Werber in der Krise:Schön uncool

Eine Zigarre, eine Blondine und ein weißer Porsche: Werbung war einmal ein Mythos und das größenwahnsinnigste Geschäft der Welt - heute frisst die Krise ihre Helden.

Rebecca Casati

Norbert Herold ist ein Mensch, der keinen Wind macht, wenn er ein Restaurant betritt. Er ist mittelgroß, sein Anzug ist grau, seine Schuhe sind braun, sein Mantel schwarz. Sein Hamburger Dialekt wäre noch zu erwähnen, zumal Herold ihn in den über 35 Jahren, die er jetzt schon in München lebt, nie abgelegt hat. Herold ist ganz offensichtlich jemand, der die Dinge durchzieht.

Werber in der Krise: Nostalgischer Blick zurück: Frédéric Beigbeder verkörperte einst den erfolgreichen Werbetexter mit Hang zu Exzessen. Seine Erfahrungen beschreibt er in seinem Roman "39,90".

Nostalgischer Blick zurück: Frédéric Beigbeder verkörperte einst den erfolgreichen Werbetexter mit Hang zu Exzessen. Seine Erfahrungen beschreibt er in seinem Roman "39,90".

(Foto: Foto: ap)

Der studierte Grafikdesigner hat über 35 Jahre für dieselbe Werbeagentur gearbeitet, "Heye und Partner" in München-Unterhaching, zuletzt als Kreativchef. Das machte ihn in seiner Generation zu einer Art Einhorn, denn eigentlich gab es da kaum jemanden, der älter war als 45, 50. Entweder, man hatte es bis dahin geschafft, der Laden gehörte einem, und man stieg aus - so wie Beat Nägeli von "Knopf, Nägeli und Schnakenberg", der heute in Schleswig Holstein Rinder züchtet. Oder aber, man wurde peu à peu von den Jüngeren rausbugsiert.

Herold nicht. Er hat jeden ausgesessen, blieb immer auf seinem Kunden McDonald's, harrte aus, wurde nie weggebissen. Vielleicht, weil er, wie er selber sagt, damals als uncool galt; früh heiratete, Kinder bekam, ins Theater ging.

Herold hat sie also erlebt, die Anfänge der deutschen Werbebranche in den 60ern und 70ern. Dann die goldenen Jahre, die 80er und frühen 90er. Und dann den Abwärtstrend. "Allerdings war ich immer in München, weit weg vom Wahnsinn; der fand eher in Düsseldorf und Hamburg statt."

Noch Anfang der achtziger Jahre bestand die Hamburger Werberszene aus Dienstleistern, Sponti-Typen, die auch im Sommer speckige Lederjacken trugen und sich jeden Abend in der Bierkneipe "Die Gurke" trafen.

Dann, 1984, startete der erste deutsche Privatsender. Und dann noch einer. Und plötzlich wurden massenweise Werbespots gebraucht. Wie im Zeitraffer konstituierte sich eine völlig neue Generation von Werbern: Vielfach gut gelaunte Studienabbrecher oder findige Quereinsteiger, die ihre Einflüsse aus der Kunst, aus Billy-Wilder-Filmen oder der Popkultur bezogen. Ihr Guru war Michael Schirner, Chef der ersten deutschen Superstar-Agentur GGK in Düsseldorf, der die Parole: "Werbung ist Kunst" ausgegeben hatte. Rumsumpfen in Bierkneipen fand diese Generation uncool, feiern sexy. Ihre Spots wurden auf Schulhöfen diskutiert, im Kino beklatscht; und aus Dienstleistern wurden Popstars.

Keine Ablenkung für Kreative

Vor allem der studierte Werbetexter Konstantin Jacoby wurde bewundert für seine blonde Sieger-Aura, für seine Schnelligkeit, auch wenn die manchmal in Wutausbrüche umschlug. Die Agentur, die er zusammen mit seinem Partner Reinhard Springer führte, war Mitte der 80er die erfolgreichste ganz Deutschlands. Sie logierte am Hamburger Gänsemarkt und wirkte wie eine elitäre Sekte: Alle Räume waren weiß, die Büromöbel grau, und die Mitarbeiter wurden aufgefordert, nichts Dekoratives in ihre Büros zu hängen oder zu stellen, weil jedes Quietscheentchen, jede Mexikopostkarte ihren Kreativitätsfluss hätte ablenken können. Das allgemeine Interesse, das Geld, die Mädchen - alles schien plötzlich auf der Seite dieser neuen, jungen Werber zu sein. Ihre Insignien: eine Zigarre, eine Blondine und ein weißer Porsche.

