Y'akoto über das afrikanische Flüchtlingselend:"Viele sind nicht am Ort ihrer Wahl"

Sängerin Y'akoto

Y'akoto: "Ich bin eine Person, die es immer weiterzieht und trotzdem habe ich auch das Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit, Schutz und einfach Stabilität."

(Foto: Emmanuel Bobbie Bob Pixel)

Sie lebt in Hamburg, doch als Tochter eines Ghanaers kennt Musikerin Y'akoto die Verhältnisse in Afrika sehr genau. Auf ihrer neuen Platte "Moody Blues" gedenkt sie der ertrunkenen Flüchtlinge von dort. Ein Gespräch über das Wandeln zwischen den Welten und die Würde des Menschen.

Von Paul Katzenberger

Viel polyglotter als Y'akoto kann man kaum sein: 1988 in Hamburg geboren und in Ghana aufgewachsen, pendelte die Tochter einer Deutschen und eines Ghanaers von Kindesbeinen zwischen Deutschland und Afrika hin und her. Inzwischen ist sie Mitte zwanzig und lange noch nicht sesshaft geworden, ihr Zuhause teilt sich derzeit auf zwischen Hamburg, Paris und Lomé, der Hauptstadt Togos.

Die Grundlagen für eine Musikerinnen-Karriere legte Y'akoto schon in der Kindheit - mit 13 hatte sie Auftritte in Jugendclubs, heute gilt sie als Nachwuchshoffnung des deutschen Soul, wobei sie selbst sich gegen diese Einordnung wehrt: "Ich weigere mich zu sagen, ich würde Soul-Musik machen, Soul-Seeking-Musik trifft es viel besser." Was sie meint, wenn sie mit ihrer Musik die Seele sucht, erklärt sie im Interview mit Süddeutsche.de. Ihr neues Albums "Moody Blues" erscheint am 22. August.

SZ.de: Sie werden mit Billie Holliday und Nina Simone verglichen. Sind das Vorbilder für Sie?

Y'akoto: Frauen, die meine Musik und die Art, wie ich Texte schreibe, inspiriert haben, sind eher Sade, Beth Gibbons oder Björk, Moloko und Joan Armatrading. Nina Simone hat mir immer ein bisschen Angst gemacht, wenn ich ehrlich bin.

Warum das?

Meine Mutter hatte natürlich eine Platte von ihr, und bei "Mississippi Goddam" habe ich mich immer gefürchtet, weil sie da so wütend klingt. Wenn ich mich im Nachhinein mit ihrem Epos beschäftige, ich habe viel über sie gelesen, auch über Billie Holliday, dann bin ich natürlich sehr angetan, dass ich mit diesen Frauen verglichen werde. Aber das ist für mich eine ganz andere Liga.

Der Sound Ihrer Lieder ist reduziert. Sie wollen Geschichten erzählen, wie Sie einmal gesagt haben. Gleichzeitig sind Sie eine Vollblut-Musikerin, seit Kindesbeinen spielen Sie Klavier. Schmerzt es da nicht, die Musik zu beschränken?

Überhaupt nicht. Ich habe mir da in jungen Jahren die Hörner abgestoßen. Im Alter von 13 bis 18 Jahren habe ich nur in Band-Kellern ganz laute Musik gespielt. Und habe alles gemacht, was ich machen wollte, von Punk, Reggae, Soul, Elektro, Ambience bis dahin, nur noch mit dem Computer Musik zu machen. Dann wollte ich A-capella-Künstlerin werden und habe mir eine Loopstation gekauft, und habe ganz nach dem Vorbild von Camille gearbeitet. Deswegen tut es jetzt gut, aus meinem Projekt etwas ganz Intimes zu machen. Auf Abstand zu gehen, und sich wirklich nur auf die Essenz zu konzentrieren.

Sie könnten ja auch ganz auf die Musik verzichten - reine Geschichtenerzählerin werden.

Ich mag Geschichten, die unterlegt sind mit Sound. Ich fand früher schon immer die Hörspiele gut, in denen viel Musik war, zum Beispiel "Peter und der Wolf". Diese ganzen neuen Sachen, in denen nur Sprechstimmen waren, haben mich nie interessiert.

