Wolf Biermann im Gespräch:"Ich hatte Todesangst im Westen"

Zu seinem 75. Geburtstag erinnert sich der ausgebürgerte DDR-Liedermacher an die Wenden in seinem Leben. An den Auftrag seiner Mutter, seinen Vater zu rächen, die Liebe und den Kommunismus.

Eva-Elisabeth Fischer

Wolf Biermann vollzog nach seiner Ausbürgerung 1976 und noch vor dem Mauerfall seine eigene Wende. Aus dem glühenden Kommunisten wurde der Renegat, der Golfkrieg und Atomkraft verteidigt. Am 13. November, dem Geburtstag seines von den Nazis ermordeten Vaters Dagobert, jährte sich das Köln-Konzert, das erste Biermann-Konzert im Westen, zum 35. Mal. An diesem Dienstag, 15. November, wird der Bänkelsänger und Poet 75 Jahre alt. Der Wolf ist grau geworden.

VOR 25 JAHREN WURDE WOLF BIERMANN AUSGEBÜRGERT

Der Liedermacher Wolf Biermann am 13.11.1976 in der Kölner Sporthalle. Der Künstler, der in der DDR Auftrittsverbot hatte, war von der Jugendorganisation der Industriegewerkschaft Metall und von einer Bochumer Studentengruppe eingeladen worden. Die Folge dieses Konzerts: Biermann wurde von der DDR ausgebürgert. Sein Rauswurf aus der DDR vor 35 Jahren war ein tiefer Einschnitt in seinem Leben und auch in der kulturpolitischen Szene des Arbeiter- und Bauernstaates.

(Foto: DPA/DPAWEB)

SZ: Hier mein Exemplar Ihres Gedichtbands "Die Drahtharfe", ein Geschenk meines Vaters als Beispiel für Dichtkunst als Widerstand. Welche Erinnerungen verbinden Sie damit?

Wolf Biermann: (signiert das Buch mit links in Spiegelschrift) "Die Drahtharfe" war mein erstes Buch, veröffentlicht in Westberlin bei Wagenbach 1965. Dabei hatte ich jahrelang darauf gehofft, dass meine Gedichte erstmals in der DDR erscheinen. Aber keine Chance. Die Literatur-Verwalter der DDR fühlten sich bedroht von meinen Gedichten und Liedern. Stephan Hermlin hatte 1962 in Ostberlin öffentlich gemacht, was wir dann die Junge Lyrik nannten. Da kamen solche wilden Anfänger wie Volker Braun, Sarah Kirsch, Bernd Jentsch ins Offene.

Die Herrschenden waren halb besorgt über die neuen Töne, aber auch halb entzückt, weil sie eine Chance witterten, die Jugend zu gewinnen. Und so ein kleiner Rattenfänger mit der Gitarre war ihnen eigentlich hochwillkommen. Sie ärgerten sich nur, dass der Biermann so dumm war und so eitel und nicht auf der Parteilinie. Sie hatten aber die Hoffnung, dass sie mich noch hinbiegen könnten. Es gab außerdem auch in der Parteiführung zu allen Fragen verschiedene Meinungen.

SZ: Offiziell wusste man seit dem Jahr 1956, seit dem Parteitag der KPdSU, was Stalin angerichtet hatte, aber inoffiziell wusste man das doch schon viel länger. Warum hat einer wie Sie keine Konsequenzen daraus gezogen?

Biermann: Ich konnte keine Konsequenzen ziehen, weil ich geschützt war durch Unwissenheit.

SZ: Wie das?

Biermann: Weil ich in einer kommunistischen Familie aufgezogen wurde und weil ich wie ein Candide blauäugig ins rote Land kam. Ich ging dort hin, um das zu tun, was meine Mutter von mir erwartete. Auch deswegen hatte sie mich 1943 aus dem Feuer gezogen und vor der Vernichtung als Halbjude gerettet, damit ich die Menschheit rette und den Kommunismus aufbaue.

Für mich war ja Kommunismus ein heiliges Wort. Dafür war mein Vater gegen die Nazis angetreten. Ich sollte, wie meine Mutter das in ihrer kindlichen Sprache sagte, meinen Vater rächen. Was das heißen sollte, wusste sie selber nicht. Deswegen ging ich mit 16 Jahren in den Osten und wunderte mich, dass mir so viele Leute entgegenkamen.

SZ: Ihr Glauben hielt vor, bis zu Ihrer Ausbürgerung 1976. Unglaublich.

Biermann: Natürlich merkte ich dann sehr schnell, dass das Arbeiter- und Bauernparadies kein Paradies war. Aber als uns Jungen der Bildhauer Fritz Cremer, Schöpfer des Buchenwald-Denkmals, die Propagandalüge eintrichterte, dass in Ungarn nicht die Freiheitskämpfer erschlagen würden, sondern gekaufte Konterrevolutionäre, wollte ich das gerne glauben. Danach aber wurde ich kritischer und fing überhaupt nun erst an, Lieder und Gedichte zu schreiben.

SZ: 1965 bekamen Sie dann die Quittung . . .

