Wirtschaftsforscher über Geschenke:Weihnachten - ein ökonomischer Irrsinn

Weihnachten ist eine einzige "Orgie der Wertvernichtung". Diese These vertritt der US-Wirtschaftswissenschaftler Joel Waldfogel - und argumentiert: Weil die Beschenkten oft nichts mit den Präsenten anfangen können, seien sie in ihren Augen auch weniger wert. Sein Rat: Einfach mal nichts schenken.

Verena Mayer

Noch kein einziges Weihnachtsgeschenk gekauft? Gut so! Jedenfalls wenn es nach dem amerikanischen Ökonomen Joel Waldfogel geht. Für ihn sind Weihnachtsgeschenke nicht nur Zeug, das man nicht braucht. Sie sind auch aus volkswirtschaftlicher Sicht blanker Unsinn, "eine Orgie der Wertvernichtung".

Höchste Zeit für Weihnachtsgeschenke

Waldfogels Fazit: "Gäbe es irgendein Regierungsprogramm, durch das auf diese Art Geld verschleudert würde, dann wären alle stinksauer."

(Foto: dpa)

Aber der Reihe nach. Waldfogel, Professor für Angewandte Wirtschaftswissenschaften an der University of Minnesota, hat Weihnachten schon lange auf dem Kieker; seit den 1990er Jahren betreibt er, wie er es nennt, "Weihnachtsforschung".

Waldfogel wollte herausfinden, wie zufrieden die Leute eigentlich mit all den Dingen sind, die sie unter dem Weihnachtsbaum finden. In mehreren Erhebungen mit unterschiedlichen Fragestellungen bat er seine Studenten anzugeben, wie viel sie für Onkels Geschenkekorb oder die Pudelmütze von Oma gezahlt hätten, wenn sie sie selbst hätten kaufen müssen. Das Resultat: Den Befragten waren ihre Geschenke durchschnittlich gerade mal 84 Prozent des Kaufpreises wert.

Hat also die Teflonpfanne, die einem die Schwiegermutter Jahr für Jahr unter den Weihnachtsbaum legt, hundert Euro gekostet, ist einem aber nur 84 wert, weil man vielleicht schon fünf davon hat und nicht einmal kocht, dann wurde Wert vernichtet. Die Folge: Wohlfahrtsverlust, wie Ökonomen Verluste nennen, die jemanden treffen, ohne dass zugleich jemand anders einen Gewinn macht. Vergleichbar damit, Geld anzuzünden.

Wobei die Zufriedenheit umso höher ist, je näher einem der Schenkende steht. Während Geschwister und enge Freunde schon mal Erträge von bis zu 97 Prozent erreichen, sind es bei entfernten Tanten gerade mal 75 Prozent. Waldfogel hat für alles eine Zahl - allein dafür liebt man amerikanische Universitäten, dass Forschung immer auch unterhalten darf. Waldfogel selbst nennt sein Fachgebiet "Scroogenomics", Scrooge wie Geizhals. Oder wie der herzlose Geschäftemacher in Charles Dickens Weihnachtsgeschichte.

Unverkennbar ist auch der Einfluss der "Freakonomics"-Bewegung, jener Ökonomen, die kleine Alltagsbeobachtungen mit großen Thesen verknüpfen - etwa die Frage, ob man Kinder für das Aufs-Töpfchen-Gehen mit Smarties belohnen soll, mit dem Problem des Mitnahmeeffekts im Wohlfahrtsstaat.

Weihnachten war schon immer kommerziell

Waldfogel geht es in seinem Büchlein "Warum Sie diesmal wirklich keine Weihnachtsgeschenke kaufen sollten" ebenfalls um das große Ganze. Die Ergebnisse aus den Umfragen mit seinen Studenten legt er auf die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten um. Demnach hätten Konsumenten in den USA 2007 für 66 Milliarden Dollar Geschenke verkauft, aber um zwölf Milliarden Dollar weniger Zufriedenheit erzeugt, als es mit dieser Summe möglich gewesen wäre, hätte man über sie frei verfügen können. Waldfogels Fazit: "Gäbe es irgendein Regierungsprogramm, durch das auf diese Art Geld verschleudert würde ( . . .), dann wären Sie stinksauer."

