Woody Allen "Pure Anarchie":Chaos und Komik

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Der amerikanische Regisseur, Autor und Schauspieler hat nach fast 25 Jahren wieder neue Erzählungen veröffentlicht. Ein Gespräch über die "middle-brow"-Kultur, komische Prosa und Familienhysterie in Manhattan.

Interview und Übersetzung: Lothar Müller

SZ: Mr. Allen, dauert es lange, eine kurze Geschichte zu schreiben?

Woody Allen bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Barcelona im Juni 2007. (Foto: Foto: Reuters)

Allen: Nein. Einige kosten mehr Zeit als andere. Aber alle sind kurz, denn mit einer guten Idee ist man ziemlich schnell am Ende. Es handelt sich dabei auch nicht wirklich um Storys, um Erzählungen. Im New Yorker nennt man sie "casuals", das sind kleine komische Prosastücke, die keine feste Definition haben. Hauptsache, sie sind komisch.

SZ: Man spricht im Unterschied zur formellen Kleidung von "casual wear". Gibt es einen Zusammenhang zwischen "casual wear" und "casual writing"?

Allen: Ja, den gibt es bestimmt. "Casuals" haben weder den Anspruch "short stories", noch den, Essays zu sein. Sie sollen amüsieren, lustig sein.

SZ: Den Schriftstellern in Ihren Texten geht es nicht sehr gut. Einige müssen dauernd fürs Kino arbeiten. Es gibt den Film schon, und sie sollen ein Buch daraus machen.

Allen: Ja, das gibt es wirklich, das wird dauernd gemacht. Es ist in den Vereinigten Staaten nicht ungewöhnlich, aus erfolgreichen Filmen Bücher zu machen, als Zusatzgeschäft in Flughäfen und Supermärkten.

SZ: Eine Ihrer Figuren entwirft den Plan zu einem Broadway-Musical "Fun de Siècle", über das Wien der Jahrhundertwende. Anspielungen, Zitate aus der europäischen Kultur sind bei Ihnen eine verlässliche Größe . . .

Allen: Es gibt eben in den Vereinigten Staaten zwei Kulturen, die des westlichen Amerika und die der Ostküste. Die urbane Kultur des Ostens, vor allem in New York, lässt sich nach wie vor von Europa inspirieren. Je weiter man nach Westen kommt, desto mehr nimmt die Kultur ein anderes Aroma an, zum Beispiel ein Mark-Twain-Aroma, und die Literatur des Südens hat wiederum ihren eigenen Charakter. Für die Literatur und Kultur der Ostküste ist eben diese Tendenz charakteristisch: sich von der europäischen Kultur inspirieren zu lassen.

SZ: Einem der Schriftsteller, die in Ihren Texten vorkommen, wird gesagt, er soll bitteschön für "low-brows" schreiben. Was hat es mit dieser Allgegenwart der Unterscheidung von "high-brow" und "low-brow" auf sich?

Allen: Das ist etwas, was es vermutlich auf der ganzen Welt gibt, ganz gewiss aber in den Vereinigten Staaten. Es gibt hier einen riesigen Markt für "low-brow"-Kultur, und auch eine einigermaßen große "middle-brow"-Kultur, die man nicht verachten soll. Sie ist respektabel. Die "low-brow"-Kultur ist einfach nur schrecklich. Die "high-brow"-Kultur hatte immer nur eine kleine Leserschaft, ein kleines Theaterpublikum. Ich bin sicher, das ist in Europa ähnlich. Ich schreibe für Leser, die ein gewisses Maß an Humor, an Witz besitzen, außerdem so etwas wie elementare Bildung, einen gewissen Wortschatz. Das muss keine herausragende Bildung sein, das Wichtigste ist der anspruchsvolle Sinn für Humor . . .

SZ: Es gibt bei Ihnen Eltern, die in eine regelrechte Lebenskatastrophe schlittern, nur weil ihr Sohn die Aufnahmeprüfung für den besten privaten Kindergarten in Manhattan nicht schafft. Ist das wirklich so schlimm?

