Werk der Wahl:Kunstvolles Geständnis

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Warum Jutta Speidel die Installation "Ring My Bell" von Zilla Leutenegger auf Anhieb begeisterte

Protokoll von Susanne Hermanski

Jetzt gestehe ich ein Geheimnis. Darin liegt der wahre Grund, warum mich Zilla Leuchteneggers Installation in der Pinakothek der Moderne auf Anhieb so angesprochen hat: Ich bin eine Voyeurin. Ich liebe es, nachts durch die Straßen zu gehen und in die Fenster anderer Leute zu sehen. Nicht etwa, um dort erotische Umtriebe zu entdecken. Einfach nur, weil ich es liebe, wie Menschen sich in ihren vier Wänden ganz beiläufig bewegen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Natürlich will ich dabei keineswegs ertappt werden. Aber ich träume mich gern in eine Familie, die ich gar nicht kenne. Das hat wohl angefangen, als ich als junge Frau in den Siebzigerjahren nach München gezogen bin.

Ich liebe Offenheit bei Menschen, wer sich hinter seiner Thujenhecke versteckt, ist mir eher suspekt. Zilla Leutenegger hat in ihrem Zyklus "Apartment" sieben Räume einer Wohnung mit Zeichnungen und wenigen Requisiten gestaltet. Wenn man jetzt durch die Ausstellung geht, betritt man gewissermaßen ihr Zuhause. Sie nennt sich darin kurz "Z". In ihrer Küche legt sie Platten auf für den Besucher - statt für ihn zu kochen. In ihr Bad kann man durch einen engen Türschlitz gucken. Man sieht sie als Schattenriss hinterm Duschvorhang - als wahnsinnig dünne Person. Ich finde, Zilli muss mehr essen, dünne Menschen können einfach nicht genug aus dem Vollem schöpfen. Aber das geht mich ja eigentlich nichts an.

Zilla Leuchtenegger ist Schweizerin. Und ich glaube, das spielt bei ihrer Installation auch eine ganz bestimmte Rolle. Ich habe sechs Jahre lang in der Schweiz gelebt und sofern man das so pauschal sagen darf: Die Schweizer haben einerseits einen ungeheuer spießigen Charakterzug, andererseits sind sie sehr witzig und unkonventionell. In einem Video, das zu der Installation gehört, und das den Betrachter ins Freie führt, kann man das ganz genau erkennen: Darin tritt ein Mann mit recht lustigen Schritten hinaus ins Licht. Dort angekommen, dreht er aber lieber wieder um, stellt sich zurück in den Schatten und wird so ganz einfach wieder unsichtbar.

Was mich selbst anbelangt, muss ich zugeben: Ich war schon offener für plötzliche Besucher in meinen eigenen vier Wänden. In meiner Schwabinger Zeit, da galt wirklich jederzeit: "Ring My Bell". Aber jetzt sitze ich durchaus auch gern einmal ungestört in meinem Garten und genieße die Ruhe. Aber sich deshalb ganz auszuklinken aus der Welt, das wäre mir doch zu unverantwortlich.

Ring My Bell. Zilla Leutenegger , bis 4. Okt. in der Pinakothek der Moderne, tägl. a. Mo., 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Mi. "Allianz Tag": freier Eintritt

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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