Weggang von Sat1-Chef Bolten:"Es ist Zeit für neues Fernsehen"

Fernsehvorstand Andreas Bartl spricht über Veränderungen bei Pro Sieben Sat1, über Pocher, Kerner und den umstrittenen Vorabend.

Christopher Keil

Am Dienstagabend dieser Woche trennte sich ProSiebenSat1 von Sat-1-Geschäftsführer Guido Bolten, 48. Bolten war seit Dezember 2008 im Amt. Er war anfänglich mit Stellenabbau und Umzug beschäftigt und wirkte trotz namhafter Moderatorenverpflichtungen glücklos. Sein Nachfolger ist eine Überraschung. Andreas Bartl wird künftig Sat 1 leiten, der 47-Jährige trägt bereits als Fernsehvorstand der Gruppe Verantwortung und verkündete noch eine neue Struktur für die Senderfamilie mit teilweise veränderten Zuständigkeiten für Information und Unterhaltung.

Weggang von Sat1-Chef Bolten: "Die Logik hinter dieser Zentralisierung ist relativ einfach": Bartl, 47, übernimmt nach Boltens Abgang nun auch noch die Geschäftsführung von Sat 1.

"Die Logik hinter dieser Zentralisierung ist relativ einfach": Bartl, 47, übernimmt nach Boltens Abgang nun auch noch die Geschäftsführung von Sat 1.

(Foto: Foto: Pro Sieben/Andreas M. Isbaner)

SZ: Herr Bartl, ProSiebenSat1 hat sich von Sat-1-Chef Guido Bolten getrennt. Warum jetzt?

Andreas Bartl: Es war Guido Boltens Entschluss, sein Amt niederzulegen und zu gehen. Er hat Sat 1 durch ein schwieriges Jahr mit dem Umzug von Berlin nach München geführt.

SZ: Der Eindruck ist allerdings, dass das bisher unbefriedigende bis schlechte Abschneiden der Oliver Pocher Show und des wöchentlichen Magazins, das von Johannes B. Kerner moderiert wird, sowie der nicht sehr erfolgreiche Vorabend Boltens Aufgabe erzwungen haben. Welche Fehler hat Bolten gemacht?

Bartl: Ich schätzte Guido Bolten als kompetenten Manager und er wird uns ja als Berater weiter zur Verfügung stehen. Sein Entschluss hat mit einzelnen Programmen nichts zu tun. Gerade der Vorabend ist aber ein Bereich, der Zeit braucht, bis Veränderungen sich durchsetzen.

SZ: Mit Boltens Entlassung haben Sie weitere Personalien bekannt gegeben. Katja Hofem-Best wird künftig sämtliche Informationsinhalte (bisher der Chefredaktionsbereich mit Magazinen, Reportagen und Dokus, d.R.) der Sendergruppe verantworten, Jobst Benthues alle Entertainmentformate, Joachim Kosack ist bereits für alle fiktionalen Projekte zuständig. War da kein Platz mehr für Bolten in dieser neuen Struktur?

Bartl: Das würde ich so nicht sagen. Die Logik hinter dieser Zentralisierung ist relativ einfach. Die meisten Menschen können manches sehr ordentlich, haben aber oft eine ganz spezifische herausragende Begabung. Wenn sich einer zum Beispiel mit Castingshows überragend auskennt, dann ist es sinnvoll, sein spezifisches Können nicht auf einen Sender anzuwenden, sondern auf alle Sender. Es wäre nicht klug, solche Potentiale nicht zu nutzen. Also haben wir die Programmebereiche so aufgeteilt, und ich erhoffe mir davon einen Push für alle unsere Sender.

SZ: Frau Hofem-Best hat als frühere Programmchefin von RTL2 eher Unterhaltungserfahrung. Woher nimmt sie ihre spezifische Begabung für Informationsinhalte?

Bartl: Bei RTL2 und später DMAX und Discovery hat sie sehr erfolgreiche und innovative Reality-Formate gemacht. Sie und auch Jobst Benthues stehen für Kreativität. Wir gehen in ein neues Jahrzehnt, und es ist Zeit für neues, innovatives Fernsehen.

SZ: Sie muten sich jetzt als Fernsehvorstand und Chef der Free TV Holding die Leitung von Sat1 zu. Warum?

Bartl: Sat1 ist der umsatzstärkste und wichtigste Sender der Gruppe (ProSiebenSat1 machte 2009 im ersten bis dritten Quartal 1,9 Milliarden Euro Umsatz, bei einem Konzernergebnis von 31,1 Millionen Euro - im Vorjahreszeitraum waren es 2,2 Milliarden Euro Umsatz und 40,9 Millionen Euro Gewinn. Die wirtschaftlichen Kennzahlen der einzelnen Sender werden vom Konzern nicht mehr ausgewiesen, d.R.). Die Entscheidung, dass ich übernehme, ist auch ein Signal an die Werbekunden, dass Kontinuität und Stärke gewährleistet werden.

SZ: Kann es nicht auch sein, dass Sie Verantwortung übernehmen, weil sie als Chef der German Free TV Holding letztinstanzlich verantwortlich sind für das, was Bolten gemacht hat? Sehr leuchtend steht Sat1 ja nicht gerade da, trotz des angelsächsischen Claims "Colour your life". Nach wie vor fehlt das Profil.

