Western-Neuauflagen:Quentin Tarantinos Liebe zum Western

Western-Neuauflagen: Blutig, schmuddelig, zynisch: Samuel L. Jackson im neuen Tarantino-Film "The Hateful Eight", einer wilden Travestie des Westerngenres.

Blutig, schmuddelig, zynisch: Samuel L. Jackson im neuen Tarantino-Film "The Hateful Eight", einer wilden Travestie des Westerngenres.

(Foto: Andrew Cooper)

Western haben die Kraft, die Gegenwart zu spiegeln - erkennbar an der derzeitigen Flut an Neuauflagen.

Von Fritz Göttler

Western haben einen besonderen Status, sagt Quentin Tarantino, sie sagen mehr über das Jahrzehnt in Amerika, in dem sie gemacht wurden, als jedes andere historische Genre. Sein neuer Western "The Hateful Eight", der Ende des Monats bei uns ins Kino kommt, spielt kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, und er soll eine Menge sagen über das Amerika der letzten Monate, das erschüttert ist durch mörderische Gewalt gegen seine schwarzen Bürger, verübt durch Fanatiker oder durch Polizisten.

Seine Erfahrungen mit dem Western hat Tarantino eher spät gemacht, er ist geprägt von Filmen wie "Soldier Blue/Das Wiegenlied vom Totschlag" oder "Little Big Man". Und natürlich durch die Italowestern, die das Genre travestierten, blutig, schmuddelig, zynisch.

In der Transparenz, die Tarantino im Umgang mit dem Western entwickelt, Transparenz auf die politische Gegenwart hin, steckt ein Misstrauen dem klassischen amerikanischen Kino gegenüber. Deshalb war einer der erfreulichen Medienerscheinungen im vorigen Jahr, angenehm anachronistisch mitten im Streaming-Furor und im nicht nachlassenden Serien-Hype, der beständig anwachsende Output von Western auf - den angeblich zum Untergang verurteilten - DVD- und Blu-ray. Teils in der Form von "Western Legenden" oder "Western Classics" (bei engagierten Anbietern wie Koch Media, Al!ve, explosive media). Die Fünfziger dominieren hier, die Zeit, als nach dem Krieg das Westerngenre sich exakt noch einmal definieren musste - was dann durch die ersten TV-Serien fortgesetzt und beschlossen wurde.

Es sind nicht alle gebotenen Filme digitally remastered, manchmal ist das Originalmaterial farblich schwach, enthält passagenweise Kratzer oder das Format ist beschnitten - man erinnert sich dann an die abgenudelten Kopien, in denen man diese Filme einst in Nachtvorstellungen der Programmkinos sehen durfte. Meistens gibt es keine Untertitel zur Originalfassung, manchmal überhaupt nur eine deutsch synchronisierte Fassung. Genrefilme sind Gebrauchsfilme, sie sabotieren die Vorstellung von der Kunst der Originale, die im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit sowieso gehörig ramponiert ist.

Aber der Reichtum dieser Filme ist gewaltig, und die Einblicke ins Hollywood-Studiosystem und seine Möglichkeiten - wie Geschichte reflektiert wird in der Massenkultur.

Mehr als eine nostalgische Angelegenheit

Western-Neuauflagen: Herrschaft der Frauen: Rhonda Fleming in "Bullwhip".

Herrschaft der Frauen: Rhonda Fleming in "Bullwhip".

(Foto: Al!ve)

Es gibt jede Menge weniger bekannter Regisseure, Kings of the B's - Thomas Carr bringt Joel McCrea und Virginia Mayo zusammen in "The Tall Stranger", Harmon Jones Guy Madison und Rhonda Fleming in "Bullwhip", bei uns unter dem Titel "Das Teufelsweib von Montana". Es gibt zwei Filme mit Randolph Scott, "Donnernde Hufe/Thunder over the Plains" und "Der schweigsame Fremde/The Stranger Wore a Gun", 1953 von André de Toth, der gern mit Scott arbeitete und dann von Budd Boetticher abgelöst wurde - der letzte Scott-Boetticher-Western, der essenzielle "Comanche Station" von 1960 ist ebenfalls wieder aufgelegt worden.

Der Gewinner des Jahres ist wohl Joseph Kane, von dem es ein gutes halbes Dutzend Filme neu gibt, einer der großen Westerner des kleinen, unabhängigen Republic Studio, sein Markenzeichen sind wunderschöne Szenen in Bergwäldern, zum Beispiel in dem bitteren Indianerwestern "Oh, Susanna!" oder im "Teufel von Colorado/The Maverick Queen", wo Barbara Stanwyck erstmals auf Barry Sullivan trifft, ein Jahr bevor Sam Fuller die zwei für "Forty Guns" holte. Die Frauen sind unglaublich tatkräftig in diesen Filmen, intrigant, herrschaftlich und dominant, wenn es gilt, das durch die Gewalt der Männer eroberte Land in gesellschaftliche Ordnung zu bringen.

Der Western ist im DVD-Angebot wie eine magische Enklave, ein Rückzugsgebiet, und vielleicht braucht er, wenn er von der Verwandlung der Wildnis in Kultur und Zivilisation erzählt, den Unterschlupf bei den gediegenen Träger-Medien DVD und Blu-ray - und entzieht sich dem anonymen Ambiente von TV-Ausstrahlung und Streaming. Und doch ist er mehr als eine nostalgische, folkloristische Angelegenheit.

Man lernt in ihm paradigmatisch, wie Amerika seine Vergangenheit in Bezug setzt zu seiner Gegenwart, aber nicht so dreist, wie wenn Tarantino ihn einfach zu seinem Sprachrohr macht. "Vielleicht verhält es sich so", schrieb Helmut Färber in "Einige Notizen über amerikanische Western" 1975 in der Zeitschrift Filmkritik, "daß nicht nur in den Western, sondern überhaupt in den USA das politische und tägliche Verhältnis von Reden und Handeln anders als hier beschaffen ist. Daß dort etwas Grundsätzliches, eine Weltanschauung, sofern durch die Sprache, sich mehr im Rhythmus, den Anekdoten, der starren Unverbindlichkeit ausdrückt, weniger durch bestimmte Begriffe und Argumente. Und daß insgesamt Sprechen nicht so sehr ein Ersatz für Handeln ist."

Im vorigen Jahr erschien endlich auch "Canyon Passage", 1947, von Jacques Tourneur, "einer der geheimnisvollsten", sagt Martin Scorsese, "und erlesensten Exemplare des Westerngenres". Ein Zeugnis vom Entstehen der amerikanischen Gesellschaft, zwischen Affirmation und Zweifel, Zerstörung und Aufbau. Ein Western, der alle anderen in sich einschließt.

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