"Weltverbesserungstheater":Nachhaltig schauspielen

Weltverbesserungstheater

Die Welt zu verbessern ist nicht einfach, sagt Hermann Große-Bergs Blick (vorn). Probieren wollen er und seine Kollegen es dennoch.

(Foto: Jochen Quast)

Regisseur Helge Schmidt wagt in Erlangen ein Experiment: Gutes tun und anderen helfen, statt nur einen Text zu inszenieren. Ein spannender Abend soll trotzdem dabei entstehen

Von Christiane Lutz

Helge Schmidt überfliegt das Menü. Schnitzel geht nicht, Fisch geht auch nicht. Bleiben die Spiegeleier mit Spinat und Kartoffeln. Die bestellt er dann auch im Café des Literaturhauses Nürnberg. Auf Fleisch zu verzichten, das ist nämlich eine der Aufgaben, die er sich für die Dauer der Produktion gestellt hat. Manche seiner Kollegen spenden Geld, andere kaufen nur regional. Nur aufs Internet verzichten, das wollte dann doch keiner. Helge Schmidt, 33, Regisseur aus Hamburg, hat am Theater Erlangen ein Experiment gestartet. Er hat es "Weltverbesserungstheater" genannt, und es soll genau das sein: Theater, das die Welt ganz unmittelbar besser macht. Drei Wochen lang packten er und sein Produktionsteam überall in Erlangen mit an: Sie sammelten Müll, legten Gemüse-Beete an, verschenkten Blumen und Kuchen, bekochten ihre Kollegen am Theater. Und dazu verzichtete jeder ganz bewusst auf ein paar Dinge. Schmidt, bekennender Fleisch-Fan, eben auf sein Schnitzel. Weil er natürlich weiß, dass Massentierhaltung unethisch ist.

Das Experiment begründet sich in einer Ausschreibung des Theaters Erlangen für junge Regisseure, ein Konzept zum Thema "Utopie unbekannt" einzureichen. "Mich störte, dass egal, woran ich dachte, ich immer automatisch an das Scheitern der Utopie dachte." Sozialismus? Klappt nicht. Freie Liebe? Vielleicht noch in Berliner Clubs. Occupy Bewegung? Eingeschlafen. "Ich wollte aber nicht das Scheitern erzählen, sondern das Gelingen. Oder das Gelingen suchen." Er reichte ein Plädoyer gegen die Machtlosigkeit des Einzelnen und für die moralische Verantwortung des Theaters ein - und wurde genommen.

"Scheiße, jetzt müssen wir wirklich Gutes tun", fiel Schmidt auf. "Ich habe zuhause in Hamburg kein Ehrenamt, unterstelle mir aber ein zivilgesellschaftliches Grundengagement." Gemeinsam mit seinem Team - drei Schauspielern, zwei Ausstatterinnen, einer Videokünstlerin - schrieb Helge Schmidt also die Obdachlosenhilfe Erlangen an, das Hospiz, eine Foodsharing Plattform. Gibt es etwas, dass Sie brauchen? Wir helfen. Dabei war es den Weltverbesserern gleich, ob es sich um aufräumen oder Arbeit mit Menschen handelte. Sie würden alles machen. "Es haben uns genau die nicht geantwortet, die richtig Überwindung gekostet hätten", sagt Schmidt. Die Obdachlosenhilfe, das Frauenhaus, das Flüchtlingswerk.

Schmidt weiß nicht, warum. Aber er hat gelernt, dass Menschen häufig misstrauisch reagieren, wenn man einfach so freundlich ist. Als er am Bahnhof Blumen und Kuchen an Reisende verteilte, um ihnen eine Freude zu machen, sorgten sich manche, ob der Kuchen wirklich essbar sei. Einmal wollte das Team einem Blumenhändler beim Einladen seines Sprinters helfen. Die eifrigen Helfer stolperten einander über die Füße, der Blumenhändler geriet ins Schwitzen, musste ständig Anweisungen geben. Das dauerte länger, als wenn er allein eingeladen hätte. Es gab aber auch erfüllende Momente: Die Polizeistreife, die anhielt, als Schmidt und seine Kollegen gerade einen Grünstreifen vom Müll befreiten, und sich bei ihnen bedankte. Die alte Frau, die vor Rührung weinte, weil der Müll vor ihrem Haus weg war und Schmidt zum Dank eine Palette Kaffeesahne schenkte, weil sie nicht mehr hatte und trotzdem etwas geben wollte.

Müll sammeln schön und gut, aber was hat das noch mit Theater zu tun? Und sagt es nicht einiges über den Zustand des Theaters aus, wenn ein junger Regisseur, anstatt einen Text zu inszenieren, Gartenarbeit macht? Kann Theater je so sinnvoll sein, wie gesellschaftliches Engagement? "Theater muss sich ganz dringend die Frage stellen, wie es sich in der Gesellschaft positioniert", sagt Schmidt. "Es muss rechtfertigen, warum es so viel Geld bekommt. Es muss sich fragen, ob es das richtige Programm macht. Warum sollte man zum 150. Mal "Emilia Galotti" spielen? Warum muss immer Nathan herhalten, wenn Religion in den Schlagzeilen ist? Ich habe ehrlich Zweifel daran, ob das Theater die Welt besser machen kann. Zwischendurch habe ich mich sogar gefragt, ob Theater die Welt nicht verschlechtert." Er las über psychologisch moralische Lizenzierung: Wenn der Mensch etwas Gutes tut, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er danach etwas Schlechtes tut. Beispiel: Der Bio-Käufer, der sich den SUV gönnt, weil er ja Bio kauft. Wozu sich wohl der bildungsbürgerliche Theatergänger legitimiert fühlt?

Gesellschaftliches Engagement aber gegen den Wert des Theaters aufzuwiegen, das geht für Schmidt nicht. Jeder soll das tun, was er am besten kann. Als Regisseur kann er eben Geschichten erzählen. Auch Schönheit sei ein Wert, der wiederum das Leben derer besser machen kann, die anderen helfen. Und das Theater kann schließlich die notwendige Aufmerksamkeit bringen. "Am Ende waren wir alle ganz froh, ins Theater zurück zu dürfen, und einfach zu proben", gibt Schmidt zu. Denn es galt schließlich, aus den Recherchen einen guten Theaterabend zu machen. Der ist nun fertig, besteht aus Texten und Videos, gespielt auf einer Bühne aus recyceltem Material abgespielter Produktionen. Ob Schmidt wieder Fleisch essen wird, wenn die Premiere vorbei ist? "Mal sehen", sagt er, "jedenfalls kein Billigfleisch mehr".

Weltverbesserungstheater; Uraufführung, Freitag, 28. April, 20 Uhr, Theater Erlangen

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