Werk der Wahl:Kaffeesatzleserei

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Alexandra Helmig über Jenny Holzers Sprachdenkmal für Oskar-Maria Graf

Protokoll: Barbara Hordych

Die Lauflichtsäule über der Bar im Café des Literaturhauses schuf die New Yorker Künstlerin Jenny Holzer 1997 als Sprachdenkmal für Oskar Maria Graf. Über das vertikale Laufschriftband aus Leuchtdioden laufen einige seiner Erzählungen. Mit der Installation, konzipiert als "Kunst im öffentlichen Raum", erinnert die bekannte Künstlerin an den bayerischen Dichter-Rebell Oskar Maria Graf. Eingeweiht wurde das unkonventionelle Sprachdenkmal bei der Eröffnung des Literaturhauses. Ich sage mal so - mehr "öffentlich" geht nicht. Meiner Erfahrung nach nehmen viele Leute das Werk erst einmal gar nicht als Literaturdenkmal wahr, weil sie denken, es sei ein Werbegag. So ging es übrigens auch mir, als ich das Leuchtdenkmal mit den laufenden Textpassagen zum ersten Mal gesehen habe. Genau das beabsichtigt Jenny Holzer aber auch. Ende der Siebzigerjahre hat sie mit ihren sogenannten "Truisms" in den Straßen New Yorks angefangen. Eine Serie von Einzeilern, Aphorismen oder Statements, mit denen sie Gebäude, Mauern und Zäune in Manhattan anonym plakatierte.

Das Literaturhaus ist eines der ersten Häuser, zu denen ich einen Bezug entwickelte, nachdem ich 2002 nach München gekommen war. Ich habe hier an der kreativen Schreibwerkstatt "Manuskriptum" teilgenommen, einer Kooperation von Literaturhaus und Ludwig-Maximilians-Universität, für die ich mich mit einer Kurzgeschichte beworben hatte. Nachdem ich an der Hamburger Schauspielschule studiert und einige Jahre in dem Beruf gearbeitet hatte, war das mein Start als Autorin. Vorher habe ich mich nie richtig getraut zu sagen, ich bin Autorin, obwohl ich immer geschrieben habe. Ich habe oft die Wirkung meiner Texte getestet, indem ich sie vorgetragen habe. Dabei habe ich immer behauptet, ich hätte sie gefunden. Das hatte den großen Vorteil, dass das Feedback ehrlich und lehrreich war. Jahre später habe ich hier im Literaturhaus an einem Jugendromanseminar teilgenommen, das mich zu meinem ersten Kinderroman ermutigt hat.

Überraschung nach dem letzten Schluck: Ein Graf-Zitat am Grund einer Tasse. (Foto: Catherina Hess)

Auch für Jenny Holzer war dies wohl ein besonderes Haus, wie ich im Nachhinein erfahren habe, denn es ist das erste Mal gewesen, dass sie nicht mit eigenen, sondern mit fremden Texten bei einer Installation gearbeitet hat. Eine Vorgehensweise, die sie danach beibehalten hat. Dadurch hat Oskar Maria Graf für ihre eigene künstlerische Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt.

Sie hat ja nicht nur die Lauflichtsäule, sondern auch das Oskar-Maria-Graf-Geschirr von Villeroy und Boch als Denkmal für den Dichter im Literaturhaus gestaltet. Zitate aus seinem Werk sind auf Geschirrteilen wie Tassen, Untertassen und Tellern gedruckt. Das ist eine tolle Idee. Schon oft habe ich beim gemeinsamen Essen nach Lesungen oder Veranstaltungen erlebt, was die Zitate von Oskar Maria Graf auslösen: Die Leute heben die Tasse, lesen auf der Untertasse plötzlich einen Satz wie: "Mehr Sexualität, die Herrschaften!" und "Mehr Erotik, bitte!" Sie führen ein Stück Kuchen zum Mund, und auf dem Teller wird der Spruch sichtbar: "Es muss jetzt doch bald wahr sein, dass ich berühmt bin." Und dann passiert etwas Spannendes, Unerwartetes. Die Themen werden gewechselt, man kommentiert das, was man gelesen hat und tauscht sich über etwas anderes aus. Oftmals werden Gespräche dadurch überraschend persönlich oder philosophisch.

Die Schauspielerin und Autorin Alexandra Helmig lebt mit ihrer Familie in München, wo sie auch das Kinderkunsthaus gründete. In dem gerade abgedrehten Film "Frau Mutter Tier" (nach ihrem eigenen Theaterstück), spielt sie mit Julia Jentsch. (Foto: Luis Zeno Kuhn)

Ich liebe es, wenn Assoziationen freigesetzt werden, durch Texte, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Gewohnte Sichtweisen werden aufgebrochen und öffnen den Blick. Das Besondere an Konzeptkunst ist ja, dass es den Betrachter stets miteinbezieht und sich die Kunst damit ständig verändert. Das führt unweigerlich zu der Frage: Wo fängt Kunst an, wo hört sie auf? Sind zum Beispiel Toilettensprüche Kunst? Nein, aber auch die können inspirieren. Ich lese sie immer gerne. Jenny Holzer, aber auch andere Künstlerinnen wie Barbara Kruger oder Birgit Brenner werfen mit ihren provozierenden Textfragmenten gesellschaftspolitische und soziale Fragen auf. Und gerade heute, in einer Zeit der kurzen Statements, die durch digitale Netzwerke ständig und überall in Sekundenbruchteilen die Welt überfluten, ist ihre Arbeit wichtiger denn je. Mich fasziniert das Spiel mit der Sprache sehr. Manchmal genügt ein einziges Wort oder ein einziger Satz, um zu verstören oder zu hinterfragen oder anzuregen.

Als ich 2014 mit der kanadischen Autorin Margret Atwood und ihrem Buch "Die Geschichte von Zeb" auf Lesereise war, entdeckten wir am schwarzen Brett eines Hotels diesen Satz: "Kreativität kann man nicht aufbrauchen, je mehr man sich ihrer bedient, desto mehr wächst sie." Das Zitat stammt von Maya Angelou, der afroamerikanischen Schriftstellerin, Professorin und Menschenrechtlerin. Dieser Satz ist zu meinem Lebensmotto geworden, weil er die Fantasie beflügelt. Kreativität kennt keine Grenzen, weder in der Kunst noch sonst irgendwo.

Aktuell läuft auch noch die Ausstellung "Oskar Maria Graf. Rebell, Weltbürger, Erzähler" , Mo-Mi, Fr 11-19 Uhr, Do 11-21.30 Uhr, außer 5. Okt., Sa/So 10-18 Uhr, bis 5. November, Literaturhaus München

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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