Werner Spies' Rolle im Kunstfälscherskandal:Ende der Unfehlbarkeit

"Ich kann doch nicht aus dem Fenster springen. Es ist die totale Verzweiflung": Im Zuge eines der größten Kunstfälscherskandale der Nachkriegsgeschichte stürzt nun der vielfach geachtete Kunsthistoriker Werner Spies vom Thron. Er hatte gefälschte Max-Ernst-Gemälde nicht erkannt - und war an deren Verkauf beteiligt.

Renate Meinhof

Irrtum ist nicht gleich Irrtum, in dieser Geschichte nicht. Für Werner Spies, den vielfach geehrten Kunsthistoriker, den Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist der Irrtum wie ein Sturz, ein Fall vom Thron der Unfehlbarkeit. An seinem Irrtum haben sich im vergangenen Jahr die anderen Kunstexperten, Galeristen und Auktionatoren gemessen, die, wie er, den gefälschten Bildern aus der so genannten Sammlung Werner Jägers aufgesessen sind. "Wenn selbst der Spies geirrt hat ...", so hört man, und in dem Satz schwingt immer etwas mit, das einer Entschuldigung für eigene Fehleinschätzung nahe kommt.

'Picasso  - Malen gegen die Zeit'

"Was soll ich machen? Ich kann doch nicht aus dem Fenster springen. Es ist die totale Verzweiflung": Kunsthistoriker Werner Spies, hier als Kurator der Ausstellung "Picasso - Malen gegen die Zeit" (Archivfoto von 2007).

(Foto: ddp)

Werner Spies ist jetzt 74 Jahre alt, er schreibt an seinen Memoiren. Er hat sich, vor allem, mit seiner Kenntnis und Pflege des Werks von Max Ernst viele Verdienste erworben. Sie waren befreundet, er und Max Ernst, und nun hat er das Œuvre des toten Freundes beschädigt. Die Geschädigten werfen ihm vor, leichtfertig und gutgläubig gewesen zu sein.

"Was soll ich machen?", hatte Werner Spies am 5. Oktober gegenüber dieser Zeitung gesagt, kurz nachdem er von den Ermittlern des Berliner Landeskriminalamtes fünf Stunden lang befragt worden war, "ich kann doch nicht aus dem Fenster springen. Es ist die totale Verzweiflung."

Sieben Bilder aus der Jägers-Sammlung, gefälscht im Stil von Max Ernst, hatte er für echt befunden. Wegen eines dieser Bilder, es heißt "Tremblement de terre", ist in Frankreich gegen Spies und gegen den Galeristen Jacques de la Béraudière eine Klage auf Schadensersatz anhängig, wie der Spiegel berichtet.

Wenn in Köln der Prozess gegen die Fälscherbande um Wolfgang Beltracchi eröffnet werden wird, so wird auch Werner Spies als Zeuge geladen sein. Durch seine Echtheitsbestätigungen war es dem Trio gelungen, mindestens fünf der gefälschten Max-Ernst-Bilder auf den internationalen Kunstmarkt zu bringen, wo sie für Millionen verkauft wurden.

Seit Ende August sitzen Wolfgang Beltracchi, dessen Frau Helene und der Krefelder Bäckermeistersohn Otto Schulte-Kellinghaus in Haft. Gerade ist Anklage erhoben worden. Über Auktionshäuser und Galerien in ganz Europa hatten sie die gefälschten Bilder auf den Markt gebracht. Der Gesamtschaden liegt im hohen zweistelligen Millionenbereich.

Die Werke tauchten auf wie aus dem Nichts und begeisterten die Fachwelt, denn es war "frische Ware", die Millionengewinne versprach. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten wird Kunst plötzlich zur sicheren Anlage auch für Menschen, denen der Geldwert eines Bildes alles bedeutet, sein ästhetischer aber nichts.

Die ungeheure Hektik des Marktes, die Angst der Händler, ein angebotenes Bild womöglich an einen Konkurrenten zu verlieren, hat dazu geführt, dass die Sorgfalt zu kurz kommt. Denn Expertisen brauchen Zeit. Wer sich die Zeit nicht nimmt und hofft, dass alles schon irgendwie glatt geht, erlebt einen Crash, wie die Bilder der Sammlung Jägers ihn ausgelöst haben. Denn das Auffliegen der Gruppe um Wolfgang Beltracchi war ein Crash, oder, um es positiver zu formulieren: ein reinigendes Gewitter.

Für Werner Spies ist es ein Erdbeben. Was das Bild "Tremblement de Terre" betrifft, um das bei der 6. Kammer des Zivilgerichts Nanterre gestritten wird, so sieht Spies' französischer Anwalt Jean-Pierre Spitzer keine Chance für den Kläger, die Firma Monte Carlo Art S. A. und dessen Inhaber Louis Reijtenbagh, Geld zurückzubekommen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie die gefälschten Bilder in Umlauf kamen.