Wohl, weil die Musik die Emotionen in anderer Weise berührt. So arbeitet ja auch der Film.

Ja, genau. Ich bin eine ziemliche Cineastin, was daher kommt, dass ich als Kind mit meiner Mutter jede Woche im Kino war. Das hatte sie mir versprochen, weil wir keinen Fernseher angeschafft hatten. Da sind einige Filme im Kopf stecken geblieben, auch weil sie mit so wunderbarer Musik unterlegt sind, zum Beispiel "Die Unberührbare" mit Hannelore Elsner.

In dem Lied "Off the boat" auf Ihrem neuen Album geht es um einen Flüchtling, der auf dem Meer stirbt. Sie haben gesagt, dieses Lied sei Ihnen besonders wichtig. Ist das so, weil die vielen ertrunkenen Flüchtlinge derzeit so häufig in den Nachrichten auftauchen?

Ich habe "Off the boat" schon geschrieben, als ich noch in der Ausbildung war. Dieses Lied ist schon vor "Baby Blues" (Y'akotos erstes Album von 2012, Anm. d. Red.) entstanden, also lange bevor diese große Aufmerksamkeit hier in Deutschland auf das Thema gerichtet worden ist. Mich hat das schon lange beschäftigt, weil ich zwischen zwei Kontinenten aufgewachsen bin.

"Vielleicht klopfen wir eines Tages selber an Türen"

Das heißt, Sie kennen persönlich Leute, die eine Flucht über das Meer erwogen haben, oder geflüchtet sind?

Ich bin sehr regelmäßig in Westafrika und bewege mich dann nicht nur in der Mittelschicht. Dort erlebe ich diesen unglaublichen Drang, weg zu wollen, und zwar nicht aus emotionalen Gründen, sondern aus ökonomischen Motiven heraus. Es gibt auch hier in Deutschland unglaublich viele Menschen, die nicht am Ort ihrer Wahl sind, sondern an einem Ort, an dem sie eine Zukunft haben können. Dass die Welt so an den Menschen zerrt und sie herumstößt, das hat mich schon immer gepackt. Denn wie viel da auseinander gerissen wird, ist uns manchmal gar nicht bewusst. Dahinter sind Beziehungen und Familien.

Warum haben Sie "Off the boat" dann nicht schon auf Ihrer ersten Platte veröffentlicht?

Ich hatte das Lied damals richtig auskomponiert und auf "Moody Blues" ist es jetzt in einer sehr reduzierten Version zu hören. Das Lied lag so lange im Archiv, weil ich damit nicht zufrieden war. Ich hatte immer das Gefühl, die Musik nimmt der Geschichte einen Teil ihrer Intensität, bis mir klar wurde, dass es so sein sollte wie ein Lied, das die Sklaven bei der Arbeit gesungen haben. Nur mit Gesang und diesem dumpfen Knall, den man nun hört und für den ich mit dem Kochlöffel gegen mein Holzbett getrommelt habe.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, um das Elend der Flüchtlinge zu lindern?

Das weiß ich nicht. Mit Gesetzen kenne ich mich nicht aus. Empathie ist das, was ich schon bei "Baby Blues" versucht habe, zu vermitteln. Ich glaube, wenn wir uns bewusst werden, dass diese Geschichten nicht weit weg sind von uns, wäre schon etwas erreicht. Wir in Europa wissen nicht, wie es beispielsweise mit den Klimabedingungen bei uns weiter geht, und vielleicht klopfen wir eines Tages selber an Türen.

Wie sollen wir Ihrer Meinung nach die Empathie zum Ausdruck bringen?

Zunächst geht es darum, überhaupt ein Gefühl dafür zu entwickeln. Dafür muss man Barrieren aufbrechen, Neugierde zeigen, Fragen stellen: 'Wo kommst Du eigentlich her? Warum bist Du hier?' Die Leute kommen ja nicht hierher, weil sie in den Heidepark gehen oder einmal um die Alster tuckern wollen.