Ihre Weihnachtsfeiern, so hörte man, waren die wildesten, dekadentesten: Mal wurde die Belegschaft in irgendwelche Sonnenparadiese geflogen, mal wurden Harley Davidsons verlost. Ihr größter Konkurrent: Die an Aura und Medaillen immer leicht unterlegenen Hamburger Kollegen von "Scholz&Friends". Und später dann "Jung von Matt", die S&J erst den Hauptkunden Mercedes wegschnappten und sich dann an die Spitze der kreativsten deutschen Agenturen setzten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum manche Werber unbeliebt sind wie Chris de Burgh.

Schön uncool

München war Diaspora damals, München-Unterhaching nur ein blinder Fleck auf der Landkarte. Ihm hätten jedenfalls nie die richtigen Mädchen hinterher geguckt, sagt Norbert Herold bedauernd und streicht säuberlich seinen Ärmel glatt. "Zigarren und weiße Porsches, Leute, die im Kokainrausch durch die Gänge krochen, das kannten wir damals alles nur aus den Erzählungen der coolen Hamburger."

Es ist nicht leicht, ihren Leitwolf ans Telefon zu kriegen. Ganz einfach weil: Konstantin Jacoby hat nichts davon, Interviews zu geben. 1993 hatten er und Springer 50 Prozent der Firma an die Mitarbeiter übertragen. 2004 verkauften sie ihre restlichen Anteile. Seitdem ist die Firma in einer Abwärtsspirale.

Mit Millionen auf Mallorca

Jacoby ist heute 56. "Ich bin in Rente, retired, ganz klar", sagt er und klingt gar nicht retired, sondern nach nervöser Energie. Jacoby sitzt auf Mallorca, als mehrfacher Millionär, in einem schönen Haus in der Sonne, und vermisst heute: "Nichts. Übrigens auch niemanden."

Manche denken, Jacoby habe sich damals verfrüht zurückgezogen und sein Erbe schlecht verwaltet. Jacoby sieht das natürlich anders. Er wollte vor allem nicht alt werden in seiner auf Jugend fixierten Branche. Er fand es zunehmend unwürdig, "wie ein Missionar" an alle möglichen Leute ranzureden.

Orchester der Ideen

Werber brauchen Vergleiche und Metaphern. Sie sind die Pheromone, mit denen sie potentielle Kunden locken. Sebastian Turner, 42, kam irgendwann auf die Idee, das Konzept seiner Agentur "Scholz & Friends" "Orchester der Ideen" zu nennen. Und das tut er bis heute, nein: Er wiederholt es unablässig. Er meint damit: Es gibt keine Solisten. Nur aufeinander abgestimmte Spieler.

Er war bis 2008 im Vorstand der "Scholz&Friends Gruppe", sitzt heute im Aufsichtsrat einer "Scholz&Friends Holding", Firmensitz ist eine Fabriketage in der Berliner Chausseestraße.

Turners Augen sind hell wie Wasser. Sein Haar ist fahlbeige. Er trägt Brille ohne Rand, als wolle er um jeden Preis verhindern, seinem Gesicht zusätzlich Kontur zu geben. Auf einem gleichförmigen, sanften Wortstrom trägt der studierte Politik- und Betriebswissenschaftler seine Zuhörer fort, hin zu seinen großen Erfolgen, den Kampagnen für Baden-Württemberg, die FAZ, hin zu dem Orchester...

