Weltkriegsmuseum Danzig:Mehr Patriotismus, weniger Schuld

Danziger Weltkriegsmuseum

Weltkriegsmuseum in Danzig: eine nachgebaute Warschauer Straße zur Zeit des Zweiten Weltkrieges.

(Foto: Florian Hassel)

Die Ausstellung in Danzigs Weltkriegsmuseum zeigt Polen als Helden, Opfer - und Täter. Letzteres missfällt der Regierung so sehr, dass sie nun mit einem Trick in die Schau eingreift.

Von Florian Hassel, Danzig

Manchmal reicht ein Taschentuch, um eine Geschichte von Würde und Tod zu erzählen. Es ist aus weißem Leinen, mit farbigem Rand, und liegt in einer Vitrine des Museums des Zweiten Weltkrieges in Danzig.

Das Tuch gehörte einmal Bolesław Wnuk, Bezirksvorsteher und Abgeordneter im Parlament in Warschau, als Deutschland Polen im September 1939 überfiel. Die Deutschen verhafteten Wnuk, ebenso wie Zehntausende andere Mitglieder der polnischen Führungsschicht. Hitler beschloss, sie ermorden zu lassen.

"Meine geliebte Frau, Mädchen, Püppchen, Mutter, Schwester, Schwäger, Vettern, Freunde", schreibt Wnuk am 29. Juni 1940 aus seiner Zelle in Lublin auf sein Taschentuch. "Ich werde heute von den deutschen Behörden erschossen. Ich sterbe für das Vaterland mit einem Lächeln auf den Lippen, denn ich sterbe unschuldig. Lasst Gott die elenden Schufte für mein Blut mit ewiger Verdammnis bezahlen. Dein Bolek."

Wnuk übergibt das Taschentuch einem polnischen Gefängniswärter, der es Wnuks Frau aushändigt. Dann wird Wnuk erschossen. Jetzt haben seine Nachkommen das Tuch als Leihgabe dem Museum des Zweiten Weltkrieges überlassen, das in Danzig nach acht Jahren Planung und Bau vor der Eröffnung steht. Eigentlich.

Doch das Museum ist so umkämpft, dass weder feststeht, wann es den ersten zahlenden Besucher begrüßen kann, noch was dann zu sehen sein wird. Zwar präsentierte Museumsdirektor Paweł Machcewicz die Ausstellung nun zum ersten Mal 300 Historikern und Museumsleitern. Zwar können sie am Wochenende knapp 2000 Gäste beim Tag der offenen Tür besichtigen.

Konflikt um das richtige Geschichtsbild

Doch es ist gut möglich, dass die 5000 Quadratmeter große Schau in dieser Form nie eröffnet wird. Zum 1. Februar wird das Museum mit einem anderen Museum zwangsvereinigt, ein neuer Direktor übernimmt beide zusammen. Dass die Ausstellung umgebaut wird, ist sehr wahrscheinlich.

Vordergründig geht es bei dem Konflikt um das richtige Geschichtsbild. Schon 2007 schlug der Historiker Machcewicz den Bau eines Museums des Zweiten Weltkrieges in Danzig vor. Es sollte ausdrücklich auch anderen Europäern Polens Leiden und Heldentum zwischen zwei verbrecherischen Regimen näherbringen.

Polens damaliger Regierungschef Donald Tusk ernannte Machcewicz zum Gründungsdirektor. Der rechtspopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) und ihrem Chef Jarosław Kaczyński passte dies allerdings schon deshalb nicht, weil Tusk ein Erzfeind Kaczyńskis ist.

Polnische Opfer kommen nicht zu kurz

Dann war das Museum auch noch in Danzig und nicht in Warschau geplant, der Heimat Kaczyńskis. Und schließlich wollte Machcewicz auch die dunklen Seiten der polnischen Geschichte beleuchten.

In der Ausstellung kommen polnische Opfer und polnische Helden in der Tat nicht zu kurz. Die Familie Wnuk beispielsweise verliert nicht nur den ältesten Sohn Bolesław an Hitler, sondern einen weiteren an Stalin.

Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt Bolesław mit seinem sechzehn Jahre jüngeren Bruder Jakub, im dunklen Anzug mit Krawatte und weißem Einstecktuch, zur Feier von Jakubs Schulzeugnisfeier.

Kaczyńskis Nationalpopulisten wollen ein Museum über Polen und die Polen

Nachdem die Rote Armee den Osten Polens besetzte, geriet Jakub, inzwischen polnischer Offizier, in die Kriegsgefangenschaft. Zwei Briefe bekommt seine Frau noch aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager. Dann entschied auch Stalin, Tausende polnischer Offiziere zu ermorden. Zwei Monate vor seinem Bruder, im April 1940, wurde Jakub vom sowjetischen Geheimdienst im Wald von Katyń erschossen, zusammen mit 4400 anderen polnischen Offizieren.

