Wie wichtig sind Chefs?:Die Weisheit der Vielen

Wie kaum ein anderer symbolisiert Apple-Chef Steve Jobs den populären Mythos vom Unternehmer, der für den Erfolg allein verantwortlich ist. Doch wie austauschbar ist eigentlich der Chef einer Firma, im Roulette gibt es schließlich auch Gewinner? Eine Münchner Debatte über Unternehmertum im Kapitalismus kommt zu originellen Ergebnissen.

Jan Füchtjohann

Es war Herbst, berichtete man, als Joel Podolny verschwand. Im November 2008 legte der Dekan der betriebswirtschaftlichen Fakultät der Yale University überraschend seinen Posten nieder. Seitdem nichts mehr: keine wissenschaftliche Veröffentlichung, kein Kongressauftritt, kein Interview. Nur Gerüchte: Podolny habe die Forschung verlassen und baue beim Computerkonzern Apple die Apple University auf, ein internes Fortbildungszentrum.

Apple Unveils New Software For iPhone And iPad

Steve Jobs: Was kann die Welt von ihm lernen?

(Foto: afp)

Seine wahre Aufgabe sei jedoch eine andere: Er sei zum Evangelisten geworden. Gemeinsam mit einem Team fasse er das geschäftliche Vermächtnis des schwer kranken Gründers Steve Jobs in einer Serie von Fallstudien zusammen: Warum Jobs die Fertigung des iPhones an einen einzigen Hersteller in China vergab; wie er beschloss, eigene Apple-Stores zu eröffnen und was die Welt daraus lernen kann. Gleichnis für Gleichnis entstehe auf diese Weise ein gewaltiges "Book of Jobs", so witzelte man.

"Book of Job", das ist der englische Name für das Buch Hiob in der Bibel. Bereits 2001 wurde Jobs' Rückkehr zu Apple unter dem Buchtitel "The Second Coming of Steve Jobs" mit der Wiederkunft des Messias assoziiert. Auch andere Unternehmer haben religiöse Literatur dieser Art inspiriert: "In Sam We Trust" heißt eine Biographie des Wal-Mart-Gründers Sam Walton; über Figuren wie die Investmentlegende Warren Buffett erschienen ähnliche Buchtitel.

Was damit ironisch kommentiert und zugleich befördert wird, das ist der populäre Mythos vom Unternehmer als Macher und Entscheider, der für den Erfolg seines Unternehmens allein verantwortlich ist. Helden und Schurken, Heilsbringer und Versager, Charismatiker und Nullen - mit Hilfe dieser Kategorien lassen sich Bücher verkaufen, Manager feiern, exorbitante Kompensationspakete begründen und eine Menge Zeit sparen.

So gab Hilmar Kopper, früher Vorstandssprecher der Deutschen Bank und heute Aufsichtsratsvorsitzender der HSH Nordbank, eine klare Antwort auf die Frage, wie über die Berufung neuer Vorstände entschieden wird. Studiert er Tausende Zahlen, untersucht alte Projekte des Bewerbers, befragt Kollegen und Mitarbeiter? Nein, meinte Kopper: "Qualifiziert sind auf diesem Niveau alle. Entscheidend ist die Personality."

Kopper gab diese Sätze in einer Runde von Wissenschaftlern zu Protokoll, die dieser Tage ins Historische Kolleg in München gekommen waren, um eine ketzerische Frage zu diskutieren: Braucht der Kapitalismus eigentlich erfolgreiche Unternehmer? Gestellt hatte sie der aktuelle Fellow Werner Plumpe, Professor für Wirtschaftsgeschichte in Frankfurt am Main und einer jener Denker, denen man zutraut, dem Kapitalismus in seiner Komplexität intellektuell Paroli bieten zu können.

Wer dabei war, kam in den Genuss, neben den interessanten Ausführungen Plumpes und der anderen Teilnehmer die Antwort von Alfred Kieser zu hören. Die war schon allein deshalb originell, weil sie sich zwischen das emphatische "Ja, wir brauchen erfolgreiche Unternehmer!" der Management-Folklore und das eher skeptische "Wohl nicht" der Wissenschaft schob, die die Bedeutung einzelner Personen seit langem relativiert: Die gegenwärtige Unternehmer- und Innovationsforschung befasst sich mehr mit Organisationen und Netzwerken als mit Individuen, und auch die Ahnherren der Zunft, Werner Sombart und Joseph Schumpeter, waren in Bezug auf die Bedeutung einzelner Unternehmer eher pessimistisch.

