Werk der Wahl:Ein Vorbild auch in unserer heutigen Zeit

Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler bewundert "Anna Selbdritt" in der Sammlung Bollert des Bayerischen Nationalmuseums

Gastbeitrag von Susanne Breit-Keßler 

An dieser Skulptur sieht man, wie wichtig Frauen in der Heilsgeschichte sind. Wichtig? Unverzichtbar! Alle drei zusammen, Anna, Maria und Jesus, sind beliebtes Thema der Kunst. Anna Selbdritt, Anna zu dritt, heißen die Darstellungen, die Großmutter, Mutter und Kind innig vereint zeigen. "Meine" elegante italienische Anna Selbdritt stammt aus dem 15. Jahrhundert.

Mir gefällt, dass Oma Anna ihre Tochter auf dem Schoß hält, die wiederum den kleinen Jesus so gesetzt hat, dass er sich an beide anlehnen kann. Mutter und Tochter besitzen klare, eigenständige Profile. Sie sind schön, ohne gefällig zu wirken. Für mich echte role models - Frauen, die nicht angepasst sind, sondern eigenständig, die Mumm in den Knochen haben und mit schwierigen Lebenssituationen fertig werden. Sie wissen, das sehe ich, um die Komplexität des Daseins.

Die Skulptur aus Lindenholz ist zwischen 1480 und 1490 entstanden, um die Zeit, in der Luther geboren wurde. Der Reformator rief Anna der Legende nach an, als ihm ein Gewitter recht bedrohlich erschien. "Hilf, heilige Anna, ich will Mönch werden." Der Vater war wütend, weil der Filius keine weltliche Karriere anstrebte. Aber Luther hielt seinen Schwur, den er vermutlich längst innerlich getan hatte. Wäre auch schade gewesen, dann hätten wir keinen Erneuerer der Kirche gehabt.

Werk der Wahl

Oma, Mutter, Kind: Die Skulptur der "Anna Selbdritt" aus Norditalien (um 1480/90) in der Sammlung Gerhart Bollert.

(Foto: BNM/Walter Haberland)

Anna gilt als Patronin der Schiffer, kinderloser Frauen und werdender Mütter, von Brautleuten, Ammen und allen, die im Haushalt beschäftigt sind. Viel zu tun für die Gute, aber Frauen sind das gewöhnt. Der Psychologe Sigmund Freud deutet Anna Selbdritt existenziell: Es geht um tiefe Zuwendung zueinander. Ich selber erkenne das am gegenseitigen Stützen und Halten von Anna, Maria und dem Kind. Es geht aber auch, so Freud, um Loslassen, sich trennen müssen.

Eine leise Melancholie spiegelt sich in den Gesichtern der Mütter, die mir vertraut ist. Wen habe ich nicht schon alles gehen lassen müssen . . . Passion, Leiden und Leidenschaft spielen im Miteinander der Frauen - auch der Männer - mit dem Gottessohn die entscheidende Rolle, meint Freud. Das ganze Leben mit seinen Höhen und Tiefen gehört in diese Beziehung hinein. Der kleine, südländisch aussehende Jesus segnet auch schon mal - und sieht dabei ziemlich besorgt aus. Zu Recht.

Werk der Wahl: Susanne Breit-Keßler ist Regionalbischöfin und Ständige Vertreterin des Landesbischofs.

Susanne Breit-Keßler ist Regionalbischöfin und Ständige Vertreterin des Landesbischofs.

(Foto: Heike Rost/ELKB)

Die Menschheit ist zu keiner Zeit in wirklich gutem Zustand. Mutter und Großmutter haben nicht die Absicht, ihm groß was vorzumachen. Das tut weh, weil es mich daran erinnert: Die Kinder der Welt werden viel zu früh mit der harten Realität konfrontiert. Ich denke an strampelnde Babys, die über die Reling von Flüchtlingsbooten gereicht, oder an Fünfjährige, die mutterseelenallein in Busse gesetzt werden, und an Halbwüchsige, die nach jahrelanger Flucht Traumatherapien brauchen.

Eine Verwandtschaft mit dem Gottessohn ist nicht abzustreiten, der als Kleinkind einem Mordanschlag entkam und mit den Eltern Asyl im Nachbarland erhielt. Unsere Schützlinge brauchen Omas und Mütter, wie ich sie in Anna und Maria erkenne. Ich wünsche ihnen auch eine Patrona Bavariae, die sich ihrer in vielerlei Gestalt freundlichst annimmt.

Anna Selbdritt - ein Gnadenbild, zu dem Menschen pilgern, um Trost und Zuspruch zu erfahren. Natürlich kann das eine Skulptur nicht wirklich liefern. Sie vermag aber eine hinter ihr liegende Wirklichkeit anschaulich zu machen. Wir etwa leben unverdientermaßen, wo es gut ist zu leben. Diese Gnade lässt sich gut teilen. Im übertragenen Sinn könnte unsereins wie Anna gleich noch zwei auf den Schoß nehmen. Das Gnadenbild der Anna Selbdritt inspiriert mich jedenfalls dazu, Lebensgeschichten moderner Menschen ernst zu nehmen und ihren Passionen fürsorglich abzuhelfen.

Bayerisches Nationalmuseum, Sammlung Bollert, Prinzregentenstr. 3, nur Do-So 10-17 Uhr

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