Unbeliebt wie Chris de Burgh

Bei seinen Weggefährten ist Turner nicht beliebt. Vielleicht, weil er besser denken und reden kann als andere. Auf jeden Fall, weil er wendiger ist. Und dann wohl aus demselben Grund, warum jemand wie Chris de Burgh nicht beliebt ist bei Musikkritikern: Turner wollte die Welt nie ändern. Er wollte immer profitieren von den Fehlern derer, die dachten, sie könnten es. "Der Inhalt unserer Tätigkeit besteht im Absatz von beispielsweise Joghurt", sagt er, "aber mit Ideen." Turner hat es irgendwie geschafft, aus Nicht-Charisma, aus Beigesein eine schlüssige Metapher für das neue Jahrtausend abzuleiten. Der Erfolg gibt ihm und seinem Partner Thomas Heilmann recht, und vor allem - auch davon spricht Turner besonders gern - den anderen unrecht, den Hedonisten und Träumern und Quereinsteigern von einst, die sich um ihr Image, aber nie um ihre Altersversorgung gekümmert haben. Turner ist ein Vorbote einer neuen, ernüchterten Ära, in der es statt um Hedonismus um Vertrauensbildung geht.

Auch die Jugendfixiertheit dieser Branche erfährt gerade einen Umschlagpunkt. Anfang der Neunziger, als sich die ersten Privatsender von den Öffentlich-Rechtlichen abgrenzen wollten, bürgerte sich in Deutschland ein Begriff ein, der noch aus dem Amerika der Fünfziger stammt: "die werberelevante Zielgruppe von 14 bis 49 Jahre". Die Branche leitete daraus ab, dass jemand, der altersmäßig irrelevant ist für ein Produkt, es wohl besser auch nicht bewerben sollte. Deshalb sah man in den Werbeagenturen kaum jemanden über 45 Jahre.

Blutleere Geschichten

Die Situation heute ist eine andere. Bis 2020 werden mehr als ein Drittel der Deutschen 50 Jahre und älter, sprich: die kaufkräftigste Gruppe sein. Der Babyboomer-Konsument legt Wert auf Wissen, Mehrwert und Erfahrung, vor allem in Krisenzeiten wie diesen. Das Überleben ist für die Agenturen härter geworden, die Kunden kürzen ihre Etats, noch muss herausgefunden werden, wie das Internet werbeeffektiv zu bedienen ist.

Eine leistungs- und lösungsorientierte Generation hat das Ruder von der goldenen Generation übernommen. Die ist heute nur noch selten Thema auf Branchentreffs, dem Lions-Festival in Cannes, dem Effie-Award oder bei der alljährlichen ADC-Verleihung. Ihre Geschichten klingen merkwürdig zweidimensional, blutleer, etwa so:

"Einen in Hamburg haben sie doch mal tot rausgetragen, aus dieser Agentur, die mit E anfing..."

"Der geniale Junge, der damals "Mein Haus, mein Auto, mein Boot' erfand? Kellnert jetzt in Schwabing. . ."

"Dieser Düsseldorfer Supertexter, der mit den super Anzüge - lebt auf 20 Quadratmetern, wartet auf die Rente..."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was einen Werbetexter vom Zuhälter unterscheidet.

Schön uncool

Die Geschichte von Carlos Obers kennen die wenigsten. Dabei wohnt Obers nur vier Kilometer Luftlinie von "Scholz & Friends Berlin" entfernt, an der Grenze von Kreuzberg und Mitte, wo es sich wie Niemandsland anfühlt. In einem Hochhaus hat Obers sich auf zwei Etagen sein Leben eingerichtet. Unten steht ein langer, weißlackierter Tisch mit vielen Stühlen, daneben deckenhohe Regale mit Kunstbänden. An der Wand lehnt ein Aluminium-Rad, an einem Schreibtisch macht eine Assistentin mit Headphone irgendwelche Termine aus.

Gummibären und Waschmittelmarken

Der Raum wirkt wie die Simulation einer Agentur. Es ist ja auch eine Agentur. Nur werden hier eben keine Gummibären oder Waschmittelmarken verkauft. Tatsächlich betreibt Obers hier unter dem Namen "Greta Brentano" eine Escort-Agentur.

Obers ist einer dieser typischen Quereinsteiger der goldenen Jahre. Er begann in Frankfurt als Buchhändler, wurde dann Werbeleiter des Piper-Verlags und sattelte schließlich um, zum Werbetexter bei der GGK. Er betextete Kampagnen von Siemens, IBM oder der Vogue. Bis vor zehn Jahren war er Sprecher des ADCs. Bis vor ein paar Jahren arbeitete er beratend für die Münchner Agentur Serviceplan an Kampagnen für Strellson oder Comma.

