Wort des Jahres:"Abwrackprämie" - ein medialer Sprachinzest

Alljährlich wird das "Wort des Jahres" gekürt. Doch die Sprachforscher schauen den Deutschen nicht aufs Maul. Sie sitzen der Artikulationsnot auf.

Bernd Graff

"Bleiben Sie der Sprachentwicklung auf der Spur! Schließen Sie sich der Gesellschaft für deutsche Sprache an!" So steht es auf der Homepage eben jener Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), die sich einmal jährlich von ihrer gewiss spannenden Spurensuche abwendet, aufrichtet, um etwas theatralisch bekanntzugeben, was sie so übers Jahr gefunden hat.

Abwrackprämie Wort des Jahres ddp

Die Spurensucher sind auf die Spuren gestoßen, die sie selber hinterlassen haben.

(Foto: Foto: ddp)

Man weiß nicht, wie man sich das Konglomerat einer suchenden Sprachgesellschaft vorstellen muss, aber so viel ist sicher: Die Leutchen dort haben Ahnung, wie man seine fifteen minutes of fame und die Klaviatur unserer Aufmerksamkeitsökonomie bespielt.

Der Natur der Jahressache gemäß meldet sich der Sprach-Spür-Trupp am Ende jeden Jahres, kurz vor dem weihnachtlichen Erschöpfungskoma. Doch sie präsentiert dann nicht Wörter, die bei den Deutschen ständig in Gebrauch sind. Also die normalen Dauerbrenn-Wörter wie "cool, Krise, Katastrophe". Die Sprachler schauen den Deutschen nicht aufs Maul, sondern wollen vielmehr in deren Hirn - oder noch besser: sogar dahinter.

Sie wollen also nicht den bestimmten Artikel, das einfache Hauptwort, nicht die tägliche Kommunikation. Sie wollen intellektuelle Verdichtung. Ran also an die Essenz allen Redens; und, da die Fährtensucher ihren Wittgenstein nicht mit Schaumlöffeln gegessen haben, über diese Redensessenz auch ran an die Kulmination des teutonischen Denkens.

Denn in Wittgensteins Tractatus-Konklusio "Worüber ich nicht reden kann, muss ich schweigen" schwingt ja immer mit, dass wenn schon nicht geschwiegen wird, dann muss ja von irgendwas Bedeutendem die Rede sein. Die Gesellschaft findet dieses meistens in Komposita, in zusammengesetzten Nomen und Wendungen, die irgendwann im Lauf des Jahres aufpoppten, um sich in den Tiefen der Hirnwindungen einzunisten, als ob es nichts Selbstverständlicheres gebe.

Das also, was in einem Jahr mutmaßlich der Fall (gewesen) ist, wird ans Licht gezerrt und dann natürlich auch irgendwie gedeutet. Ein Neu-Wort sofort als Begriff, der prägnant sein soll für jenen Epochenabschnitt, der 365 Tage umfasst.

Der "Abwrackprämie" also ist diese Deutungshoheit für das Jahr 2009 zugesprochen worden. Es waren nicht: "Deutschland ist Europameisterin", "kriegsähnliche Zustände", "twittern", "Schweinegrippe", "Studium Bolognese", "Bad Bank", "Wachstumsbeschleunigungsgesetz", "Weltklimagipfel", "Haste mal 'ne Milliarde?".

Diese Wendungen wurden es wohl schon deshalb nicht, weil man sie keine Neo-Komposita nennen kann, die in die Überschriftszeile einer Zeitung passen. Und genau daran erkennt man den Denkfehler, welcher der alljährlichen Wortwahl innewohnt, und dem Spurensucher manchmal aufsitzen: Sie sind auf die Spuren gestoßen, die sie selber hinterlassen haben.

"Es geht nicht um Worthäufigkeiten, sondern um eine sprachliche Chronik des zu Ende gehenden Jahres. Auch ist mit der Wortauswahl keine Wertung beziehungsweise Empfehlung verbunden." So lautet die schale Rechtfertigung, die den Wortcharts auf der Gesellschafts-Homepage vorangestellt wird. Ja, was ist das denn?

Die "Sammlung von Wörtern und Wendungen, bei der Zuschriften an die GfdS berücksichtigt wurden" (ebenfalls Homepage) scheint also eher nach einem diffusen Bauchgefühl und dem allgemeinen Hörensagen zusammengestellt worden zu sein. Und da muss man eben feststellen: Die Wahlwörter entstammen der Wortwahl genau jener Medien, für die der Kürakt zelebriert wird.

Das "Wort des Jahres" wird gefunden auf der fragilen Ringspur eines logischen vicious circle. Man weiß immer schon, was man finden wird, bevor man sich auf die Suche macht - und noch viel schlimmer: Das Wahlwort entspringt nicht dem deutschen Sprachgebrauch, sondern schwebt in der dünnen Luft eines Kommunikationsäthers, der leider lebt von einem medial verbreiteten Formulierungsdrängen, oft auch einer reinen Artikulationsnot im Angesicht der lauschenden Öffentlichkeit. Anders ist die Erfindung eines solchen Monstrums wie das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" nicht zu erklären, das zudem einen logischen Irrwitz ausdrückt. Denn entweder wächst etwas, dann wächst es, oder etwas wird beschleunigt, dann wächst es nicht mehr.

Sei es also, dass Politiker in Mikrofone schwätzen, sei es, dass Journalisten kreativ Zeilen füllen müssen, sei es, dass eine "Abwrackprämie" zum Suchbegriff bei Google werden muss, weil man nur so an eben diese Abwrackprämie kommt, wenn man sein Auto verschrotten möchte.

So weiß auch niemand, warum die oben genannten Begriffe und Redewendungen nicht zugleich "Unwörter des Jahres" sein sollen. All das erschließt sich eben nicht, wenn man medialen Sprachinzest in fiebernder Nervosität betreibt - und unter dem Druck steht, seine 15 Minuten im Scheinwerferlicht irgendwie auch füllen zu müssen. So herrscht veröffentlichte Sprachbeliebigkeit.

Das Jahrwort der Deutschen kann darum gar nicht jenes sein, das zum "Wort des Jahres" gekürt wird. Sonst wären die "Nullerjahre", das "iPhone", die "App", die "Luft nach oben" oder der "Instinktstürmer" auf der Liste.

Wollte man also interessehalber tatsächlich ein "Wort des Jahres" finden wollen, dann, sollte man der Gesellschaft für deutsche Sprache womöglich besser nicht beitreten. Man müsste mal mit Menschen reden.

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