Willkommen bei den Sch'tis:Wasch scholl dasch?

Der französische Provinz-Blockbuster "Willkommen bei den Sch'tis" erhebt Stinkkäse, Fritten und Schnaps plötzlich zum Kult - ein Erklärungsversuch in Bildern.

Franziska Brüning

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An diesem Donnerstag läuft in Deutschland der erfolgreichste französische Film aller Zeiten an, die Komödie "Willkommen bei den Sch'tis".

Regisseur Dany Boon hat damit seiner Region, dem Nord-Pas-de-Calais um Lille, ein Denkmal gesetzt. Bislang hatten die Sch'tis, die Nordfranzosen, die eine recht ulkige Mundart mit vielen Sch-lauten sprechen, alles andere als einen guten Ruf.

Wo früher keiner freiwillig hinreiste, boomt seit dem Start des Films in Frankreich im vergangenen Februar die Tourismusbranche. Ein kleiner Überblick, wie sich das Leben in Bergues, dem Städtchen, in dem der Überraschungs-Blockbuster gedreht wurde, verändert hat.

Text: Franziska Brüning, SZ vom 30.10.2008/pak Grafik: SZ-Karte

Ortsschild von Bergues im Film

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Das Ortsschild

Bergues war bislang ein zauberhafter, aber bedeutungsloser Ort in der Region Nord-Pas-De-Calais. Auf die Idee, beispielsweise Straßenschilder zu klauen und als Souvenir nach Hause zu schleppen, ist bislang keiner gekommen. Seit Dany Boons Film in den Kinos angelaufen ist, hat sich das mit einem Schlag geändert. "Unser Ortsschild ist schon vier Mal gestohlen worden", sagt Emilie Quenton von der Touristeninformation in Bergues. Und freut sich diebisch.

Bild: Inzwischen ein willkommenes Souvenier: Das Ortsschild von Bergues, wie es im Film "Willkommen bei den Sch'tis" dargestellt ist, Quelle: Prokino

Philippe (Kad Merad, rechts) lernt von Antoine (Dany Boon) den Dialekt Sch'ti, Prokino

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Die Sprache

Wer zum ersten Mal den Dialekt Sch'ti hört, hat große Mühe, zwischen all den Sch-Lauten so etwas wie Wörter zu erkennen.

Die warme "Sonne" wird zur "Schonne", aus dem netten "süß" wird "schüß". Kein Wunder, dass die Südfranzosen bisher immer dachten, ihre nordischen Landsleute seien permanent betrunken.

Dabei ist das Sch'ti nur ein harmloser picardischer Dialekt, der sich aus einer Reihe verschiedener Sprachen - zum Beispiel dem Flämischen - entwickelt hat.

Für die deutsche Fassung ist ein Kunst-Sch'ti erfunden worden, um die amüsante Mischung aus Situationskomik und Wortwitz zu bewahren. Der Schauspieler und Synchron-Sprecher Christoph Maria Herbst hatte ganz schön mit dem derben Kauderwelsch zu kämpfen: "Als ich diese komischen Sätze gesehen habe, dachte ich erst, dass sind Druckfehler und habe darauf gewartet, dass man mir den richtigen Text gibt."

Da Herbst "verhältnismäßig fix in der Birne ist", wie er von sich sagt, hat das Sprechen trotzdem schnell geklappt. So gut, dass er sogar am Feierabend noch so angetüdelt wie ein echter Sch'ti wirkte. Einen klaren, gut formulierten deutschen Satz habe er nämlich kaum mehr hingekriegt, sagt er.

Bild: Was für ein Spaß: Philippe (Kad Merad, rechts) lernt von Antoine (Dany Boon) den Dialekt Sch'ti, Quelle: Prokino

Käse als Stinkbombe: der Maroilles, Antoinel

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Der Käse

Er stinkt. Gotterbärmlich. Trotzdem wird der Käse mit der rötlich-gelben Rinde und dem Namen Maroilles im Nord-Pas-de-Calais vorzugsweise zum Frühstück gegessen.

Um den strengen Geruch überhaupt aushalten zu können, streicht man ihn auf eine Scheibe Toast oder Baguette und tunkt ihn in den Kaffee. Das Wunder würde auch mit Wein oder Bier funktionieren - der Käse schmeckt nämlich. So gut, dass die Käsereien kaum noch mit der Produktion nachkommen.

Genaue Zahlen gibt es erst Ende des Jahres, sagt Christine Laurent-Susson von der Gewerkschaft der Maroilles-Hersteller.

Eins ist aber schon jetzt sicher: Seit dem Filmstart in Frankreich sind 15 bis 20 Prozent mehr Stinkbomben als im Vorjahr verzehrt worden. Bleibt nur noch die Frage, ob jede Käsesorte in Frankreich eine eigene Gewerkschaft hat.