Systematischer Trial and Error

Doch Kieser, der in Friedrichshafen Betriebswirtschaft lehrt, erklärte beides zugleich: den dramatischen Bedeutungsverlust des einzelnen Unternehmers - und die charismatische Aufladung von Unternehmerfiguren, die diesen Verlust kompensiert. Einerseits gibt es massenhaft Entrepreneure, seit unternehmerisches Denken und Handeln immer weiter nach unten delegiert wurde: an interne "Profit-Center", "Intrapreneure" und "Arbeitskraftunternehmer" sowie an externe "Ich-AGs" und Freelancer.

Kieser zeigte auch das Organigramm des "Open Innovation System" der Deutschen Telekom, wo man in Kooperation mit Beratungen, Wissenschaftlern, Kunden und Experten aus anderen Unternehmen systematisch nach neuen technischen Entwicklungen Ausschau hält, diese dann evaluiert und probehalber exploriert. Vom solitären Unternehmer als mutigem "risk taker" bleibt dabei nicht mehr viel übrig: Stattdessen gibt es eine routiniertes und alltägliches Unternehmertum, getragen von der Weisheit der vielen und einem systematischen Trial and Error: die Wirtschaft in ihrer post-heroischen Phase.

Dass Unternehmerschaft zur Volksbewegung geworden ist, dafür sprechen laut Kieser noch andere Indizien: die Forderung nach "unternehmerischem Denken" in Stellenanzeigen, die 87 Professuren für Entrepreneurship an deutschsprachigen Hochschulen, die zahllosen Preise für Unternehmer. Bereits in der Schule sollen Kinder Kreativität in Projekten entwickeln, später bieten Arbeitsämter, Industrie- und Handelskammern, Volkshochschulen und sogar Gefängnisse Beratungen und Kurse für Unternehmensgründer an. Die OECD formulierte 2009, es sei zudem eine zentrale Aufgabe der Hochschulen, "unternehmerische Einstellungen, Haltungen und Fähigkeiten" sowie eine "proaktive Einstellung zu Unternehmenswachstum" zu fördern.

All das erzeugt einen Eindruck der Machbarkeit, der durch die Realität schlichtweg nicht gedeckt wird. Ein Großteil der staatlich geförderten Start-ups scheitert, die anderen hätten es vermutlich auch so geschafft. Überschätzt wird offensichtlich auch die Bedeutung von Topmanagern: Empirische Studien, die die Schicksale ganzer Populationen von Unternehmen untersuchten, fanden keinen statistisch signifikanten Einfluss der Unternehmensleiter auf den Erfolg, auch wenn die Manager große strategische Änderungen initiieren. Stattdessen versanden oben getroffene Entscheidungen häufig.

Zuletzt hat die Entwicklung des Kapitalismus für eine sukzessive Entmachtung des Individuums gesorgt: An die Stelle besitzender Familienunternehmer wie Krupp, Siemens, Ford oder Carnegie sind erst von den Eigentümern angestellte Manager und schließlich CEOs getreten, die sich in immer kürzeren Abständen vor dem Finanzmarkt und Investoren rechtfertigen müssen. Der Druck wächst: Unternehmensleiter bleibt man nur, solange man alles richtig macht - Fehler können zu sofortigen "Trainerwechseln" führen.

So wird verständlich, was Hilmar Kopper über die Auswahl von Topmanagern sagt. Man kann tatsächlich aus einem Pool wählen, in dem sich mehr unternehmerisch geschulte Bewerber finden - für Stellen an denen weniger hängt. Kein Wunder, dass in dieser Situation die Bedeutung von "Charisma" und Persönlichkeit zunimmt. Dabei ist Charisma laut Kieser zumeist nur eine nachträgliche, zumeist sogar tautologische Zuschreibung: Die Eigenheiten des Erfolgreichen wirken charismatisch und erscheinen als klare Indikatoren seines Erfolgs.

Braucht der Kapitalismus also Unternehmer? Ja, und heute gibt davon mehr als genug. Braucht er erfolgreiche Unternehmer? Sicher, aber es gibt auch im Roulette immer wieder Gewinner, manche sogar mit System. Und es werden auch Charismatiker gebraucht, weil sie das Schwierige auf einfache und lukrative Formeln bringen und zudem die Kränkung erträglich machen, dass unternehmerischer Erfolg nur sehr begrenzt machbar und planbar ist.

Ob jemand wohl Steve Jobs diese Hiobsbotschaften überbringt? Wohl nicht. Wie gut dass es mit Werner Plumpe, Alfred Kieser und den anderen Teilnehmern der Münchner Tagung noch Wissenschaftler gibt, die nicht an der Apple University lehren.

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