Konferenz über Islamophobie:Woher die Vorurteile gegen den Islam stammen

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Orient und Okzident - eine alte Hassliebe. Doch woher kommen die teils jahrhundertealten Vorurteile? Eine Tagung versucht die Ursprünge heutiger Islamophobie zu ergründen - und andersrum die Vorbehalte gegenüber dem Westen.

Marius Nobach

Wenn in der europäischen Gesellschaft das Bild des Fremden heraufbeschworen wird, muss in diesen Tagen fast immer die arabisch-islamische Welt dafür herhalten. Islamkritiker warnen vor Überfremdung, rechtsgerichtete Politiker fordern einen Einwanderungsstop für Migranten aus muslimischen Staaten oder haben in den Ländern, in denen sie an der Regierung beteiligt sind, bereits Maßnahmen ergriffen, um die Zuwanderung zu beschränken. Als Begründung wird immer wieder die angebliche Unvereinbarkeit europäischer und muslimischer Traditionen vorgebracht und, insbesondere seit dem 11. September 2001, die Angst vor islamistischem Terror geschürt. Im Gegenzug wird von Fundamentalisten in der muslimischen Welt der Westen als islamfeindlich verteufelt. Das derzeitige Verhältnis von Okzident und Orient als schwierig zu bezeichnen, wäre daher noch untertrieben.

Woher kommt die heutige Islamophobie? Eine Tagung in München betreibt Ursachenforschung. (Foto: ddp)

Dass diese Differenzen keineswegs neu sind, sondern auf teilweise jahrhundertealte Vorurteile zurückgehen, war nun das Thema einer Münchner Tagung mit dem Titel "Orient und Okzident im Licht des Anderen". Ausgerichtet wurde sie vom Flaubert-Zentrum, einem an der Ludwig-Maximilians-Universität angesiedelten deutsch-französischen Institut für Textwissenschaft. Ausgangspunkt der Beiträge war die umstrittene, aber noch immer einflussreiche Theorie Edward Saids, derzufolge der Orient eine Erfindung des Westens ist, um eine kulturelle und intellektuelle Überlegenheit gegenüber der islamischen Welt zu behaupten. Said bezog sich mit seiner Kritik auf die orientalistische Renaissance im 19. Jahrhundert, als Europa die fremde Welt des Orients als Wiege der eigenen Kultur wiederentdeckte. Dabei umfasste der Orient-Begriff nicht nur die ottomanische, arabische und persische Welt, sondern auch Indien, China und Japan, und diente mithin generell als Chiffre für das Exotische.

Guter Orient, schlechter Orient

Innerhalb dieser weiten Definition wurde aber durchaus differenziert, erklärte Barbara Vinken, Leiterin des Flaubert-Zentrums. Nämlich zwischen einem "guten" Orient, der das persisch-indische Gebiet als Heimat der europäischen Vorfahren bezeichnete, und dem semitischen, "schlechten" Orient, der degeneriert und dekadent sei und deshalb hinter sich gelassen werden müsse. Ohne dass die Gesellschaft sich dessen bewusst ist, greife die heutige Islamophobie auf diese alten Vorstellungen zurück.

Als Auslöser des neuen Interesses am Orient gilt gemeinhin Napoleons Ägypten-Feldzug von 1797/98. Die Kunsthistorikerin Sussan Babaie (München) legte in ihrem Vortrag jedoch dar, dass in Europa bereits zuvor klischeehafte Auffassungen vom orientalischen Wesen im Umlauf waren. Als Beispiel führte sie den "Entwurff Einer Historischen Architectur" an, mit dem der Barockarchitekt Johann Bernhard Fischer von Erlach 1721 den ersten Versuch einer universalen Architekturgeschichte vorgelegt hatte. Darin fanden sich auch die orientalischen Städte Istanbul und das iranische Isfahan berücksichtigt. Die abgebildeten Bauwerke wurden jedoch danach ausgewählt, was zeitgenössische Betrachter für charakteristisch "orientalisch" hielten. Die persischen und türkischen Bauwerke wurden so zu Repräsentationen eines "Nicht-Europas", das Spuren im Gedächtnis der Europäer hinterlassen hat.

