Weltreise:Die Reifeprüfung

Weltreise: Paul Archer & Johno Ellison: Drei Freunde, ein Taxi, kein Plan ... aber einmal um die Welt. Aus dem Englischen von Anja Fülle. DuMont Reise-verlag, Ostfildern 2016. 368 Seiten, 14,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.

Paul Archer & Johno Ellison: Drei Freunde, ein Taxi, kein Plan ... aber einmal um die Welt. Aus dem Englischen von Anja Fülle. DuMont Reise-verlag, Ostfildern 2016. 368 Seiten, 14,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.

Drei Briten fahren mit einem Londoner Taxi durch 50 Länder, dabei justieren sie den Nabel der Welt neu.

Von Stefan Fischer

Den gravierendsten Fehler, urteilt Paul Archer, hätten sie gleich zu Beginn gemacht: "Man sollte weder Expeditionen noch sonst irgendetwas in einem Pub planen." Natürlich war es naiv von Johno Ellison, Leigh Purnell und eben Archer, die Idee zu einer abstrusen Weltreise unter dem Einfluss von sehr vielen Pints Bier nicht nur auszuhecken, sondern auch voranzutreiben. Doppelt naiv ist es allerdings, diese Naivität in Frage zu stellen - ist sie doch die Grundbedingung für solch ein Abenteuer. Die drei Engländer mussten in ihrem originalen Londoner Taxi denn auch nur bis Amsterdam fahren, damit ihnen dort einer sagte, was Sache ist: "Solange alles nach Plan läuft, bekommst du keine guten Storys."

In Moskau ist Archer dieser Spruch von Jasper, ihrem Amsterdamer Couchsurfing-Gastgeber, wieder eingefallen - als sie auf dem Roten Platz verhaftet worden sind, weil sich die drei Jungs mit einer russischen Bekannten in der Öffentlichkeit betrunken und gegrölt hatten: "We're the kings of the Kremlin, you're a dirty gremlin." Nervosität löste die Verhaftung bei Paul Archer offenbar keine aus: Er fühlte sich "gefährlich unbezwingbar", was er auf seine "Arroganz des Westeuropäers mit britischem Pass" zurückführte und auf die Alkoholkonzentration in seinem Blut. Tatsächlich kamen sie mit einer lächerlich geringen Bestechungssumme davon.

"Drei Freunde, ein Taxi, kein Plan ... aber einmal um die Welt": Der Titel des Buchs, das Paul Archer und Johno Ellison gemeinsam geschrieben haben über die 15 Monate auf Tour, ist zugleich die Synopsis dieses Abenteuers. Das Besondere an ihrem Bericht ist, dass die Passagen von Archer und Ellison in unterschiedlichen Schriften gesetzt sind, für den Leser also klar dem jeweiligen Autor zuzuordnen sind. Der dritte Mann, Purnell, hält indessen - abgesehen vom Nachwort - die Klappe.

Wichtiger als die Differenz in der Sicht auf die Dinge, die bei Archer und Ellison ohnehin nicht allzu groß erscheint, ist allerdings, wie sich die Tonalität der Berichte mit der zunehmenden Dauer der Reise verändert. Der Blick auf sich selbst weicht mit der Zeit einem Blick auf die Welt. Aus drei Jungs Anfang zwanzig werden Erwachsene.

Es geht dem Trio darum, eine gute Zeit zu haben. Und das bedeutet anfangs: Partys zu feiern. In Finnland bekommt Ellison einen Anflug von Rockstar-Allüren: Er und seine Freunde besuchen ein Konzert der Folk-Punker Jaakko & Jay. "Sie waren schon mit einigen meiner Lieblingsbands durch die ganze Welt getourt, und als wir uns im Club mit ihnen über das Leben on the road unterhielten, fühlte ich, wie mein Celebrity-Status ein wenig anstieg." Seien sie doch Brüder im Geiste: tagsüber unterwegs, abends betrunken, jeden Tag eine neue Stadt mit neuen Bekannten.