Bartl: Darf ich Sie korrigieren: Sat1 hatte ein stabiles Jahr.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Bartl zu Kerner und Pocher fest steht.

Mehr starke Programm-Marken

SZ: Mit 10,8 Prozent in der Zielgruppe, wie schon 2008.

Bartl: Es war kein schwaches Jahr. Klar sind wir mit dem Ergebnis des einen oder anderen Programms nicht zufrieden. Doch insgesamt haben wir als Gruppe die Marktanteile gesteigert, weil ProSieben leicht nach oben gegangen ist und Kabel1 ein hervorragendes Jahr hingelegt hat. Die übergeordnete Verantwortung für die Geschicke der Senderfamilie trage ich, aber nicht jede Detailentscheidung treffe ich unmittelbar. Mit meiner Tätigkeit, die ich nun bei Sat1 antrete, trifft dann auch das zu.

SZ: Die Konstruktion ist kurios: Sie müssten nach unten wie nach oben ständig mit sich selbst diskutieren.

Bartl: Ja, ich werde wohl mehr Zeit für mich selbst veranschlagen müssen.

SZ: Sind Sie mit den Quoten der Fußballübertragungen, also mit der Verwertung der kostspieligen Champions-League- und Europa-League-Rechte zufrieden?

Bartl: Sehr zufrieden, sowohl mit der Präsentation der Marke ran, als auch mit den Quoten.

SZ: Jährlich zahlt der Konzern circa 75 Millionen Euro, um die Spiele zu zeigen. Ist Sat1, ist die Sendergruppe mit der Last dieser Summe nicht sehr festgelegt, weil kaum Mittel für Programminvestitionen zur Verfügung stehen?

Bartl: Ich kommentiere diese Zahlen nicht. Nein, billig waren die Rechte nicht, aber sie sind es wert, und der Preis ist ein wirtschaftlich realistischer Preis. Es ist richtig, dass ein bestimmter Posten im Budget von Sat1 anfällt, aber er macht den Sender nicht handlungsunfähig.

SZ: Pocher und Kerner sind sicher auch kein billiger "bestimmter Posten".

Bartl: Sie werden sehen, wir werden 2010, nicht nur bei Sat1, eine Programmoffensive starten und stark in die Entwicklung gehen.

SZ: Aber zu Pocher und Kerner stehen Sie fest?

Bartl: Ja, das sind Top-Moderatoren. Wir arbeiten an den Formaten, wir sehen eine positive Entwicklung.

SZ: Was soll Sat1 für ein Sender werden oder sein?

Bartl: Sat1 braucht mehr starke Programm-Marken, Sat1 muss attraktiver werden, Sat1 hat ein unheimliches Potential, das wir auf die Straße bringen werden.

SZ: Können Sie die Frage auch konkret beantworten?

Bartl: Heute noch nicht. Wir haben viele Ideen, und einige sollen noch dieses Jahr realisiert werden.

SZ: Herr Bartl, Sie sind jetzt nicht nur Geschäftsführer von Sat1, Fernsehvorstand der Gruppe und Boss aller Sender, sondern auch zuständig für den Verkaufsprozess ihrer Nachrichtensparte N24, den die Deutsche Bank begleitet. N-24-Geschäftsführer Rossmann will den Kanal mit dem früheren Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust übernehmen. Wie viele Interessenten gibt es noch?

Bartl: Die Variante mit Torsten Rossmann und Stefan Aust ist interessant, beide stehen für journalistische Kompetenz, und das ist mir als Chef der German Free TV wichtig. Als Vorstand stehe ich der Sache jedoch neutral gegenüber. Wir werden alle Optionen, die sich bieten, bewerten. Unsere Sender Pro Sieben, Sat1 und Kabel1 sollen und werden weiter qualitativ hochwertige Nachrichten zeigen - unabhängig davon, wie der Prozess mit N24 ausgeht.

Der 47-jährige gebürtige Heidelberger ist seit vielen Jahren für ProSiebenSat1 tätig. Nach einem Studium der Amerikanistik, Kommunikationswissenschaften und Politologie in München fing Bartl 1990 als freier Mitarbeiter bei ProSieben an. Zehn Jahre später ging er als stellvertretender Programmdirektor und wechselte zum Schwestersender Kabel1. Dort folgten fünf erfolgreiche Jahre, ehe er 2005 als Geschäftsführer zu ProSieben zurückkam. 2008 wurde Bartl ,,Managing Director German Free TV'', also Chef von ProSieben, Sat1, Kabel1 und N24. Er gilt als begabter Fernsehmanager; unter seiner Führung entstanden einige der erfolgreichsten Formate der vergangenen Jahre, etwa Germany's next Topmodel oder Schlag den Raab.

Die Sendergruppe ProSiebenSat1 machte 2009 im ersten bis dritten Quartal 1,9 Milliarden Euro Umsatz, bei einem Konzernergebnis von 31,1 Millionen Euro. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 2,2 Milliarden Euro Umsatz und 40,9 Millionen Euro Gewinn.

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