Vergleichbar prägend für das europäische Orientbild waren für den Kölner Journalisten und Übersetzer Stefan Weidner die arabischen Gedichte, die Ende des 18. Jahrhunderts erstmals ins Deutsche übertragen wurden. Übersetzer wie Johann Gottfried Herder erweckten durch eine spezielle Auswahl den Eindruck, die Lyrik des Orients habe nur aus Liebesgedichten bestanden. So begründete Herder oder auch Goethe mit seinem "West-östlichen Divan" zwar den guten Ruf der orientalischen Dichtung, förderte aber auch einseitige Vorstellungen vom Orient.

Solche Vorurteile waren damals allerdings bereits gesellschaftlich etabliert, wie Heide Volkening (Greifswald) anhand von Werken Friedrich Schlegels ausführte. Dieser schätzte das angebliche Bekenntnis zur Faulheit - "nur die im Orient verstehen zu liegen" - und den Legendenschatz und sah darin ein positives Gegenmodell zur aufgeklärten Gesellschaft. Schlegels Erwartung, der Orient halte die höchste Romantik bereit, musste jedoch an der Wirklichkeit scheitern.

Auch Romane des 19. und 20. Jahrhunderts stilisierten den Orientalismus zum alternativen Gesellschaftsmodell, wie die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken anhand von George Eliots "Daniel Deronda" ausführte. Dieser Roman erregte bei seinem Erscheinen 1876 die Gemüter. Er beschrieb eine Art proto-zionistischen jüdischen Nationalismus und war dabei keineswegs frei von antisemitischen Zügen, die den heutigen Vorurteilen gegenüber dem Islam sehr ähneln. Laut Vinken wollte die Autorin in erster Linie, ein Gegenmodell zur laut Verfassung klassenlosen französischen Gesellschaft entwerfen.

Dass sich unter umgekehrten Vorzeichen auch die arabische Welt einer erfundenen Orientkonzeption bediente, zeigte der Islamwissenschaftler Andreas Kaplony (München). Verschiedene arabische Autoren lieferten seit dem 19. Jahrhundert Beschreibungen des europäischen Lebens, das sie dem orientalischen gegenüber stellten. So schufen sie eine eigene, in diesem Fall positiv verklärte orientalische Identität.

Ganz ähnlich gehen heute noch islamische Prediger vor, die vor dem Einfluss des Westens warnen. Amir Hamid (Zürich) verwies auf das Beispiel des ägyptischen Religionsgelehrten Yusuf al-Qaradawi, der vor wenigen Monaten nach dreißig Jahren im Exil in sein Heimatland zurückkehrte. Al-Qaradawi versucht durch die Publikation sogenannter "islamischer Bücher" eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. In den Büchern, die von einem Autorenteam unter seinem Namen publiziert werden, nimmt er die Position eines Weisen ein, der den Lesern vorschreibt, wie sie sich zu verhalten haben und sie vor "nicht-muslimischen" Verhaltensweisen warnt.

Generell hat sich an der Konstruktion des "Anderen" als unverzichtbarem Bestandteil nationalistischer Theorien nichts geändert, so die Soziologin Sara R. Farris (Konstanz). Es gibt eine Skala der Feindbilder, an deren Spitze gegenwärtig die Muslime stehen. Das hat zur Folge, dass in jüngster Zeit ausgerechnet die rechtspopulistischen Parteien Elemente des Feminismus in ihre traditionell anti-feministische Agenda integriert haben. Der Islam wird dort als grundsätzlich frauenfeindlich dargestellt. Dabei wird auf alte Vorurteile über Völker mit rückständiger Sexualpolitik - Sklavenhaltung, Harems - rekurriert.

Farris rief in Erinnerung, dass so längst nicht mehr bloß einige machtlose Wirrköpfe denken: Die an der Regierung beteiligten Rechtspopulisten in der Niederlande und in Italien haben beispielsweise bereits konkrete Maßnahmen ergriffen, um "Mischehen" zu verhindern.

© SZ vom 25.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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