Wie die wilden 68er wohnten:Verklemmt im Treibhaus

Die ´wilde" Uschi Obermaier wird 65

Uschi Obermaier, das berühmteste Mitglied der Kommune I.

(Foto: dpa)

1967 wurde in Uwe Johnsons Atelier die Kommune I gegründet. Heute erinnert man sich im Haus gerne an die revoltierenden Lebenskünstler, die immer höflich grüßten.

Alex Rühle

Eine der unangenehmsten Arten, von der Zweckentfremdung der eigenen Wohnung zu erfahren, muss Uwe Johnson im April 1967 erlebt haben: Als er, der damals als Schulbuchlektor in Manhattan sein Brot verdiente, morgens die "New York Times" vom Kiosk holte, stand auf der ersten Seite der Zeitung, dass in seiner Berliner Wohnung maoistische Terrorstudenten Bomben gebastelt haben. Für ein Attentat auf den amerikanischen Vizepräsidenten. Johnson war fassungslos. Er hatte im Frühjahr 1966, bevor er mit Frau und Kind nach New York ging, Ulrich Enzensberger, dem Bruder von Hans-Magnus, einen Schlüssel für sein Atelier gegeben. Aber doch bitte nicht, damit sich darin mietfrei eine terroristische Bande breitmacht!

Die Niedstraße in Berlin-Friedenau. Gediegen ruhige Wohngegend. Am Anfang der Straße ein Spielzeugladen voll teurer, weichkantiger Holzfiguren, gegenüber ein edles Antiquariat, ein paar Häuser weiter eine Papeterie. "Na, die kamen ja alle aus diesem Milieu, die wussten genau, wo sie hingehen", sagt Rotraut Engelbrecht, während sie in ihrer Wohnküche, hoch über Berlin, Kaffee kocht.

Damals war dieser wunderschön verwinkelte Raum mit dem alten Dachgebälk im Haus Nummer 14 noch ein kahler, unbewohnter Speicher. Die Kommune I hauste drüben, im Atelier, da wo heute Rotraut Engelbrechts Arbeits- und Schlafzimmer sind. Ob sie als Tochter der Hausbesitzer sich denn an die Kommunarden erinnern könne. Ne, sagt Engelbrecht recht schmallippig. "Das waren nicht so meine. Ich gehörte zur arbeitenden Bevölkerung." Schweigen.

Vom Fenster aus kann man zu Günter Grass rüberschauen, Uwe Johnson hatte ihn Anfang der Sechziger auf die Klinkerbauvilla nebenan aufmerksam gemacht, die damals zu verkaufen stand. Als Johnson an jenem Morgen in Manhattan von der Zweckentfremdung seiner Wohnung las, rief er sofort Grass an und bat ihn, die Kommunarden aus seinem Atelier zu schmeißen.

Grass waltete seines Amtes, es gibt ein nettes Abschiedsfoto der Ur-Kommunarden und -Kommunardinnen vor dem Hauseingang der Niedstraße, freundlich lächelnde Studenten in Frühjahrsmänteln, die dann weiterzogen, zum Stuttgarter Platz, zunächst über ein Bordell, dann in den eigenen Mythos und die mediale Professionalisierung des Kommune-Projekts hinein.

Kommunentheoretiker Dutschke

"Vergisst man ja, dass die hier nur vier Monate wohnten, ganz am Anfang", sagt Karsten Bremer aus dem ersten Stock. Der Kartographieingenieur war damals 25, lebte hier mit seinen Eltern und erinnert sich noch gut an die Kommunarden. "Das waren unauffällige Mieter, die passten gut in dieses bürgerliche Haus. Naja, Langhans hatte schon den Lockenturm auf dem Kopf, und die Nickelbrille war ja auch noch was Außergewöhnliches. Aber sonst..." - Nette Studenten, die höflich grüßten, das sagen alle im Haus, die sich noch an die Kommune erinnern.

