Westlake:Verbrecher, Kopfzerbrecher

Westlake: Donald Westlake: Fünf schräge Vögel. Roman. Aus dem Englischen von Tim Jung. Atrium Verlag, Zürich 2016. 288 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Donald Westlake: Fünf schräge Vögel. Roman. Aus dem Englischen von Tim Jung. Atrium Verlag, Zürich 2016. 288 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Der womöglich ineffizienteste Juwelendiebstahl der Krimigeschichte, der "Hot Rock" von Donald Westlake. Sein Held, der zweifelsüchtige John Dortmunder, erlebt endlich auf Deutsch ein vollständiges Comeback.

Von Tobias Kniebe

Eines verbindet sie ja doch, all die Paten und Planer aus Thriller und Kriminalroman: Unschlüssigkeit kennen sie eher nicht. Große Verbrecher müssen Tatmenschen sein, schnelle Entscheidungen treffen, dem perfekten Coup hinterherjagen. Ein falscher Schritt unter Druck, der später ins Verderben führt? Kann jedem passieren. Wirklich unverzeihlich wäre ein quälender Moment des Zauderns.

So gesehen ist es fast ein Wunder, dass es John Dortmunder gibt. Und dass er als Berufsverbrecher - mit vierzehn großen Dingern in Romanlänge und elf kleineren Jobs im Shortstory-Format - doch eine beachtliche Karriere hingelegt hat. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, wie er vor nun fast fünfzig Jahren, die lässigen Seventies hatten gerade erst begonnen, zum allerersten Mal der Welt gegenübertrat.

Er hält da nämlich, praktisch von Anfang an, ein vollgerotztes Taschentuch in der Hand. Und dann weiß er nicht recht, wohin damit. Ein Justizvollzugsbeamter redet auf ihn ein, es geht um Dortmunders Entlassung aus dem Gefängnis, aber der ist von dem Taschentuchproblem doch sehr abgelenkt. Schließlich gelingt es ihm, beim herzhaften Händedruck zum Abschied, etwas Rotz an die Finger des Wärters zu schmieren. Als kleiner Sieg für den Anfang muss das reichen.

Anders gesagt, ist dieser John Dortmunder sehr, sehr menschlich. Deshalb hat Donald E. Westlake, sein Schöpfer, ihn auch überhaupt erst zum Leben erweckt. Zu diesem Zeitpunkt war Westlake bereits notorischer Krimi-Vielschreiber mit einem Dutzend Pseudonymen, und es gab bereits jede Menge kalte und klar strukturierte Tatmenschen in seinem Werk. Zum Beispiel den notorischen Parker, über den er unter dem Alias Richard Stark schrieb. Parker ist so brutal, effizient und entscheidungsstark, dass er nicht einmal einen Vornamen braucht.

John Archibald Dortmunder kommt da doch ganz anders daher. Gewalt, Erpressung, Folter oder gar Mord sind gar nichts für ihn - er ist Meisterdieb. Das sagen zumindest seine Kumpane aus der Unterwelt, er selbst ist von seinen Fähigkeiten weniger überzeugt. Komplizierte Einbrüche bereiten ihm wahnsinnig Kopfzerbrechen, bei Schwierigkeiten im Vorfeld wirft er gern mal alles hin, und wie jeder intelligente Mensch, der auf die vierzig zugeht, ist er grundsätzlich Pessimist. Andererseits hat er nicht die geringste Ahnung, was er sonst machen sollte.

Der Züricher Atrium Verlag, der Dortmunders erstes Abenteuer nun in neuer Übersetzung herausbringt, weckt damit Hoffnungen auf mehr. "The Hot Rock" heißt nun "Fünf schräge Vögel" und überführt den staubtrockenen Humor der Vorlage recht gelungen ins Deutsche. Hier könnte der Zsolnay Verlag Vorbild sein, der Dortmunders dunklem Kollegen Parker inzwischen neun Bände gewidmet hat. Der heiße Stein, der dem Roman seinen Originaltitel gibt, ist ein taubeneigroßer Smaragd, der aus kulturell-ursprungsmythischen Gründen von zwei afrikanischen Zwergstaaten zugleich beansprucht wird. Das Land, das ihn gerade nicht hat, will eine Ausstellung in New York benutzen, um diesen unbefriedigenden Zustand zu beenden. Und wer sollte das übernehmen, wenn nicht Dortmunder und seine Crew?

Der Job gelingt dann, ganz wie von Dortmunder heimlich befürchtet, nur so halb. Zwar ist der Smaragd nach der Aktion aus seiner Sicherheitsvitrine verschwunden, aber einer der vier Mitstreiter wird dabei verhaftet - und leider kennt er als einziger das neue Versteck der Beute. Also muss er aus einem gut gesicherten Gefängnis befreit werden, und als das geschafft ist, entpuppt sich der temporäre Aufbewahrungsort des begehrten Edelsteins als ausgesprochen unzugänglich. So kommt ein Problem zum anderen, und am Ende fragt sich nicht nur Dortmunder, wie oft man ein Ding eigentlich stehlen muss, bis man endlich die Belohnung kassieren kann.

Auch wenn dies womöglich der ineffizienteste Juwelendiebstahl der Kriminalgeschichte ist, wird er doch, typisch für Westlake, in all seinen Inkarnationen, mit äußerster Effizienz erzählt. Einmal etwa sehen sich Dortmunder und seine Leute zu einer sonntäglichen Bahnfahrt in die Provinz gezwungen. "Die Bahnsteige, an denen sie gelegentlich hielten, waren menschenleer", heißt es da - "wenn man von den obligatorischen drei alten Säcken in schlabbrigen Arbeitshosen absah, die offenbar landesweit zur Ausstattung eines jeden Kleinstadtbahnhofs gehörten."

Mehr Details braucht Westlake nicht, um einen Provinzbahnhof am Sonntag vollständig zu evozieren. Und weil's so schön war, setzt er das Motiv ein paar Haltestellen weiter, als die Crew ihr Ziel erreicht hat, einfach fort: "Der Schaffner sah seinen fünf Passagieren noch lange aus dem Fenster heraus nach. Die drei alten Säcke auf dem Bahnsteig taxierten sie ebenso, wobei einer der drei zur Feier des Tages einen Klumpen Rotz ausspukte."

Robert Redford hat Dortmunder in "The Hot Rock" im Kino gespielt, schon zwei Jahre nach der Erstausgabe des Romans, später auch George C. Scott, Christopher Lambert und in Deutschland sogar Herbert Knaup. So recht gepasst hat das allerdings nie. Das Kino will Tatmenschen, und also streichen sie dort als Erstes die Momente des Zauderns, die Qualen der Unschlüssigkeit, und als Nächstes den ewigen Pessimismus, und schon ist Dortmunder nicht mehr Dortmunder, sondern nur noch einer dieser Paten und Planer, wie es sie im Dutzend billiger gibt. Die seltsamsten Helden aber bleiben den Büchern vorbehalten.

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