Woody Allen, Pure Anarchie. Stories. Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch. Verlag Kein&Aber, 192 S.,16,90 Euro. (Foto: Foto: Kein&Aber)

Allen: Ja. Es gibt hier nursery schools, preschools für die ganz Kleinen, wenn sie gerade mal drei oder vier sind. Und da konkurrieren manche Leute mit allen Mitteln darum, ihre Kinder auf die renommiertesten preschools zu bekommen. Sie versuchen es mit Geld, mit Bestechung. Und es ist dann ein riesiges Desaster, wenn es nicht klappt. Die Mythologie dahinter ist, dass man, wenn das Kind älter wird, zu einer Elite-Universität gehen und sagen kann: Mein Kind hat seine Ausbildung auf einer dieser wunderbaren preschools begonnen. Das ist natürlich alles Unsinn, reine Fiktion. Aber die Leute glauben wirklich, ihr Leben sei ruiniert, wenn das Kind mit drei Jahren nicht in die richtige Schule kommt. Das finde ich komisch, das ist für mich ein grotesker, absurder Stoff.

SZ: Der Fehlschlag, der Misserfolg gehört zu Ihren Lieblingsthemen. Ist das eine Grundregel des Komischen: Misserfolg ist komisch, Erfolg nicht?

Allen: Ja, Missgeschick und Ungemach sind komisch. Da braucht man nur an Chaplin oder Buster Keaton zu denken. Wenn einer auftritt, der auf lauter Widrigkeiten trifft, sich in Probleme verstrickt, lauter Schwierigkeiten hat, das ist für das Publikum, im Theater wie im Buch, immer lustiger als der gerade, er-folgreiche Weg, auf dem es kaum Konflikte gibt. Die Katastrophen des Lebens sind der beste Stoff für die Komödie - sie sind aber natürlich auch der beste Stoff für das Drama, für ernste, tragische Geschichten: Mord, Lust, Inzest, Betrug, Diebstahl - daraus sind die besten Dramen und Tragödien gemacht, sie sind aber zugleich Gegenstände, die eine überaus komische Darstellung erlauben.

SZ: Von einer Ihrer Figuren wird gesagt, sie sei nicht komisch, weil sie Scherze macht, wie man die vor fünfzig Jahren machte. Die Figur lebt im Schatten der Geister und Dämonen der Tradition, wie das in Ihren Filmen schon in "Play it again, Sam" war. Warum blicken Sie immer zurück auf die Traditionen der Komik, des Witzes, der Pointe?

Allen: Es gibt in den Vereinigten Staa-ten eine sehr starke komische Tradition, die viel weiter zurückgeht als fünfzig Jahre, in die zwanziger, dreißiger Jahre, und ich fühle mich dieser amerikanischen Traditionslinie der kleinen komischen Prosastücke zugehörig. Autoren wie S. J. Perelman und Robert Benchley waren für mich sehr wichtig, bis zu einem gewissen Grad auch James Thurber oder Ring Lardner.

SZ: Macht es einen Unterschied, ob man "casual stories" schreibt oder Filmszenen?

Allen: Ja, da liegen Welten dazwischen. Wenn man für den Film oder für ein Live-Publikum schreibt, braucht man unbedingt die großen Lacher oder man ist in ernsthaften Schwierigkeiten. Und es gibt viele Dinge, die sich komisch anhören, wenn man sie laut ausspricht. Das ist ein vollkommen anderes Phänomen, als wenn die komische Wendung an das innere Ohr des Lesers adressiert ist, wenn das nur in seinem Kopf geschieht. Da ist es ruhig, und man hört eigentlich nichts, man liest nur. Wer für ein leibhaftiges Publikum schreibt, muss sehen, dass er keine Ungewissheit lässt, dass er die Leute dazu bringt, alles unmittelbar zu verstehen, an der richtigen Stelle zu lachen, und dann muss man schon zum nächsten Lacher kommen. Da hat man nicht viel Raum für Hintersinniges.

SZ: Ist das Leben von sich aus komisch, oder sehen Sie Ihre Aufgabe darin, es komisch erscheinen zu lassen?

Allen: Das Leben ist meistens schrecklich. Es gibt Momente des Lachens darin, in denen es amüsant und lustig ist, aber das sind Abschweifungen, von denen man immer wieder auf das zurückkommt, was das Leben wirklich ist. Und was es wirklich ist: nicht sehr bedeutend.

SZ: Was ist das Zentrum des Lebens?

Allen: Das Zentrum des Lebens ist tragisch.

SZ: Ihr Buch heißt "Mere Anarchy". Hat Anarchie für Sie etwas mit Komik und Gelächter zu tun?

Allen: Der Titel ist ein Zitat aus einem Gedicht von Yeats - "Mere anarchy is loosed upon the world, The blood-dimmed tide is loosed . . . ". Anarchie ist eine Welt des Chaos.

© SZ vom 9.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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