Werk der Wahl:Selbst geformt

Die Schauspielerin Caroline Peters war und ist inspiriert von der Selbstinszenierung Cindy Shermans

Derzeit kann man gleich fünf Arbeiten von Cindy Sherman in der "Inszeniert"-Ausstellung in der Kunsthalle in München sehen. Entdeckt habe ich sie Ende der 1980er-Jahre mit ihrer fotografischen Schwarz-Weiß-Reihe "Untitled Filmstills", die sie zwischen 1977 und 1980 aufgenommen hat. Ich war von den Bildern der immer gleichen und immer neuen "Cindy" sehr beeindruckt. Ich sah das erste Mal die Idee verkörpert, Autorin, Regisseurin und Model in einer Person zu sein. Eine Frau zu sein, die nicht erwartet, entdeckt zu werden, sondern sich selbst porträtiert in allen Arten und Weisen, in denen sie gesehen werden will. Madonna hat das dann im Pop und im ganz großen Business meiner Generation in die Arbeitswiege gelegt: sich immer neu erfinden. Aber als ich Cindy Sherman das erste Mal sah, wusste ich noch nichts von den Metamorphosen, die auf Madonna-Interpreten und Kulturjournalisten zukommen würden.

Seit meinem Beginn am Theater finde ich das klassische Repertoire für Frauen beschränkt und schwierig - ganz besonders für junge Frauen. Julia, Gretchen, Käthchen von Heilbronn. Da geht es immer um eine Art von Zartheit und Feinheit und darum, auf der Bühne Emotionen zu versprühen, aber nie um eigene Inhalte. Sie sollten den Handlungssträngen der Männer zwar kurz einen Impuls oder gar Motiv geben, aber dennoch nicht lange deren Teilen der Geschichte im Weg stehen. Ich habe mich dafür nicht geeignet. Die Zusammenarbeit mit René Pollesch war eine dringend herbeigesehnte Errettung. Dass ich selber den Stoff in der Hand habe und Sätze sagen kann, die unmittelbar ergreifen und interessieren, das hat sehr viel mit meiner Arbeit und dem Selbstverständnis meines Wesens zu tun.

Werk der Wahl: Cindy Shermans selbstbestimmte Selbstdemontage nahm auch die Selfie-Manie schon vorweg: "Untitled #299" von 1994.

Cindy Shermans selbstbestimmte Selbstdemontage nahm auch die Selfie-Manie schon vorweg: "Untitled #299" von 1994.

(Foto: Courtesy of the artist/Metro Pictures, New York/Sammlung Goetz, München)

Diese Art der künstlerischen Inszenierung erkenne ich in Cindy Shermans Gesamtkunstwerk. Oder ich habe sie dort gelesen und abgeguckt. Und das Abgucken ist etwas sehr Essenzielles in künstlerischen Berufen. Als Cindy Sherman ihre "Untitled"-Serien erarbeitete, die jetzt in der Kunsthalle zu sehen sind, war sie sowohl Vorbotin als auch Wegbegleiterin der gesellschaftlichen Veränderungen der Geschlechter. Und ich würde so weit gehen, mir denken zu wollen, dass sie mit ihren Arbeiten Judith Butlers philosophisches Meisterwerk von 1990 "Gender Trouble" mit angeregt hat.

Ihre fotografische Selbstinszenierung in stereotypen, aber auch konstruierten weiblichen Rollenbildern hatte und hat noch immer sehr viel damit zu tun, wie ich mich als Frau, als Wesen in der Kunst begreife: Als eine Art Stoff, Material, mit dem ich mich selbst in dem Text sowie der Geschichte forme, statt mich einem sogenannten Werk zur Verfügung zu stellen. Verkleidet, maskiert oder bis zur Unkenntlichkeit deformiert, arbeitet sie als Regisseurin vor der Kamera die unterschiedlichen Frauenfiguren heraus.

Caroline Peters

Caroline Peters spielt seit 2004 im Ensemble des Burgtheaters in Wien. Für ihre Arbeit am Theater sowie im Film wurde sie vielfach ausgezeichnet.

(Foto: People Relations)

Obwohl ihre Bilder alle Selbstporträts sind, verraten sie nicht viel über ihre Persönlichkeit. Vielmehr beschäftigen sie sich mit Fragen der Identität, Rollen, Körperlichkeit und Sexualität. Ein weiterer Aspekt ihres Werks ist die Auflösung der Prinzipien "Objekt" und "Subjekt". Die Herangehensweise, diese Grenzen verwischen zu wollen, ist meiner Arbeit beim Theater und im Film sehr nahe, und sie regt mich noch immer an, meine Figuren "aufgelöster", mit eigenem Tempo und deutlicheren Farben zum Leben zu bringen.

Jetzt, beinahe 40 Jahre später, empfinde ich Cindy Sherman noch immer als eine Art Oskar Schlemmer unserer Zeit. Für mich ist sie auch eine der "Übersetzerinnen" der verwandtschaftlichen Beziehungen des Hollywoods der Silverscreens zu den europäischen Bühnen der Vorkriegszeit. Wie ab den 1960er-Jahren die wachsende "Identitäten"-Krise allergieartig hat ausbrechen können, hat sich mir in ihrem Posing dargestellt und erschlossen.

Ihre Arbeit ist so mehrdeutig und hat noch immer einen immensen Einfluss auf Fragen nach Selbstverständnis und Selbstinszenierung. Die Wichtigkeit und Ausdruckskraft des "Posings" ist eine Vorwegnahme der gegenwärtigen Selfie-Kultur - kann man heute meinen. Ein frühes Erkennen dieses seltsamen Mechanismus der Selbstdarstellung, die Züge von Selbstdemontage bis zur Selbstdestruktion hat und die erst durch eine weitaus spätere Revolutionierung der Bildtechnik möglich und massentauglich werden konnte, erschließt sich durch ihre Arbeit. Ich verehre Mrs. Sherman.

Inszeniert! - Spektakel und Rollenspiel in der Gegenwartskunst, Kunsthalle München, Theatinerstraße 8, bis 6. November; täglich 10-20 Uhr

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