Der heroische Abwehrkampf von 200 polnischen Soldaten zu Kriegsbeginn auf der Westerplatte gegen 3000 deutsche Angreifer ist zu sehen, auch die Tätigkeit der polnischen Exilregierung und des polnischen Untergrundstaates.

Untergrundgerichte, Schul- und Universitätsunterricht für über eine Million junger Polen unter den Bedingungen der deutschen Besatzung - das gab es nirgends sonst im besetzten Europa. "Niemand kann sagen, wir wären keine guten polnischen Patrioten", sagt Museumsdirektor Machcewicz.

Auch die internationale Dimension des Krieges vom Balkan bis nach Japan erschließt sich im Laufe des Rundgangs. Nur: Kaczyńskis Nationalpopulisten wollen kein internationales Weltkriegsmuseum, sondern eines über Polen und die Polen: "Freiheitsliebend, katholisch, patriotisch und vor allem - stolz auf unsere Geschichte", wie es der Pis-nahe Historiker Jan Żaryn formulierte.

Ein solches Geschichtsbild lässt keinen Platz für die nun fertige Sektion über Terror und Kollaboration. Machcewicz hält sie deshalb für "sicher einen der umstrittensten Teile unserer Ausstellung".

Polnische Massaker an Juden? Passen nicht ins Geschichtsbild

Denn hier kommt nicht nur das deutsche Morden in Auschwitz zur Sprache, sondern auch die Juden-Pogrome von Einheimischen: im rumänischen Iași, dem litauischen Kaunas, dem heute ukrainischen Lwiw und im polnischen Jedwabne.

Dort ermordete die polnische Dorfbevölkerung im Juni 1941 Hunderte jüdischer Nachbarn. Wie in vielen Ländern Europas war Antisemitismus auch in Polen weitverbreitet. Ein Pole schrieb nach der Ermordung von Juden in seinem Dorf in sein Tagebuch, die Deutschen hätten den Polen eigentlich "einen Dienst erwiesen".

Doch dass Polen nicht nur Opfer waren, sondern auch Täter, passt nicht zum nationalistischen Selbstbild der Regierung. Der neue Direktor des staatlichen Instituts für nationales Gedenken, der auch für den Geschichtsunterricht zuständig ist, leugnet, dass Polen das Massaker von Jedwabne verübt hätten.

Taktisch-administrativer Schachzug

So war Machcewicz' Haus der Regierung schon lange ein Ärgernis. Kulturminister Piotr Gliński, enger Vertrauter von Parteichef Kaczyński, hatte 2016 angeordnet, dass das Weltkriegsmuseum mit dem noch gar nicht existierenden "Museum Westerplatte" zumindest auf dem Papier zu einem neuen Museum vereint wird. Ein taktisch-administrativer Schachzug: Eine neue Institution ermöglicht die Ernennung einer neuen Leitung - und womöglich die Umgestaltung der Ausstellung.

Eine rechtskräftige Entscheidung über eine Zusammenlegung kann Jahre dauern, denn die Verhandlungen vor den Verwaltungsgerichten ziehen sich hin. Die Museumsmacher und Polens Ombudsmann halten die Vereinigung für illegal. So holte der Kulturminister beispielsweise nicht die vorgeschriebene Zustimmung eines nationalen Rates aus 21 Museumsleuten ein.

Und doch wird das Weltkriegsmuseum zum 1. Februar erst einmal mit dem Westerplatte-Museum vereinigt. Der neue Chef Zbigniew Wawer pflegte als Direktor des Museums der polnischen Streitkräfte bisher die Darstellung heroischer Episoden polnischer Militärgeschichte.

Machcewicz' Ausstellung, immerhin, ist urheberrechtlich geschützt. Wird sie ohne seine Zustimmung verändert, kann er dagegen erst in Polen, dann bei der EU-Kommission klagen. Das aber würde ebenfalls Jahre dauern.

Am Wochenende wird Machcewicz erst einmal die Besucher zum Tag der offenen Tür begrüßen. 1920 Plätze waren binnen Stunden vergriffen. Sein Hoffnung: "Haben erst einmal ein paar Tausend Menschen unsere Ausstellung gesehen und sich überzeugt, dass Polen darin nicht zu kurz kommt, wird es vielleicht schwieriger, die Ausstellung völlig umzukrempeln."

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