Foto: Käse als Stinkbombe: der Maroilles, Quelle: Antoinel

Die nordfranzösische Biermarke Ch'ti, M&V Verlags- und Vertriebsgemeinschaft

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Der Alkohol

Wer als Briefträger in Bergues an einer Tür klingelt, wird angeblich immer zu einem Schnäpschen eingeladen. Das zumindest ist eine der Botschaften, die Dany Boons Film transportiert. Dabei, sagt Emilie Quenton von der Touristeninformation, trinken die Leute vor allem Bier.

Und da ist der Konsum offensichtlich gleich geblieben. Schon vor dem Kinoerfolg tranken die Nordfranzosen mehr Bier als der Durchschnittsfranzose. Alkoholiker sind sie deswegen trotzdem nicht. Doch halt, es gibt da noch diesen Genièvre, einen Schnaps. Und der sei wirklich "sehr stark", sagt Quenton etwas verschämt.

Foto: Die Menschen in der Region Nord-Pas-de-Calais trinken nicht nur überdurchschnittlich viel Bier, sie brauen auch ihr eigenes. Beispielsweise das hochgelobte Ch'ti Ambrée aus Bénifontaine, nördlich von Lille, Quelle: M & V Verlags- und Vertriebsgemeinschaft.

Pommes Frites, AP

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Das Essen

Jeden Tag Fritten und Frikadellen in der Mittagspause essen zu müssen, ist keine schöne Vorstellung. In "Willkommen bei den Sch'tis" gehen trotzdem alle jeden Tag zur Pommesbude und freuen sich auch noch darauf.

Das fettige Zeug ist nun unter Bergues-Touristen ein Renner. "Wir verkaufen rund 30 Prozent mehr als vor dem Film. Diese Woche kommt in Frankreich nun auch die DVD auf den Markt. Das wird unsere Verkaufszahlen noch mal in die Höhe treiben", sagt Carine Coester von der "Fritterie de Flandres" in Bergues.

Ihre Brasserie hat das Essen geliefert, das in der Film-Frittenbude verkauft wurde. Seitdem macht das Familienunternehmen das ganze Jahr über so viel Umsatz wie sonst nur in den Sommermonaten. "Die Leute aus Bergues essen gar nicht so viel bei uns - die kennen das ja schon. Aber die Touristen, die sind ganz begeistert", sagt Coester.

Woraus in ihrem Laden die Frikadellen hergestellt werden, will sie dann aber lieber doch nicht verraten. "Na ja, das ist ein Geheimnis. Nur so viel: wir machen sie mit Geflügel", sagt Coester. Auch im Film heißt es: "Jeder weiß, was drin ist, aber keiner sagt es". Und das ist wahrscheinlich auch besser so.

Foto: Pommes Frites, AP

Der Belfried von Bergues, Screenshot: www.bergues.fr

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Der Glöckner

Jacques Martel ist 53 Jahre alt und muss seit acht Monaten jeden Tag 193 Stufen zu seinem Glockenspiel auf den städtischen Glockenturm in Bergues hochhetzen.

Bis 1999 hat hier Dany Boons Großonkel immer montags und mittwochs gespielt, doch seit sein Neffe ganz Frankreich Sch'ti-verrückt gemacht hat, wollten schon 22.000 Touristen die ganze Woche lang die Glocken hören, mit denen im Mittelalter vor Feinden gewarnt oder Feste eingeläutet wurden.

"Das ist purer Sport. Ich muss ja nicht nur den Turm rauf, sondern auch die Pedale an meinem Spieltisch mit Füßen und Fäusten bearbeiten", sagt Martel. Er macht das aber leidenschaftlich gern, zumal ihn Dany Boons Film auf eine schlaue Geschäftsidee gebracht hat. "Schon im November 2007, als die ersten Vorankündigungen liefen, hatte ich vor, Touristen an die Drehorte in Bergues zu führen", sagt Martel. Jetzt kann er sich vor Franzosen, Belgiern und Schweizern nicht mehr retten.

Die Besucherzahlen in Bergues haben sich 2008 vervierfacht. Erst vergangenen Dienstag hat Martel als offizieller "Sch'ti-Tour-Führer" 120 Leuten die Stadt gezeigt - und das mitten im regnerischen Herbst. "Die Menschen wollen beispielsweise sehen, wo Dany Boon und Kad Merad in den Kanal gepinkelt oder die Post ausgetragen haben", sagt er ganz vergnügt.

Die gerade mal 4300 Einwohner von Bergues reagieren erstaunlich gelassen auf die vielen unerwarteten Fans. "Wir müssen uns nicht mal anstrengen, um so nett wie im Film zu sein. Wir sind einfach von Natur aus freundlich", sagt Martel. So viel Eigenlob müffelt ein bisschen wie der Maroilles. Das macht aber nichts, man glaubt es trotzdem.

Foto: Der Belfried von Bergues, Screenshot: www.bergues.fr

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