"Who's Bad" von den Goldenen Zitronen:Sexy Hoffnungslosigkeit

Lustige Blumen - Die Goldenen Zitronen

"Who's bad" heißt das neue Album der Goldenen Zitronen

(Foto: DGZ)

Mit dem neuen Album "Who's Bad" schließen die Goldenen Zitronen ihre kritische Exegese der Achtzigerjahre ab. Musikalisch dominant dabei: drängendes Drumming, New-Wave-Atmo und Singen an der Grenze zum Rappen.

Von Diedrich Diederichsen

Und es geht immer so weiter. Man ist schließlich nicht mehr der Jüngste. Man hat das alles schon lange durchschaut, beschrieben und bekämpft. Und in jeder neuen Runde erwartet man, dass der Gegner wenigstens auf den letzten Einwand eingeht, der Opposition etwas entgegensetzt, sein Niveau höher schraubt, aber er macht einfach weiter. Denn er ist ja ein Mechanismus, eine Maschine, ein System.

Diesen Gegner beschreibt die deutsche Polit-Lyrik ebenfalls schon seit Jahrzehnten mit dem Kampfmittel der schneidenden, schnarrenden Aufzählung. Sei es in Rolf Dieter Brinkmanns legendärer Vorbemerkung zu "Westwärts 1 & 2" ("Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock 'n' Roll-Sänger machen weiter . . ."), sei es in "Macht kaputt, was euch kaputt macht", dem Ursong deutscher politischer Rockmusik ("Bomber fliegen, Panzer rollen, Polizisten schlagen, Soldaten fallen, Die Chefs schützen, Die Aktien schützen, Das Recht schützen, Den Staat schützen. Vor uns!"), der wiederum von Dylans "Subterranean Homesick Blues" inspiriert war. Die Meister aber der schnarrenden, schneidenden, höhnischen, bösen, sarkastischen, beleidigenden, aber auch beleidigten Aufzählung sind die Goldenen Zitronen.

Musikalisch expandiert

Die hatten im vorigen Jahrzehnt musikalisch enorm expandiert. Sie haben sich die musikalische Frechheit der frühen New-Wave- und Post-Punk-Zeit wieder angeeignet, den Mut, aus dem Nichts sehr auffällige Effekte zu setzen: brachial konturierte Ideen zwischen Noise, tribal percussion, irren Unisoni und atonalem Druck, in den Song gepflanzt, ohne auf Integrität und Geschlossenheit von Genres zu achten. Auf ihren letzten, in diesem Sinne virtuosen Alben ("Schafott zum Fahrstuhl", 2001; "Lenin", 2006, "Die Entstehung der Nacht", 2009) verzichten die musikalischen Ideen auf jede traditionelle Legitimation und erinnern weniger klanglich als methodisch an die beste Musik, die unmittelbar vor der Bandgründung vor 30 Jahren entstand (Gang of Four, Contortions, Chrome).

Diese Expansion ist mittlerweile vollständig ver- und eingearbeitet. Das neue Album "Who's Bad?" (Buback Tonträger) scheint vor allem eine selbstreflexive Meditation über das Genre der politischen Aufzählungslyrik geworden zu sein und die Nöte, die ihr zugrunde liegen. Der überwach sensibilisierte, diagnostische Blick historischer Materialisten fällt auf eine Zeit, die auf Teufel komm raus nicht historisch aussehen will, bestenfalls technisch fortschrittlich und ökologisch desaströs. Musikalisch dominieren drängendes Drumming, New-Wave-Atmo, Singen an der Grenze zum Rappen.

Ist die Liste schon eine Anklage, aber eine ohne Pathos? Kündet sie nicht von einer widerwärtigen Stabilität, gegen das kein menschliches Eingriffskraut gewachsen ist, stärker auch als jeder musikalische Einfall? Die Bomber fliegen immer noch, die Autoindustrie macht immer noch weiter, und keiner macht kaputt, was uns kaputt macht. Was bleibt zu tun: dem fiesen Investor, der die Unangepassten verwerten will, in höhnischen Reimen eine Stimme leihen? "Ihr seid die genialen Dilettanten/ wir eure wohlhabenden Verwandten." Im Hintergrund Elektrobeat mit geilen Dub-Geräuschen, fiesem Gebimmel, Synthie-Bass und Live-Drums: seltsam genau, anachronistisch und zeitgemäß.