Keine Callgirls

Obers ist außerdem die Art Mann, der in den 80er Jahren von der Werbung als Ideal propagiert wurde: trainierter Oberkörper, drei-Tage-Stoppeln am Kinn, Augen in Brutalblau. Seine Stimme ist tief, gewinnend. Was der ehemalige Texter in wohlgesetzten Worten erzählt, ist eine Mischung aus faszinierender Lebensgeschichte, anrührendem Schicksal und moralischer Resignation.

Die Frauen, die er vermittelt, seien, ganz wichtig, keine Callgirls. Sie seien Musen, Hetären wie die des klassischen Altertums, die kultiviert Männer unterhielten. Wie nur ist er überhaupt in dieses Business gerutscht?

Eine Ex-Freundin habe ihn angesprochen, sie wollte Nobel-Callgirl werden und brauchte einen Internetauftritt. Obers gab, "damit sich das Ganze lohnte", Anzeigen in Stadtmagazinen auf. Mit Wortlauten wie: "Ein Mann, der Sie wirklich begehrt, bezahlt Sie nicht mit schönen Worten." Er ließ die geeigneten Bewerberinnen so fotografieren, wie er es in der Werbung gelernt hatte: über Art-Deco-Kinostuhlreihen drapiert, schmeichelhaft ausgeleuchtet, sepiafarben eingefärbt. Er gab diesen Frauen Namen von Dichtern wie "Sharon Novalis" oder "Lu Wedekind" und ließ eine Webpage bauen, auf der er sie im süffigen Jargon anpries: als gebildete, charmante Golfspielerinnen. Die, wie man dann unter der Rubrik "Mein Service" erfährt, eben auch "Golden Shower" lieben.

Superlativ produzierende Zehnkämpfer

Ist er nicht, klar gesagt: ein Zuhälter?

Aber nein, er sei ja der Auftragnehmer, nicht der Auftraggeber. Er helfe nur bei der Vermittlungsarbeit und warte die Webpage, dafür beziehe er halt Provision. Die Frauen seien hauptberuflich Akademikerinnen und Künstlerinnen, sie könnten sich nur eben gar nichts Schöneres vorstellen, als ihren Highclasskunden im Hotel de Rome, Ritz oder Adlon jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Obers ist wahrscheinlich nicht mal unehrlich. Er sagt das, woran er glauben muss. Als seine Dienste bei seiner letzten Agentur Serviceplan nicht mehr gebraucht wurden, hatte er nicht genug Geld, um sich zur Ruhe zu setzen. Er wird dieses Jahr 69, er ist topfit. Und er hat große Angst davor, immer älter zu werden und nichts zu essen zu haben.

Abseits des Wahnsinns

Es ist, als habe in den letzten Jahren die Branche eine Schleife gemacht. Und dabei die ausgespuckt, die der krisengeschüttelten Realität nicht mehr standhalten. Während amerikanische Serien wie "Mad Men" die selbstverliebten Anfänge der amerikanischen Werbung schon wieder mythologisieren, ist die Werbung in Deutschland wieder primär Dienstleistungsunternehmen, auf einem viel höheren, professionalisierteren Niveau als in den 60er, 70er Jahren. Wenn Sebastian Turner der Vorbote dieser neuen Zeit war, sind Menschen wie Karen Heumann, die Superstrategin von "Jung von Matt" ist und bereits mit 39 in den Vorstand aufrückte, die neuen Prototypen: dreifach studierte, betriebswirtschaftlich und kreativ versierte und auch ansonsten: Superlativ produzierende Zehnkämpfer.

Das Interessante ist: Vielleicht wird Norbert Herold erneut von der veränderten Situation profitieren. Vor einem Jahr haben Heye und Partner ihn in Rente geschickt, der ADC hat ihn für sein Lebenswerk ausgezeichnet - aber als Freiberufler und Berater arbeiten will und muss Herold trotzdem weiterhin, denn es kostet eben etwas, abseits vom Wahnsinn zu wohnen. Neulich sei ein junger Kollege auf ihn zugekommen und habe gesagt: Norbert, wir brauchen dich, deine Erfahrung. Man müsse demnächst über Projekte sprechen. Mal ausharren und abwarten, was draus wird.

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