Das Gefühl, die Größten zu sein oder sich zumindest durch nichts anfechten zu lassen, weicht spätestens in Asien. In Iran besorgt ihnen jemand Bier; und irgendwann zwischen der zweiten und dritten Flasche erfahren sie, wie es ins Land gebracht wird: Mittellose Iraker schmuggeln den verbotenen Alkohol bei Gefahr für Leib und Leben durch vermintes Bergland über die Grenze. In Vang Vieng haben die Jungs teil an den Exzessen der Backpacker dort; aber zumindest im Nachhinein heißt Ellison es gut, dass die laotische Regierung dem zerstörerischen Treiben inzwischen ein Ende gesetzt hat. Archer, Ellison und Purnell reisen mit kleinem Budget, wie die meisten Backpacker auch. Das bewahrt sie aber alle, dämmert Archer in Kambodscha, nicht automatisch vor dekadentem Verhalten.

Die Autoren schwingen sich darüber nicht zu einer großen Kapitalismuskritik auf. Es geht ihnen jedoch das eine oder andere Licht auf. Auch bemerken sie, dass sich der Charakter der Reise verändert, als sie unterwegs einen größeren Sponsor auftun, eine Taxi-App. Er ermöglicht ihnen, ihre ursprünglich von London über viele Umwege - wie es ein Taxifahrer eben auch machen würde - bis nach Sydney geplante Reise zu verlängern in die USA und von dort weiter nach Israel und über den Balkan bis nach Hause. Sie nehmen das gerne mit, aber bezahlen den Preis: Aus einem Abenteuer wird eine Medientournee.

Mitunter benehmen sich die Jungs idiotisch - besinnen sich aber stets rechtzeitig auf ihren Charme

Wenn das Buch nur der postpubertäre Bericht von halbstarken Kindsköpfen wäre, die mit der Zeit ein wenig reifer werden, müsste man es freilich nicht lesen, sofern man selbst über dreißig ist. Paul Archer und Johno Ellison haben jedoch einen guten Humor. Sie sind selbstironisch, und zwar nicht auf die aufgesetzte Tour, und sie sind sehr lapidar. Die Dinge werden bei ihnen nicht größer, als sie sind: Erlebnisse müssen, das haben die beiden Autoren von Anfang an beherzigt, für sich sprechen. Ansonsten sind sie keine.

Das gilt für die komischen Momente ebenso wie für die ernsteren. Eine halbe Seite nur braucht Johno Ellison, um zu schildern, wie er in Isfahan von einem Mann angesprochen worden ist, der Sex mit ihm haben wollte. Er muss weder die Verzweiflung noch den Mut des Mannes thematisieren, der seine Sexualität in Iran nicht leben kann, offenkundig nicht einmal im Verborgenen, weil die Gefahr der Entdeckung zu groß ist. Also bleibt ihm nur, Fremde anzusprechen, es scheint von allen Risiken das kleinste. Aber selbst wenn er auf diese Weise gelegentlich seine Triebe ausleben kann, was eher zweifelhaft ist - eine erfüllende Liebe wird er wohl nie erleben.

Vor dem Hintergrund solcher Erlebnisse werden alle Autopannen und sonstigen Reise-Erschwernisse der drei Briten, die sie sich zum größeren Teil ohnehin selbst zuzuschreiben haben, bedeutungslos. Und das wissen sie auch.

Bedeutsam ist, dass die Freundschaft der drei Taxi-Chaoten den Trip überstanden hat, trotz einer kleinen Prügelei. Am Ende waren sie körperlich und seelisch erschöpft, insofern froh, dass die Reise vorbei war. Sie waren frei während der eineinviertel Jahre, aber auch heimatlos, entwurzelt. Eine Zeit lang ist das gut, irgendwann wird es zur Last. Dann ist der Moment gekommen, um wieder ein Stamm-Pub zu haben.

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