Dichte, zuweilen argumentative Prosa

In "Rittergefühle" nehmen die Zitronen Bezug auf einen weiteren Klassiker des Aufzählungsprotests, "Computerstaat" von Abwärts. Das war ein Hit des Hamburger Punk um 1980, der den damaligen BKA-Chef Herold mit japanischer Technologie und deutschen Kriegsgräueln zusammenlistete: Die Zitronen satteln auf diesen Hit ihrer Punk-Kindheit einen Verriss der Rock 'n' Roll-Werte, der "Treue zu sich selbst", des Authentizismus, der "Sage vom Geblieben Sein wie man immer war, ohne Verbiegerei", "Versatzstücken männlicher Melancholie", mit anderen Worten: eine Abrechnung mit der seelischen Verblödung des eigenen Milieus.

Die dichte, zuweilen argumentative Prosa dieses Albums, seine Impressionen und Litaneien, seine theaterhaft vorgeführten Typen kreisen tatsächlich um eine alles entscheidende Frage, die des Titels. In der Popmusik schließt man sich deswegen zusammen, um sich vom Falschen zu unterscheiden und abzuheben: Das hat sie mit politischer Organisation gemeinsam. Gibt es aber die Falschen, die Bösen, von denen man sich absetzen kann, in der Realität oder nur als politische Abstraktionen von ansonsten ganz normalen Leuten? Wie sehen sie aus, was unterscheidet uns? Offensichtlich gibt es den "Investor" (aus dem gleichnamigen Song), den Duisburger Bürgermeister ("Duisburg"), den "mittelständischen Warhol" ("Ich verblühe"), aber die politisch moralische Klinge lässt sich fast genauso gut gegen die eigenen Leute führen. Anders wird sie auch stumpf.

Gut und cool und richtig

Nun gibt es aber in der Pop-Musik noch ein anderes bad. Das bedeutet eben nicht nur böse, sondern das Gegenteil: gut und cool und richtig. Die Zitronen fragen nach beiden Seiten der alten und neuen Trennung. Stehen auf der anderen Seite vom üblen Investor und Gentrifizierungs-Kurator irgendwelche brauchbaren Leute, die die Choreografie des guten bad beherrschen? Ja und nein.

Als die Zitronen in den Achtzigern im Umfeld besetzter Häuser und ungehorsamer Fun-Punker anfingen, war ihre Botschaft an die Linke, dass die doch auch mal die ästhetische Seite ihres Selbstverständnisses betrachten möge; erkennen, dass auch ihre kulturellen Gewohnheiten, Vorlieben und Umgangsformen nicht unschuldig sind, etwas bedeuten, zur Debatte stehen - in enger Verbindung mit den politischen Inhalten. Diese Botschaft war überaus erfolgreich: Wie die Codes funktionieren, wie man Sorge tragen kann, dass Äußeres, Geruch und Geschmack einen guten politischen Eindruck machen, weiß eben heute jeder.

Das, was die alten Linken, denen die Zitronen um 1985 Stil beigebracht haben, aber sonst noch so wussten, ist schon eher in Vergessenheit geraten. Die "Träume" sind eher die der "Kaufleute 2.01", wie sie bei den Zitronen heißen. Die politische Lyrik scheint, wie schon 1969, keine andere Wahl zu haben, als weiterzumachen. Es sei denn, sie liest die Welt von heute doch auch als die Antwort auf die letzte Runde der Kritik; denn zu einem Teil ist sie das eben auch. Die Zitronen gehen dem nur manchmal nach, etwa wenn sie den Investor so lustig reimen lassen. Der klaustrophile Druck der Musik ist dagegen eher in seiner katastrophalen Hoffnungslosigkeit sexy. Ein Gefühl der Achtzigerjahre, aber seltsam angemessen.

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