"Winternomaden" im Kino:Eisiger als Schafskälte

"Winternomaden" im Kino: Carole beim Alm-Abtrieb durch Eis und Schnee: Szene aus "Winternomaden"

Carole beim Alm-Abtrieb durch Eis und Schnee: Szene aus "Winternomaden"

(Foto: ThimFilm)

Wo das Aussteigerleben am härtesten ist: "Winternomaden", ein preisgekrönter Dokumentarfilm aus der Schweiz, begleitet zwei Schafhirten, die den Einklang mit der Natur und ihren Geschöpfen suchen. Am Ende hat der Zuschauer mehr Fragen als vorher, doch das geht in Ordnung.

Von Susan Vahabzadeh

Es ist ja nicht ganz schlecht, wenn man nach einem Film mehr Fragen hat als vorher. Beispielsweise: Sind Schafe, denen ja die Schafskälte im Juni schon einiges anhaben kann, wirklich glücklich in einem vorweihnachtlichen Schneesturm? Und: Was ist da draußen, was zwei Menschen so magisch anzieht, dass sie ihr Leben auch in eisigen Winternächten im Freien verbringen wollen?

Der Schweizer Filmemacher Manuel von Stürler hat zwei solch wunderliche Gestalten für seinen Film "Winternomaden" begleitet, Pascal und Carole. Er ist seit 32 Jahren Schafhirte, und sie, viel jünger als er, hat sich erst vor Kurzem entschieden, ihn zu begleiten. Drei Monate dauert der Alm-Abtrieb durch Eis und Schnee, Regen und Sturm. Sie habe, sagt Carole einmal, in ihrem früheren Leben immer darauf gewartet, dass etwas passiert.

Was nun in ihrem Leben passiert, ist eigentlich auch kein großes Abenteuer: Die Hirten werden mal nass, ein Schaf wird krank, ein Bauer beschwert sich, weil der Viehtrieb in seiner Gegend verboten ist und er den Klee, den sich die Schafe als Wegzehrung einverleiben, eigentlich für seine eigenen Tiere gesät hat.

"Winternomaden" ist Stürlers Regiedebüt, und er hat dafür Anfang des Monats den Europäischen Filmpreis bekommen. Ein ruhiger, unaufgeregter Film mit viel Lagerfeuerromantik - Carole und Pascal richten sich auch am unwirtlichsten Fleckchen der winterlichen Schweiz noch mit Schaffelldecken am Feuer so ein, dass man ihnen ihre zufriedenen Gesichter glatt abnimmt.

Suche nach dem Einklang

Ihre Gespräche, ihr Alltag, das erinnert ein wenig an Raymond Depardons "Profils paysans": Wie die Bauern in "Neue Zeiten" an ihrem harten Leben und ihren kargen Höfen hängen, die von der Agrarindustrie langsam weggedrängt werden.

Manuel von Stürler schummelt ein wenig, denn auch in den "Winternomaden" wird die Tradition beschworen, aber die Geschichte von Pascal und Carole ist ja aus neuen Zeiten - sie haben ein Aussteigerleben gewählt, sie sind beide nicht der Tradition verpflichtet, sondern der Suche nach dem Einklang mit der Natur und ihren Geschöpfen.

Die beiden lieben ihre Hunde und ihre Esel und geben ihren Schafen Namen - wobei letztere als Höhepunkt der langen Tour auf dem Teller landen werden, als Weihnachtsessen. Das war immer schon das Schicksal der Schafe, selbst in der guten alten Zeit, die so gut nie gewesen ist.

Hiver nomade, Schweiz 2012 - Regie: Manuel von Stürler. Buch: Manuel von Stürler, Claude Muret. Kamera: Camille Cottagnoud. Neue Visionen, 90 Min.

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