bildstrecke. Auch sein Aufbruch nach Los Angeles, als sie ihn verlässt. Seine Alkoholexzesse produzieren Titelfotos, während sie in New Yorker Glam-Magazinen mit Andy Warhol posiert. Offensichtlich hat auch irgendjemand eine Kamera dabeigehabt, als sie ihn, nach seinem ersten großen öffentlichen Auftritt im Madison Square Garden 1974 hinter der Bühne besucht - und sie sich versöhnen.

Danach leben sie in weiter Entfernung von Kameras, was sicher auch daran liegt, dass John Lennon als Hausmann Sohn Sean erzieht, während Yoko Ono das Vermögen der Familie mehrt. Erst 1980 veröffentlichen die beiden wieder ein Album, "Double Fantasy", zu dem jeder genau die Hälfte der Stücke beigetragen hat. Und die Platte ist erfolgreich. Auch weil die Kritik endlich die Beiträge Yoko Onos anerkennt. Doch am 8. Dezember 1980 wird John Lennon erschossen.

Sie hat allein weitergemacht, als berühmteste Witwe der Welt. Nicht nur mit der Musik, auch mit der Kunst. Doch bis zu dieser umfassenden Retrospektive in Frankfurt stellten Kuratoren ihr Werk meist nicht aus, sondern nur ab. Niemand bremste die Berühmtheit aus, wo sie kitschige oder alberne Einfälle groß umsetzen wollte. Dennoch wird aus der Frau, die im Jahr 2003 in Paris wieder still sitzt für ein "Cut Piece", bei aller schlanken Eleganz keine alte Dame.

2009 nimmt sie "Feeling the Space" auf, seit 1973 zum ersten Mal ein Album unter dem Bandnamen Yoko Ono/Plastic Ono Band. Im selben Jahr wird sie auf der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sicher hat sie sich viel von der Anerkennung als junge Avantgardistin verdient, nicht mit den Wish-Trees, von denen auch jetzt wieder zwei im Foyer der Schirn aufgepflanzt wurden. Aber man wünscht der Künstlerin, die 2007 eines ihrer Alben selbstironisch "Yes, I'm a Witch" betitelte, dass sie eines Tages ihrem Status als übrig gebliebenes Element des Amalgams Lennon mit der Ironie begegnet, die ihr Mann aufbrachte, als man ihn danach fragte, wie er all die öffentlichen Attacken ertragen habe. Gar nicht, grinste er, "ich glaube, die Zeit verwundet alle Heiler".

Yoko Ono. Half-A-Wind Show. Eine Retrospektive. Schirn Kunsthalle, Frankfurt. Bis 12. Mai. Der Katalog kostet 39,95 Euro.

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