Werk der Wahl:Aufblühen und Verblühen

Nikolaus Bachler über das "Revolutionsklavier" von Joseph Beuys

Protokoll von Evelyn Vogel

Mit Joseph Beuys, aber auch mit diesem Werk verbindet mich enorm viel, obwohl ich das "Revolutionsklavier" erst sehr viel später kennenlernte. Ich bin ja - auch wenn ich in Österreich geboren bin - das, was man 68er-Generation nennen kann. Für uns, als erwachsen werdende Jugendliche, war alles, was in Deutschland passierte, ungemein wichtig. Ich habe etwa um diese Zeit Abitur gemacht.

Da war vor allem Adorno die Lichtgestalt, aber auch Beuys war ganz, ganz wichtig. Und ich erinnere mich sehr gut, wie Beuys in den Siebzigerjahren - da war ich schon im Studium - es abgelehnt hat, die Beschränkungen der Anzahl der Studierenden auf der Kunstakademie zu akzeptieren. Bekanntermaßen hat er ja die Abgelehnten in seine Klasse aufgenommen und damit seinen Job riskiert - ihn am Ende auch verloren. Das waren alles Vorgänge, die eine Erweiterung des Kunstbegriffes ins Soziale hinein darstellten. Dann kamen die ganzen Aktionisten wie Nitsch oder Brus, das spielte dann auch in Österreich. Das waren geistige Revolutionen. Das prägte natürlich auch das, was in der Kunst, was im Theater passierte. Und das hat auch meine Jugend ganz wesentlich mitgeprägt.

Das "Revolutionsklavier", eine Installation von 1969, die in der Ausstellung im Lenbachhaus nun in Form einer Postkarte zu sehen ist, drückt genau das aus. Es entspricht dem Lebensgefühl von damals, diesem fast schon poetischen Verlangen nach Aufbruch, nach Freiheit, ja man könnte auch sagen: nach Aufblühen. Und jetzt, fast 50 Jahre später, wo wir selbst auf- und verblüht sind, wirkt es beinahe prophetisch. Ich glaube, deshalb liebe ich es auch so. Das Aufblühen und das Verblühen, das macht einen wesentlichen Teil dieses Kunstwerks aus.

Beuys Revolutionsklavier

Kampf gegen die Vergänglichkeit: Die Revolution wurde von Joseph Beuys ausgestellt und gleichzeitig hinter Glas geschützt.

(Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2018/courtesy Schirmer/Mosel)

Wenn man heute zurück blickt - nicht pessimistisch, sondern in gewisser Weise auch realistisch - kann man feststellen, dass trotz allem noch ungeheuer viel von der damaligen Kraft vorhanden ist. Wenn man sagt, diese Utopie, diese Erweiterung der Kunst ins Soziale sei letztlich gescheitert, dann muss man sich doch die Frage stellen: Was ist scheitern überhaupt? Oder ist nicht alles Scheitern?

Ich finde es hoch interessant, dass Beuys das Klavier in einen Glaskasten stellt. Bei ihm spielt das beschützende Moment ja eine ganz große Rolle. Diese Geschichte mit dem Flugzeugabsturz im Zweiten Weltkrieg und seinem Überlebenstrauma, worauf sich die Bedeutung von Filz und Fett gründet. Mich hat nie interessiert, ob das stimmt oder nicht. Aber daraus er-klärt sich natürlich vieles im Werk von Beuys. Dass er hier die Revolution auf einen Sockel stellt, dass er sie beschützt und ausstellt, das war sehr visionär. Beuys war so klar und ein-fach. Aber er war auch unglaublich genau.

Die Wiederentdeckung dieses Werks war für mich ein schöner Anlass, auf die eigene Vergangenheit zurückzublicken, auf die Entwicklung, die man selbst, die auch die Gesellschaft in diesen Jahrzehnten genommen hat. Da ist ein starker biografischer Bezug vorhanden. Und zusätzlich gibt es dann ja auch dieses Spielzeitthema an der Bayerischen Staatsoper "zeig mir deine Wunde", angelehnt an Beuys' Werk "zeige deine Wunde". Ein Werk, um dessen Ankauf Ende der Siebzigerjahre durch das Münchner Lenbachhaus ja geradezu ein Kulturkampf in dieser Stadt entbrannte. Da wir den "Parsifal" neu inszenieren, liegt ein Titel wie "zeig mir deine Wunde" nahe.

Werk der Wahl: Nikolaus Bachler ist Intendant der Bayerischen Staatsoper.

Nikolaus Bachler ist Intendant der Bayerischen Staatsoper.

(Foto: Markus Jans)

In meinen Augen liegt in dem Thema auch ein großes Problem unserer Zeit. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es immer ums Verbergen geht: Wir dürfen keine Schwäche zeigen, wir müssen immer erfolgreich sein, müssen immer jung und schön sein. Das sind alles Parameter, die gegen das Leben sind. Und deshalb ist dieser provozierende Aufruf "zeig mir deine Wunde" eine Metapher für das Defizit unserer Zeit. Denn letztlich leben und wirken wir aus unserer Ganzheitlichkeit heraus, und dazu gehören eben auch unsere Schwächen, unsere Neurosen und unsere Wunden. All das wird aber verdeckt. Wir streben nach einem Ideal, das so unwirklich, so unlebendig ist - fast so abstrakt wie der Glaskasten.

Beuys hat mal gesagt: Wenn man sich geschnitten hat, solle man das Messer verbinden und nicht die Wunde. Das ist für mich einer seiner genialsten Sätze - abseits aller Provokation, die dieser Satz natürlich auch enthält. Das verweist genau darauf, womit wir uns heute beschäftigen, nämlich mit den Symptomen und nicht mit den Ursachen. Wir kümmern uns nicht um Syrien und die Fluchtursachen, sondern um die Beschränkung des Familienzuzugs und Obergrenzen für Flüchtlinge. Ich finde, dieser Satz, das Messer und nicht die Wunde zu verbinden, ist philosophisch, radikal und prophetisch gleichermaßen.

Joseph Beuys: Einwandfreie Bilder 1945-1984; Lenbachhaus, Luisenstr. 33, bis 18. März, Di 10-20 Uhr, Mi-So und feiertags 10-18 Uhr

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