Sicher, da muss man nur einmal in Berlin mit der U-Bahn fahren.

Genau. Oder im Restaurant einmal nach hinten in die Küche gehen, oder im Club auf die Toilette, um mit den Menschen zu sprechen, die dort arbeiten. Jeder Mensch hat ja eine Würde, und diese Würde kann man herstellen, indem man ins Gespräch geht.

Sie kennen beide Welten, weil Sie sowohl in Afrika als auch in Westeuropa leben und auch aufgewachsen sind. Wie blicken die Menschen in Afrika nach Ihrer Wahrnehmung auf die westlichen Wohlstandsgesellschaften?

Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Ghana, wo ich viel arbeite, ist beispielsweise ein stabiles Land mit einer funktionierenden Demokratie. Dorthin kehren die Menschen aus Europa sogar eher zurück. Dort hat sich das Bild vom Westen ziemlich relativiert, und die Menschen werden sich zunehmend bewusst, dass sie nur im eigenen Land überhaupt ein Gestaltungsrecht haben.

"Ich übe mich mittlerweile in Akzeptanz"

Den unglaublichen Drang, weg zu wollen, von dem sie gesprochen haben, erleben Sie dort also nicht.

Dort nicht, wenn ich aber im Tschad an der Grenze zum Sudan in Abeche bin, wo viel Armut herrscht und Kriegsfolgen zu spüren sind, da hat der Westen natürlich eine große Anziehungskraft auf die Menschen. Der Westen wird dort auch sehr stark mit Frieden verbunden. Es kommt also immer darauf an: Ein Mensch, der politisch verfolgt wird, weil er sich gegen ein diktatorisches System auflehnt, der idealisiert natürlich Europa.

Wie ist die Situation in Lomé, wo Sie wohnen?

Die Lage dort ist angespannt. 2005 kam es zu schlimmen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und der Bevölkerung, bei denen Bekannte von mir Angehörige verloren haben. Am meisten bricht es mir aber das Herz, dass es dort so viel künstlerisches Talent gibt, aber keinerlei Infrastruktur, um davon Gebrauch zu machen. Egal in welchem Bereich: Für einen Bäcker ist es unglaublich schwer, eine Bäckerei aufzumachen, und für einen Tänzer ist es nahezu unmöglich, Gelder für ein Projekt aufzutreiben.

Sie greifen in den Texten ihrer Lieder auf "Moody Blues" sehr viele unterschiedliche Themen auf, aber einen gemeinsamen Nenner meine ich erkannt zu haben: den Gegensatz zwischen dem Bedürfnis nach persönlicher Nähe auf der einen Seite und dem Freiheitsdrang auf der anderen Seite. Ist das eine Thematik, die Sie sehr beschäftigt?

Von diesem roten Faden ist "Moody Blues" auf jeden Fall durchzogen. Um da mal in die Tiefe zu gehen, war das Album sehr gut. Ich bin eine Person, die es immer weiterzieht und trotzdem habe ich auch das Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit, Schutz und einfach Stabilität.

Bekommen Sie beides unter einen Hut?

Ich habe mir mit meinem Job als Sängerin etwas ausgesucht, was das Geordnete, Absehbare und Berechenbare nicht unbedingt bedingt. Aber ich glaube, dass Menschen beides brauchen, obwohl es schwierig ist, beides zusammenzubringen. Darum geht es, wenn ich von "Soul Seeking" spreche: diese gegensätzlichen Bedürfnisse zu befriedigen.

Und was überwiegt bei Ihnen im Augenblick: der Freiheitsdrang oder das Bedürfnis nach menschlicher Nähe?

Das ist beides gleich. Das ist Schatten und Licht. Ich ziehe los und im nächsten Moment fällt mir auf, wie ich das andere brauche. Der Frieden ist dann zu finden, wenn man das akzeptiert. In dieser Akzeptanz übe ich mich mittlerweile.

Y'akoto "Moody Blues" (Erscheinungsdatum: 22. August 2014). Im Dezember ist die Künstlerin mit dem Album auf Tournee in Deutschland.

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