Der Begriff Kommune stammte von Rudi Dutschke. Wie viel floss seinerzeit darin zusammen: Die Erinnerung an die Pariser Commune. Rosa Luxemburg. Der Kommunismus. Die Volkskommunen der Kulturrevolution. Dutschke hatte zusammen mit dem Architekten Andreas Reidemeister und seiner Frau 1966 ein Haus für die Bedürfnisse einer solchen Kommune entworfen. Leider hätte das Haus eine Million Mark gekostet.

Außerdem entsprach, wie Ulrich Enzensberger es formuliert, "der großartige Plan von Reidemeister in keiner Weise unserer Stimmung und der Realität. Wir wollten uns nicht einrichten, wir wollten handeln." Handeln! Praxis! Etwas verändern! Statt immer nur zu jammern über Notstandspläne und Vietnam, darüber, dass es im Bundeskriminalamt unter 47 leitenden Beamten 33 ehemalige SS-Offiziere gab oder dass ein Mann, der unter Ribbentropp stellvertretender Abteilungsleiter der Rundfunkpropaganda war, jetzt Bundeskanzler werden konnte.

Dieter Kunzelmann, der sich zuvor in München den Situationisten angeschlossen hatte, einer Künstlerbewegung, die als Nachfahren der Dadaisten den gutgelaunten Umsturz planten, schrieb am 27. November 1966, alle revolutionären Ansätze der Studenten seien bislang so folgenlos geblieben, weil die "gemeinsame Praxis" fehle - "jeder kehrt nach einer Aktion in das Treibhaus seiner bürgerlichen Inidvidualexistenz zurück". Nur in der Kommune könne es den Individuen gelingen, sich "effektiv zu verändern".

Streit ums harmonische Wohnkonzept

Am 31. 12. 1966 trafen sich unzählige junge Leute in einer Studentenwohnung. Angeblich gebe es die Möglichkeit, gemeinsam in eine große Altbauwohnung zu ziehen und dort die Kommune zu gründen. "Früh um vier", so erinnert sich Kunzelmann, "wurde zum letzten Mal die Frage gestellt, ja oder nein. Bedauerlicherweise war die Hälfte der Anwesenden nicht bereit, sofort mit dem Experiment zu beginnen.

Dies sei, beteuerten sie unentwegt, keine grundsätzliche Ablehnung; vielmehr sei nicht auszuschließen, dass sie noch zu der Gruppe stoßen würden. Nur Dutschke lehnte unter gar nicht unsanftem Druck von Gretchen dezidiert das Konzept Kommune I ab und kündigte an, er wolle parallel zu uns eine Wissenschaftskommune gründen."

Ulrich Enzensberger, der vor zwei Jahren ein so luzides wie unterhaltsames Buch über "Die Jahre der Kommune I" geschrieben hat, wundert sich darin nicht, dass viele der Teilnehmer dieses nächtlichen Treffens dem damals schon als despotisch verschrieenen Kunzelmann absagten.

"Viel sonderbarer war doch, dass sich immerhin neun Personen auf das Projekt einließen und dass sie damit nicht sofort sang- und klanglos untergingen, sondern ein Modell schufen, das bis weit in die siebziger Jahre hinein Vorbildcharakter hatte und heute noch die Phantasie entzündet." Stimmt. Was das für ein perverses Wohnmodell sei, wurde Teufel ein halbes Jahr nach der Gründung vor Gericht gefragt, worauf er es lakonisch mit den Worten umschrieb: "Gemeinsam wirtschaften und leben".

Da sich das mit der Altbauwohnung leider zerschlug, zog man erst mal in Uwe Johnsons Atelier. Der hatte 1961, nur wenige Wochen nach seinem Einzug, in einem Interview sein literarisches Lebensthema mit den Worten umschrieben: "Die Teilung, die Grenze, der Unterschied." In gewisser Weise trifft das auch auf das Projekt der Kommune I zu.