Kaufhaus in Berlin

Dicht an dicht im Konsumrausch: Zu keiner anderen Zeit im Jahr wird mehr Geld ausgegeben als im Weihnachtsgeschäft.

(Foto: Tim Brakemeier/dpa)

Aber was soll man nun an Weihnachten verschenken, ohne den Familienfrieden oder die Volkswirtschaft zu gefährden? Bargeld? Effizient, aber problematisch. Großeltern können ihren Enkeln durchaus Geld geben, umgekehrt wäre es ein Affront. Und in Geschäftsbeziehungen sogar Bestechung. Dafür rehabilitiert Waldfogel den Gutschein. Natürlich nicht den, der nie eingelöst wird ("Drei Mal Müll runterbringen"), wozu Waldfogel auch die Geschenkkarten von Firmen zählt. Statistiken zufolge wird nämlich ein Zehntel des Wertes von Geschenkkarten nicht eingelöst. Was übrig bleibt, sacken die Unternehmen ein.

Das ist zwar kein Wohlfahrtsverlust, aber wenn man die eingelösten neunzig Prozent unter dem Aspekt der Zufriedenheit betrachtet, kommt man nicht viel besser raus als mit Schwiegermamas Teflonpfanne. Den Ausweg sieht Waldfogel im zweckgebundenen Geldgeschenk, etwa einer Spende. Das sei im selben Maße sinnvoll, wie es die Persönlichkeit des Schenkenden zum Ausdruck bringe.

Waldfogel rechnet in seinem Buch OECD-Daten, Haushaltsstatistiken und Einzelhandelsumsätze durch und zitiert Umfragen aus aller Welt. Die Zahlen sind mitunter schwer nachzuvollziehen, zudem verschweigt Waldfogel, dass es Werte zur Zufriedenheit mit Geschenken gibt, die bis zu zweihundert Prozent betragen. Mit seiner sturen Kosten-Nutzen-Rechnung verengt er Geschenke zudem auf jenen konsumistischen Gesichtspunkt, den er an Weihnachten am meisten kritisiert.

Umso effektiver ist Waldfogel, wenn es darum geht, Mythen zu zerstören. Weihnachten, so Waldfogel, werde nicht immer kommerzieller, wie alle Jahre wieder behauptet wird, Stichwort "Süßer die Kassen nie klingeln". Weihnachten war immer schon kommerziell. In einem der interessantesten Kapitel weist Waldfogel nach, dass Weihnachtseinkäufe im Dezember 1919 einen größeren Teil einer kleineren Volkswirtschaft ausmachten als heute. Oder wie es Harriet Beecher Stowe 1850 ausdrückte: "Um diese Zeit des Jahres vergeuden die Menschen Berge von Geld für Dinge, die niemand braucht und um die sich niemand schert, nachdem sie verschenkt sind."

Weihnachten kurbelt nicht einmal die Wirtschaft an. Geschenke werden vor allem in den USA auf Pump finanziert, Geld, das an anderen Stellen fehlt und teuer zurückgezahlt werden muss. Und weil Weihnachtsgeschenke meistens Schnellkäufe sind, sind sie weniger nachhaltig als andere Anschaffungen. Ressourcen werden verschwendet, Kosten für Entsorgung fallen an. Es ist auf dieser Welt eben nichts umsonst, nicht einmal ein Geschenk.

Joel Waldfogel: Warum Sie diesmal wirklich keine Weihnachtsgeschenke kaufen sollten. Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Verlag Antje Kunstmann, München, 2011. 189 S., 9,90 Euro.

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