"Überhaupt keinen Zweifel"

Das Bild, angeblich 1925 von Max Ernst gemalt, war 2004 von der Pariser Galerie Cazeau-Béraudière an Reijtenbaghs Firma verkauft und 2009 bei Sotheby's zum Preis von 1,1 Millionen Dollar versteigert worden. Der Prozess in Nanterre läuft bereits seit sechs Monaten. Werner Spies hat, sagt Jean-Pierre Spitzer, für das Bild "keine Expertise im juristischen Sinne" ausgestellt. Spies habe das Bild lediglich zertifiziert, indem er handschriftlich auf die Rückseite eines Fotos des Bildes notiert habe, dass er das Gemälde, als Autor des Werkverzeichnisses, in dasselbe aufnehmen wolle. Spies, so Spitzer, habe im guten Glauben an die Echtheit des Bildes gehandelt, er habe niemandem gesagt oder geschrieben: "Kauf das ruhig, es ist ein Max Ernst."

Peter Raue, Werner Spies' deutscher Anwalt, sagt: "Die Klage entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Es gibt keinen Paragraphen, auf den sich die Forderung des Klägers stützen könnte."

Aber natürlich ist ein Foto mit einer solchen Notiz des Kunsthistorikers Spies wie ein Siegel, eine Adelung. Eine, ohne die sich das Bild überhaupt nicht verkaufen lässt. Und genauso haben die Fälscher diese Fotoexpertise, und auch die anderen aus Spies' Hand, benutzt.

Das Bild "Tremblement de terre" ist nicht Bestandteil der Anklage gegen das Fälschertrio um Wolfgang Beltracchi. Das Auktionshaus Sotheby's hat bisher die für die Berliner Ermittler notwendigen Akten nicht zur Verfügung gestellt, so dass die Wege des Bildes und des dafür gezahlten Geldes noch nicht eindeutig nachgezeichnet werden konnten.

Bei fast allen Bildern von Max Ernst, die das Fälschertrio auf den Markt bringen wollte, war es Otto Schulte-Kellinghaus, der reisende Logistiker, der den Kontakt zu Spies gesucht hat.

Auch das Bild "La Forêt (2)", angeblich 1927 von Max Ernst gemalt, kam über ihn zu Werner Spies. Bereits im Jahr 2001 hatte Schulte-Kellinghaus bei der Pariser Expertin Sylvaine Brans ein naturwissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben-offenbar eine Art Testballon-in der Hoffnung, die Echtheit des Gemäldes offiziell bestätigt zu bekommen. Brans wies aber chemische Verbindungen von Tiandioxid und Phthalocyanin nach. Das Bild, so die Expertin, könne unmöglich 1927 entstanden sein.

Schulte-Kellinghaus aber ignorierte das Negativgutachten und nahm im Frühjahr 2004 Kontakt zu Werner Spies auf. Er lud ihn ein in das Anwesen der Betracchis im südfranzösischen Mèze, wo auch Helene Beltracchi auf ihn wartete. Ihr Großvater, Werner Jägers, so die Legende, habe Bilder gesammelt und sei ein Freund der Galerie Alfred Flechtheim gewesen, über die er auch diese Max-Ernst-Arbeit erworben habe.

Spies sagte dieser Zeitung, dass ihm diese Darstellung schlüssig erschienen sei, "weil ich von Max Ernst ja wusste, dass Flechtheim rund 50 seiner Arbeiten im Besitz hatte, von denen er, Ernst, mehrere nach dem Krieg nie wiederbekommen hat." Er habe "überhaupt keinen Zweifel" gehabt, "dass es aus der Hand von Max Ernst stammt".

Später, nachdem er das Gutachten erstellt hatte, war Spies auch an der Vermittlung dieses und anderer vermeintlicher Max-Ernst-Bilder beteiligt. Ein Gutachten schreiben einerseits, andererseits am Verkauf Geld verdienen - das ist eine schwierige Verknüpfung der Interessen. "Nein", hatte Werner Spies gesagt, denn "beim Abfassen der Expertisen habe ich keine Vermittlertätigkeit im Auge gehabt. Von dem Gedanken, dass ich bei einem Echtheitszertifikat am späteren Verkauf beteiligt sein könnte, habe ich mich bei meiner Arbeit ein Leben lang nicht leiten lassen."

Letztlich wurde "La Forêt (2)" von dem amerikanischen Verleger Daniel Filipacchi erworben, für 7 Millionen US-Dollar, wie die Berliner Ermittler herausfanden.

Werner Spies, so sein Anwalt Peter Raue, "beugt sich der Erkenntnis der naturwissenschaftlichen Analysen. Stilkritisch aber würde er heute genauso urteilen wie ehedem."

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