Wohnungsbau:In der Schublade

Wohnungsbau in Berlin

Ein zu seltenes Bild: Berliner Architekten prangern an, dass in der Hauptstadt zu viele Wohnbauprojekte am Anwohnerprotest scheitern.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

In Berlin scheitern neue und günstige Wohnungen oft am Widerstand der Nachbarn. Architekten beklagen das und rufen nach politischer Durchsetzung. Aber damit machen sie es sich womöglich ein bisschen zu einfach.

Von Laura Weissmüller

Die Zahl ist alarmierend. Tausende von bezahlbaren Wohnungen würden in Berlin nicht gebaut. Unzählige von großen Neubauprojekten lägen auf Eis oder seien gestoppt. Warum? Weil Anwohner protestieren - und die Regierenden sich aus der Verantwortung stehlen. So sieht es zumindest Andreas R. Becher, der Vorsitzende vom Bund Deutscher Architekten (BDA) Berlin. Becher hat bereits im Herbst vergangenen Jahres seine Mitglieder befragt. Dabei kam heraus, dass von 8200 geplanten Wohnungen lediglich 900 fertiggestellt oder im Bau sind. Der Rest parke in der Schublade. Insbesondere, weil Nachbarn und Bürgerinitiativen dagegen sind. "Seitdem ist es noch schlimmer geworden", sagt Becher im Gespräch, "politische Unterstützung fehlt." Und das, obwohl alle regierenden Parteien bezahlbaren Wohnraum ganz oben auf die Agenda gesetzt haben. "Die Politik muss es aushalten, den Leuten zu erklären, hier wird gebaut."

Wer nun aber mit Architekten der Hauptstadt über den Brandbrief des Berliner BDA-Vorsitzenden spricht, hört nicht nur Zustimmung. "An den Klagen der Bürgerproteste sind ja auch immer Architekten beteiligt", sagt etwa Arno Brandlhuber. Der BDA müsse klarmachen, dass er den sozialen Wohnungsbau wirklich will - mit all seinen Konsequenzen: mit Bäumen, die gefällt werden müssen; mit Freiflächen, die verschwinden; mit neuen Nachbarn, die näher rücken. "Der Bund kann nicht nur Ausstellungen über schöne Bauprojekte machen, er muss sich aktiv an der Meinungsbildung beteiligen." Auch die Mitglieder sieht Brandlhuber in der Pflicht. Gutachten, die als Grundlage für die Klagen Voraussetzung sind, dürften sie nicht mehr verfassen. "Architekten müssen eine neue ethische Verantwortung übernehmen."

Und sie müssten herausfinden, warum die gewünschte Teilhabe der Bürger nicht funktioniert, so Florian Köhl, Architekt in Berlin. Die Anwohner seien oft nicht darauf vorbereitet, dass sich in ihrer direkten Umgebung etwas verändern soll. "Klar, dass die Angst haben", sagt Köhl. Was in der Diskussion noch komplett fehle, sei die Frage, wie die Leute nicht nur am Verfahren, sondern auch an der Möglichkeit, in der Stadt zu leben, beteiligt werden. Etwa indem man ihnen Wohnungen im Neubau anbietet. "Im Grunde gibt es für die Anwohner gar keinen Grund mitzumachen, außer um das Projekt zu verhindern."

Womit man bei der Qualität der Neubauprojekte ist. Denn nachdem die öffentliche Hand viel zu lange das Thema bezahlbarer Wohnraum gerade und vor allem in Berlin übersehen hat, wird jetzt auf Masse gesetzt. Ideen, wie ein Neubau auch etwas an seine Umgebung abgeben kann - eine öffentliche Dachterrasse oder Erdgeschossnutzung -, haben kaum eine Chance. "Der Neubau hat ein schlechtes Image", sagt der Berliner Architekt Jürgen Patzak-Poor. Das zu ändern, muss im Interesse der Architekten sein, der Wohnungsbaugesellschaften und nicht zuletzt der Stadt. Der Brandbrief richtet sich also letztlich an alle Beteiligten.

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