"Wonder Wheel" im Kino:Das Unglücksrad des Lebens

Wonder Wheel

Sie darf im Licht der Liebe erglühen, das der Kamera-Zauberer Vittorio Storaro für sie geschaffen hat: Kate Winslet in "Wonder Wheel".

(Foto: Warner)

In "Wonder Wheel" beschwört Woody Allen die Rummelplatz-Nostalgie von Coney Island, mit Kate Winslet und magischen Bildern - künstlerisch aber dreht er sich im Kreis.

Von Martina Knoben

Ausgerechnet einen Rettungsschwimmer auf Coney Island lässt Woody Allen seinen neuen Film erzählen. Mickey (Justin Timberlake) hockt sichtlich gelangweilt auf seinem Hochsitz im Strandgetümmel, beschreibt sich als "Romantiker" und erzählt, dass er eigentlich Theater studiere und von einer Karriere als Bühnenautor träume. Seien Sie gewarnt, fügt Mickey noch an: In der folgenden Geschichte seien die Charaktere überlebensgroß und melodramatisch, das sei sein Stil.

Zuverlässig wie das Riesenrad auf Coney Island, das sich bei Mickeys Ausführungen im Hintergrund dreht, kreisen auch die Filme des nun 82-jährigen Woody Allen um die immer gleichen Themen: gefährliche Liebschaften, Kunst und andere Zerstreuungen, New-York-Nostalgie, das ewige Spiel von Zufall und Schicksal. Dass "Wonder Wheel" vom Internetgiganten Amazon produziert wurde, wie Allens Serie "Crisis in Six Scenes", merkt man weder dem Stil noch der Optik des Films an.

Das Glücksrad des Lebens dreht sich diesmal in den Fünfzigern. Carolina (Juno Temple) ist noch jung, hat aber bereits den Fehler ihres Lebens begangen, als sie einen Gangster heiratete und ihn ans FBI verriet. Jetzt will sie bei ihrem Vater Humpty (Jim Belushi) untertauchen, einem Karussellbetreiber. Beim Namen Humpty denkt die englischsprachige Welt an den Kinderreim vom menschenähnlichen Ei Humpty Dumpty, das von der Mauer fällt und - "all the King's horses and all the King's men, couldn't put Humpty together again" - von keiner Macht der Welt wieder zusammengesetzt werden kann. Ja, das Glück und das Leben sind zerbrechlich, und alles geht früher oder später den Bach runter - Woody-Allen-Fans wissen das. Humptys Frau Ginny (Kate Winslet) wirkt wie die Verkörperung dieses Naturgesetzes.

Dass der Aushilfsbademeister als Erzähler fungiert, erweist sich als unglückliche Wahl

Das Drehbuch zu "Wonder Wheel" kreist so behäbig um seine eigene Achse wie das titelgebende Riesenrad, Kate Winslets Spiel aber - Ginnys Träumen, Sehnen und Scheitern - ist ein Erlebnis. Allein die Szene, in der sie Mickey ihr Leben erzählt, ist wie ein Film für sich. In ihrer Jugend war sie Schauspielerin, aber wenig erfolgreich; an Theatern war sie die Zweitbesetzung, erzählt sie Mickey. Sie lernte ihren ersten Mann kennen, wurde schwanger und machte, ähnlich wie Carolina, einen Riesenfehler: Ginny betrog ihren Mann, die Ehe zerbrach, Ginny fing an zu trinken und fand erst im gutmütigen, aber schlichten Humpty einen Rettungsanker. Jetzt jobbt sie als Kellnerin in einem AusternLokal. Endstation Sehnsucht.

Ginny beginnt eine Affäre mit dem hübschen Rettungsschwimmer, der vor allem auch als Autor fasziniert ist von der älteren Frau mit Lebenserfahrung. In Ginny wiederum lodert noch einmal die Hoffnung auf die große Liebe und die Lebenswende auf. Sie ist eine Blanche DuBois des Rummels, nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt, gerade in dem Alter, in dem Träume noch wahr werden könnten. Ginnys stets gefährdet wirkende, etwas grobe Sexyness ist außerdem sehr reizvoll und erinnert an Winslets oscarprämierte Performance in "Der Vorleser".

Dass ausgerechnet der Aushilfsbademeister Mickey als Erzähler fungiert, erweist sich allerdings mehr und mehr als unglückliche Wahl. Die Perspektive könnte erklären, warum "Wonder Wheel" so schlicht und hölzern theaterhaft wirkt - und Mickey eine ziemlich fade Figur bleibt. Auch Humpty oder die von Juno Temple sehr frisch gespielte Carolina sind kaum mehr als Rädchen im Erzählgetriebe.

Der einzige Mitspieler von Format, den Kate Winslet hat, ist die Kamera von Vittorio Storaro, der unter anderem für Francis Ford Coppolas "Apocalyse Now" einen Oscar bekam und den Rummel auf Coney Island in bunt leuchtenden Farben ausmalt. Seine Bilder betonen das Kulissenhafte des Vergnügungsparks und die Theatralik des Ganzen - das ist in den besten Momenten eine eigene Erzählung. So ist etwa das Glimmen, Auflodern und Erlöschen von Ginnys Sehnsucht allein im Licht, das Storaro den Bildern verleiht, zu erkennen. In einer besonders verführerisch illuminierten Szene verliebt sich jedoch Mickey in die süße Carolina. Ginny wird rasend eifersüchtig. So dreht sich das (Un)glücksrad des Lebens weiter und bleibt schließlich bei Verrat und Mord stehen. Woody Allen inszeniert das fast mechanisch.

Ohne das gefährliche Licht der Leidenschaft sieht alles grau und trist aus

"Wenn es um die Liebe geht, entpuppen wir uns oft als unser eigener schlimmster Feind", sagt Ginny schließlich. Angesichts der Missbrauchsvorwürfe, die Woody Allens Adoptivtochter Dylan und sein Sohn Ronan Farrow immer wieder gegen den Künstler erheben, wirkt dieser Satz äußerst merkwürdig - als spräche der Regisseur über sich. Ein Beleg für diese Vermutung könnte die Figur von Ginnys missratenem Sohn Richie sein. Er ist ein Redhead, ein Rotschopf wie Allen, aber auch ein Feuerteufel, der sich nicht zurückhalten kann, immer wieder an den unpassendsten Orten zu zündeln. Das ist irre gefährlich. Das Brennen und Leuchten, nach dem Richie offenbar süchtig ist, korrespondiert mit dem Licht, das Storaro in Szenen der Leidenschaft anknipst. Ohne dieses Licht sieht alles grau und trist aus.

Ob Allen mit dieser Figur um Verständnis für sich selbst wirbt? Das wäre ziemlich widerlich. Im Zuge der "Me Too"-Debatte in Hollywood gerät der Regisseur jedenfalls immer mehr ins Abseits. Bei der Verleihung der Golden Globes wurde gerade erst Justin Timberlake dafür attackiert, dass er in "Wonder Wheel" überhaupt mitgemacht hat. Wie es mit dem jugendlichen Brandstifter Richie weitergeht, wird im Film nicht erzählt, ist es aber klar: Er landet früher oder später im Knast - oder in der Psychiatrie.

Wonder Wheel, USA 2017 - Regie, Buch: Woody Allen. Kamera: Vittorio Storaro. Schnitt: Alisa Lepselter. Mit: Kate Winslet, James Belushi, Juno Temple, Justin Timberlake. Verleih: Warner Bros, 105 Min.

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