Karl Bremer sagt, der Skandal an der K 1 sei doch gewesen, dass sie die Fronten durcheinander gebracht hätten. "Bis dahin war es nirgends auf der Welt so klar wie in Berlin: jenseits der Mauer hausten die Bösen, hier bei uns in Westberlin war alles gut. Wir waren ein Teil des guten Amerikas. Und dann kommen die und schimpfen über Vietnam. Für mich war das ein Schock, mit welchem Hass sogar liberale Freunde, die keine harten Adenauerianer waren, auf die Spaßguerilla-Aktionen der Kommune reagierten."

Backe, backe, Kuchen!

Am 7. April 1967 sollte Hubert H. Humphrey, der amerikanische Vizepräsident, der kurz zuvor die Bombenangriffe auf Nordvietnam als "militärische Präzisionswunder" bezeichnet hatte, nach Berlin kommen. Die Kommunarden wollten den Besuch unbedingt stören. Unter dem 2. April steht im Kommune-Tagebuch: "Humphrey-Aktion: Rote Rauchbomben. Zum Auto laufen, Hupfbälle werfen, Sachen werfen (Schlagsahne etc.) Wenn das Auto angehalten ist, Lieder singen (Hoch soll er leben, backe backe Kuchen) PUDDING! Hupfbälle kaufen."

Sechs Tage später schrieben die Berliner Zeitungen, die Bande habe Humphrey töten wollen. Vielleicht sogar mit Sprengstoff aus der chinesischen Botschaft! Da waren die Kommunarden schon wieder freigelassen worden, nachdem ein kriminaltechnischer Sachverständiger ausgesagt hatte, die Puddingpulvermischung sei ungeeignet gewesen, "Explosivkraft herbeizuführen; sie war sogar ungeeignet zur Zündung von Rauchbomben."

Am Nachmittag gaben die Kommunarden eine Pressekonferenz. Sie zeigten einmal mehr ihr Talent für witzige Inszenierungen, indem sie sich hinter Mehltüten und Puddingpulver verschanzten. Kunzelmann schwärmte von Maos Politik als "einzig realistischer Zukunftsformel", Langhans erklärte, alle sexuellen Probleme seien "im Kommune-Leben entkrampft", und Ulrich Enzensberger prophezeite "das Ende der traditionellen Zweierbeziehungen". Zuhause wartete Grass auf sie vor der versiegelten Wohnung und schmiss sie raus.

In der kleinen Enklave Westberlin wurden sie danach zu Weltstars. Die chinesische Botschaft schickte ihnen umsonst tonnenweise Maobibeln ins Haus, die Springerpresse kübelte täglich Hass über ihnen aus und fantasierte sich Orgien zusammen: "Kommune I, Sie wissen ja Bescheid: Jener Club von links von sich selber stehenden Jünglingen und Mädchen mit gestörtem Hormon-Haushalt."

In Wahrheit, so die Altkommunardin Antje Krüger, "gab es bei uns keine sexuelle Befreiung. Als das Foto gemacht wurde für den "Stern", auf dem alle nackt an der Wand stehen, machte das zwar unheimlich Furore. Tatsächlich musste das ganz schnell gehen, weil alle froh waren, sich wieder anziehen zu können."

Rotraut Engelbrecht sagt, dieses Foto sei drüben bei ihr im Arbeitszimmer entstanden, an der Wand, an der heute ein goldrotes Bild der Berliner Künstlerin Sabine Beuter hängt. Stimmt aber nicht, das Foto wurde erst im Sommer 1967 aufgenommen, am Stuttgarter Platz. Egal, auf einen Mythos mehr oder weniger kommt es nicht an bei der Kommune.

In die Atelierwohnung in der Niedstraße zog nach dem Rausschmiss der Kommunarden übrigens Uwe Johnsons Schwägerin ein. Sie starb am 12. November 1967, weil sie im Bett geraucht hatte und dabei eingeschlafen war. Herr Bremer erzählt, bei Stadtrundgängen werde ihr Tod noch heute ab und zu mit dem Pudingattentat verquirlt: "Da stehen dann unten Stadtteilführer und erzählen, die Wohnung sei beim Mischen des Sprengstoffs für das Humphrey-Attentat abgebrannt."

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