"Ich hatte mehr Geld, als ich brauchte"

Biermann: . . . ein Totalverbot, und das war kein Missverständnis aus meiner Sicht, das hatte ich mir redlich verdient. Aber das Fundament meiner Existenz war immer noch: Ich bin der Kommunist, und ihr, im Politbüro der SED, seid Antikommunisten. Ich wollte mit dem Herzen nicht begreifen, was ich im Kopf schon hatte begreifen müssen. Dieses Missverhältnis kennt jeder, der mal verliebt war.

Geburtstagskonzert von Wolf Biermann

Wolf Biermann: "In der DDR sollte ich meinen Vater rächen."

(Foto: dapd)

SZ: Sie durften zwölf Jahre lang nicht auftreten, nichts veröffentlichen. Wie rettet man sich über eine solche Zeit?

Biermann: Mein Glück war, dass ich in einer Zeit lebte, in der das Tonband erfunden war. Meine Lieder verbreiteten sich rasant von Kopie zu Kopie. Wenn jemand so etwas hinter verschlossenen Türen hört in einer Diktatur, ist die politische Botschaft die: "Du bist nicht so allein, wie du denkst. Solche wie dich gibt es Tausende." Ich konnte also sehr gut überleben, denn meine Gedichte waren im Osten noch mehr verbreitet als in den linken Wohngemeinschaften im Westen. Ich hatte in diesen Jahren außerdem immer viel mehr Geld, als ich zum Leben brauchte.

SZ: Wie kam das?

Biermann: Als ich verboten war, kamen aus der DDR gar keine Tantiemen, aber der Klassenfeind dudelte die Lieder umso lieber, die Kasse klingelte, die Awa, die Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte, vergleichbar der Gema im Westen - beide hatten einen Künstleraustausch -, kassierte immer mehr Westgeld für die verbotenen Lieder vom verbotenen Biermann.

Wenn die mir ein einziges Mal diese Kohle nicht rübergeschoben hätten, hätte die Gema denen keinen Pfennig mehr transferiert. Da dies eine schändliche Geschäftsbeziehung war, dass der Autor Tantiemen für Lieder bekam, für die andere nach Bautzen wanderten, habe ich dies natürlich öffentlich gemacht, so gut es ging - vorzüglich im Spiegel.

SZ: Als Havemanns Sohn in den Westen floh, schrieben Sie "Enfant perdu" und Ihre Ausbürgerung empfanden Sie als kleines Sterben. Wann ist bei Ihnen der ideologische Zeiger umgefallen?

Biermann: Wenn ich überhaupt einen Punkt setzen kann, dann war das meine Begegnung mit Manès Sperber in Paris. Der hat mir den faulen kommunistischen Zahn gezogen, zwei, drei, vier Jahre nach meiner Ausbürgerung, also sehr spät.

SZ: Was Sie hier im Westen erleben, geht Ihnen existentiell längst nicht so nah wie das im Osten. Wird deshalb das, was Sie schreiben, weniger dringlich?

Biermann: Als ich in den Westen kam, lief ich herum wie einer mit dem eigenen Kopf unter dem Arm. Mir fehlten nicht nur die nahen Freunde, sondern vor allem auch meine vertrauten Feinde. Ich hatte Todesangst, dass ich hier kaputtgehe im Westen - das sollte ich ja auch. Ich hatte alles, was ich im Osten geschrieben hatte, auch im Westen veröffentlicht und kam nicht mit einem Sack ungesagter Wahrheiten.

Im Westen war ich der Neue, der Anfänger, der Dumme. Deswegen taumelte ich in der ersten Jahren nur herum. Es gibt eine schreckliche Doppel-LP, "Eins in die Fresse, mein Herzblatt", aus dieser Zeit. Aber man sieht an ihr mit modellhafter Deutlichkeit, wie ein hochbegabter, erfolgreicher junger Dichter nichts Gutes mehr schreibt, einfach weil er kein Lebensmaterial hat, das er verarbeiten könnte. Das war '77, die Zeit der Sympathisanten-Hatz. Ich versuchte, ein linkes Nein zum Terrorismus der RAF zu formulieren.

SZ: Die Welt hat sich seitdem stark verändert, die Ideologien haben ausgedient, stattdessen gedeiht religiöser Fundamentalismus? Wie regieren Sie darauf?

Biermann: Da gibt es eine Faustregel: Der Dichter solle sich davor hüten, aller Welt ideologisch die Welt zu erklären. Die Musen verachten so was und wenden sich schaudernd ab. Die meisten Leute haben ein gutes, eigennütziges Interesse: Wie erlebst du, Gedichteschreiber und Liedermacher, die Welt, in der auch ich lebe. Und dann vergleichen sie mit sich selbst.

Im besten Fall sind starke Gedichte für die Leser eine günstige Gelegenheit der Selbsterkenntnis oder der Selbstvergewisserung, oder auch einer produktiven Selbstverunsicherung. Wenn ein Lied das liefert, dann lohnt sich die Poesie für die sogenannte Kundschaft - egal, ob sie in der Demokratie mit Geld zahlt oder in der Diktatur mit Gefängnis. Mein Kopf ist voll auch mit solchen tragischen Geschichten, weil solch ein rebellischer Poet im Streit der Welt auch schuldlos schuldig werden kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: