Wohnkultur:Kleine Häuser mit großer Zukunft

Wohnkultur: In den slowenischen Alpen dient dieses 15 Quadratmeter große Exemplar eher als Schmuck- denn als Schutzhütte.

In den slowenischen Alpen dient dieses 15 Quadratmeter große Exemplar eher als Schmuck- denn als Schutzhütte.

(Foto: Anže Čokl)

Immer mehr Menschen wohnen im Nano-Bereich - und entsprechen damit auch räumlich dem Entschleunigungs-Trend. Wie das aussieht, zeigt der Bildband "Winzig".

Von Gerhard Matzig

Vor 30 Jahren lebte der Architekt Andreas Heise in einer 180-Quadratmeter-Wohnung im Münchner Stadtteil Lehel. Mitten in der Stadt, zwei Balkone, Stuck, Flügeltüren, riesige Zimmer, ein Flur, den Usain Bolt als Trainingsstrecke nutzen könnte. Ein Traum. Und dann doch auch ein Albtraum. Heise bekam jedenfalls eine Art Anfall in seinem XXL-Schönerwohnen-Paradies. Er zog in das kleinste Zimmer und fing an, die Wohnung von allem zu befreien, was er entbehren konnte: Schränke, Fernseher, Klamotten . . . immerhin blieb die Freundin verschont.

Bald saß Heise erschöpft in einem Zimmerchen und besaß noch Bett, Stuhl, Tisch, Schrank, ein wenig Kleidung, Papier und Bleistift. Er war glücklich. Heute lebt er in Wellington, Neuseeland. Keine Ahnung, wie es ihm geht. Hoffentlich gut. Neuseeland ist ja dann doch ein sehr weites, offenes Land.

Wann immer ein Verlag ein neues Buch über "innovative Häuser im Mini-Format" herausbringt (wie soeben die DVA den schönen Bildband "Winzig", 224 S., 29,99 Euro), sollte man dankbar an den Minimalisierungs-Heise erinnern. Er ist Ahnherr einer weltweiten Bewegung, die man mittlerweile, wäre nicht Winzigkeit ihr erklärtes Ziel, als groß, ja gewaltig beschreiben müsste.

Weniger Lebensraum scheint für immer mehr Menschen mehr Leben zu bedeuten

Das "Small House Movement" ist eine Strömung, die rasch Fahrt aufnimmt. Propagiert wird das möglichst anspruchslose Leben auf möglichst kleinem Raum. Es geht um eine Art architektonisches Downsizing, um bauliche Austerität. Die altbekannte Formel "less is more" wird also endlich auch räumliche Gewissheit. Weniger Lebensraum scheint für immer mehr Menschen mehr Leben zu bedeuten.

Die Häuser, die so entstehen, heißen Mini-, Smart-, Micro-, Compact- oder Tiny-Houses und markieren eine Antwort der Architektur auf den gesamtgesellschaftlichen Trend zur Reduktion. Passgenau zum Slim-Fit-Ideal in der Mode, zur Coke "Zero" im Supermarkt und zum Dreiliterauto auf der Straße. Die Enträumlichung entspricht der Entschleunigung.

Große Häuser sind nun mal teuer im Bau und energiehungrig, überdies stehen sie in einer überalterten Singlegesellschaft gerne auch mal leer. Der immer nomadischer organisierten Gesellschaft, deren Protagonisten häufig gezwungen sind, der Arbeit hinterherzuziehen, entsprechen eher jene smarten Häuser, die sogar auf Rädern transportabel oder durch ihren modularen Aufbau wenigstens zerlegbar sind. Kurz: Kleines hat eine große Zukunft. Die Verkaufszahlen etwa der Fertighaushersteller auf diesem Sektor belegen das.

Das DVA-Buch "Winzig" von Sandra Leitte fügt den schon bekannten Minimal-Habitaten einige bemerkenswerte Exemplare aus aller Welt hinzu. Die Häuser, die sie von vier bis 95 Quadratmeter versammelt, sind jedoch mehr als nur Raumkuriositäten. Sie illustrieren auch eine durchwegs ambitionierte Form- und Materialfindung. Zwar dienen nicht alle Beispiele dem dauerhaften Wohnen, manche Objekte werden etwa als Schutzhütten oder Ferienhäuser genutzt, aber wichtiger ist: Die meisten Beispiele lehren den Unterschied zwischen räumlicher Qualität und räumlicher Quantität. Reduktion und mehr noch Konzentration können so zum Mehrwert führen. Das Verdienst des Buches besteht auch darin, diesen Mehrwert als Aspekt der Ästhetik begreifbar zu machen.

"Small is beautiful": Das ist der Titel eines Buches, das der britische (und deutschstämmige) Ökonom Ernst Friedrich Schumacher schon vor mehr als 40 Jahren verfasste. Darin beschreibt er, wie man "ein Maximum an Glück mit einem Minimum an Konsum" erreichen kann. Dieser Konsum bezieht sich aber nicht nur auf Güter, sondern zunehmend auch auf den Raum. Der ist in ästhetischer wie funktionaler Hinsicht nun mal auch in der kleinsten Hütte das, worauf es ankommt.

Übrigens werden Einfamilienhäuser kaum den Raumhunger einer verstädterten Welt stillen. Das EFH, so klein es auch sein mag, ist nicht die Zukunft. Aber die Studien, die in Büchern wie "Winzig" dokumentiert werden, sind dennoch ein Fingerzeig darauf, wie das Wohnen der Zukunft auch in größeren Mehrfamilienhäusern aussehen kann: klein, kleiner, großartig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: