WAZ-Chefredakteur Reitz:"Die Zeitung hat das Zeug zum Kultobjekt"

300 Redakteure arbeitslos: WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz spricht über sein Sparprogramm und Hochglanz im Revier.

Dirk Graalmann

Wer mit dem Zug am Essener Hauptbahnhof ankommt, betritt eine riesige Baustelle. Es hämmert und dröhnt, der Bahnhof wird kernsaniert. Ein paar Hundert Meter entfernt sitzt WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz in seinem Büro und spricht über das Sparkonzept, den Abbau von 300 der rund 900 Redakteursstellen und das neue Konzept aller nordrhein-westfälischen Titel des WAZ-Konzerns.

WAZ-Chefredakteur Reitz: "Im Journalismus können Sie kaum Everybodys Darling sein": WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz.

"Im Journalismus können Sie kaum Everybodys Darling sein": WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Reitz, die WAZ-Mediengruppe ist im Umbruch. Sie sind Chefredakteur des größten Zeitungstitels und zudem Mitglied im Geschäftsleitungskreis. Arbeiten Sie auf einer Baustelle?

Ulrich Reitz: Ich habe immer auf Baustellen gearbeitet, nie an einer Hochglanzfassade. Die Neugründung von Focus war ja auch eine Baustelle. Als ich zur Rheinischen Post kam, sagte der Verleger, es sei dringend erforderlich, diese Zeitung neu zu positionieren. Den gleichen Satz hörte ich hier bei der WAZ. Es ist mein Schicksal, Dinge verändern zu sollen.

SZ: 300 der 900 Redakteurstellen müssen bei den vier NRW-Blättern der WAZ gestrichen werden: Wie begründet man das gegenüber den Betroffenen?

Reitz: Natürlich ist es schmerzlich. Aber ich versuche auch in dieser Situation, mit Klarheit und Wahrheit durchs Leben zu gehen. Dafür kriegen sie nicht immer Applaus. Aber ich bleibe dieser Linie treu, ich kann und will nicht anders. Im Journalismus können Sie kaum Everybodys Darling sein.

SZ: Sie haben jüngst wieder Kritiker dazugewonnen. Die vier nordrhein-westfälischen Zeitungstitel WAZ, Westfälische Rundschau, Westfalenpost und Neue Ruhr/Rhein Zeitung haben unter Ihrer Federführung den Vertrag mit der Deutschen Presse-Agentur nicht verlängert und spart so drei Millionen Euro..

Reitz: Nach dem Interview von dpa-Chefredakteur Wilm Herlyn in Ihrer Zeitung fühle ich mich in unserer Entscheidung nachhaltig bestärkt. Herlyn selbst hat dort wörtlich gesagt, dass das Agenturprinzip "beinah überholt" ist und sich die Nachrichtenagentur zu einem "Systemanbieter" wandeln müsse. Das sehe ich genauso, aber wir sind selbst Systemanbieter.

SZ: Was kritisieren Sie an der dpa?

Reitz: Also, ich hätte mich nie getraut, das auszusprechen, was Wilm Herlyn in dem Interview gesagt hat, etwa über die Qualität der Agentursprache. Er sagt wörtlich: "Ich komme von der Zeitung, mir sträuben sich auch oft die Haare" und bedauert dann, dass viele seiner Kollegen in einer, so wörtlich, "schrecklich altbackenen Nachrichtensprache" verharren. Ich bin sehr dankbar, dass der dpa-Chefredakteur diese Ehrlichkeit hat. Mich hätte man für die gleichen Aussagen ans Kreuz genagelt.

SZ: Aber es steht der Vorwurf im Raum, dass die WAZ-Gruppe sich weiter bei der dpa bedient.

Reitz: Der gern gemachte Vorwurf, dass wir uns das Grundfutter bei dpa holen, ist absurd. Wir beschäftigen hier keine Redakteure, die losgehen und regelrecht nach dpa-Nachrichten fahnden.

SZ: Aber wenn Sie dpa-Inhalte entdecken, machen Sie sich diese doch zunutze, am Urheberrecht vorbei.

Reitz: Die Behauptung ist einfach falsch. Wir begreifen das Internet auch nicht als urheberrechtsfreien Raum, sondern machen unsere Quellen kenntlich. So, wie wir die Süddeutsche Zeitung zitieren können, ohne diese zu abonnieren, so können wir dpa - wenn es öffentlich zugängliches Material etwa aus dem Internet ist - zitieren, ohne den Dienst zu abonnieren. Das ist ein vollkommen banaler Vorgang, den wir übrigens juristisch haben prüfen lassen. Das Ergebnis ist: Wenn wir etwa mit dem Verweis "laut Welt online mit Berufung auf dpa" arbeiten, ist das nicht nur sauber, sondern mehr als fair. Es handelt sich um einen Fall, der im Jahr überhaupt nur wenige Mal vorkommen wird.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die WAZ-Gruppe trotz Abbaus von 300 Stellen Qualität halten will.

"Die Zeitung hat das Zeug zum Kultobjekt"

SZ: Aber ist es nicht neben der juristischen Bewertung auch eine Frage der Solidarität mit einem Gemeinschaftsunternehmen, das die Verlage nach dem Krieg begründet haben?

Reitz: Wir fühlen uns nicht in der Pflicht, solidarisch gegenüber dpa zu sein, wenn wir mit der Solidarität gegenüber unseren Blättern genug zu tun haben. Wenn, wie bei der WAZ, der Agenturanteil auf unter zehn Prozent gesunken ist, kann ich nicht einsehen, wieso ich für die Fiktion einer 100-Prozent-Belieferung mehr als drei Millionen Euro zahlen soll. Dieses Agentur-Geschäftsmodell hat sich, zumindest für die WAZ-Gruppe, überlebt.

SZ: Ihr eigenes Modell steht auch auf dem Prüfstand. Die Sparpläne bedeuten ja nicht nur den Abbau von 300 Redakteursstellen, sondern auch einen Verlust von Meinungsvielfalt. Im Zuge der Restrukturierung werden Sie schließlich ganze Redaktionen schließen.

Reitz: Wir haben uns alle Standorte auf Profitabilität hin angeschaut. Und wir haben in der Tat die Entscheidung getroffen, uns von Standorten zu lösen, wo wir keine Perspektive mehr sehen. Wir müssen feststellen, dass es uns an vielen Standorten nicht gelungen ist, eine rentable Struktur hinzubekommen, zumindest eine schwarze Null zu schreiben.

SZ: Aber die WAZ-Gruppe insgesamt verdient doch nicht schlecht, auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung schreibt offenbar noch Gewinne.

Reitz: Deshalb ist das Ganze ja auch ein Akt der Solidarität der großen Zeitung gegenüber der gesamten Zeitungsgruppe in Nordrhein-Westfalen. Die Rendite der WAZ ist ja sehr in Ordnung.

SZ: Wie weit geht die Solidarität? Die Berater der Firma Schickler hatten die Schließung der Westfälischen Rundschau empfohlen. Glauben Sie, dass die WR mit dem Restrukturierungskonzept auf Dauer sicher ist?

Reitz: Die Frage ist perfide, aber ich sage Ihnen: Mit diesem Konzept haben wir jetzt den Bestand der WR gesichert. In diesen Zeiten Aussagen darüber zu machen, was in fünf Jahren ist, ist ein unerhörtes Risiko. Wer hätte vor einem halben Jahr geglaubt, dass eine christdemokratische Kanzlerin daran denkt, Banken zu verstaatlichen? Auf Dauer, da sind wir uns einig, sollen die Zeitungen in den schwarzen Zahlen sein. Man wird die WR nicht aufgeben, weil sie das knapp verpasst, aber die Perspektive muss stimmen.

SZ: Sie bauen dafür 300 Stellen ab. So etwas nennen Kritiker Kahlschlag.

Reitz: Wir bauen sehr viele Stellen in einem harten Schnitt ab. Sie können mir abnehmen, dass es den Chefredakteuren sehr, sehr schwer fällt. Aber am Ende steht eine Aufstellung, die es der WAZ-Gruppe ermöglicht, aus der Krise, die nicht nur konjunkturelle Gründe hat, gestärkt heraus zu kommen. Sie können in jedem Handbuch für Manager lesen, dass genau dies die Chance eines tiefgreifendem Restrukturierungsprozesses ist

SZ: Aber damit lassen sich die strukturellen Probleme ja nicht lösen. Hat das Medium überhaupt noch eine Zukunft?

Reitz: Die Zeitung hat das Zeug zum Kultobjekt des digitalen Zeitalters. Wir müssen uns zwar strukturell auf weiter sinkende Auflagenzahlen einstellen, aber ich glaube an das Medium. Im Hörfunk versenden sich die Dinge, im Fernsehen ist die Farbe des Hemdes oft wichtiger als eine politische Aussage. Und das Internet erweist sich, wenn sie die Nachrichtenportale ausnehmen, bisweilen als Ansammlung von Banalitäten. Die Zeitung als Medium des Sich-Zurücklehnens, des Sich-Einlassens ist einzigartig.

SZ: Ein Qualitätsmedium braucht eine anständige personelle Ausstattung. Die WAZ-Gruppe baut grade ein Drittel ihrer Redakteurstellen ab.

Reitz: Wir bauen ja nicht blank Leute ab, sondern bereinigen Strukturen. Wir haben nach der Restrukturierung immer noch eine Besetzung im Lokalen, wie sie für Qualitätsblätter üblich ist. Im Online-Bereich investieren wir zusätzlich 20 Stellen, und im Mantel werden wir im Mai oder Juni mit 83 Redakteuren starten, das ist für Regionalzeitungen Deutschlands größte Mantelredaktion.

SZ: Mit was für einer Mannschaft?

Reitz: Wir werden sehr starke Leute darin haben. Mir ist eine Redaktion am liebsten, die sich selbst steuern kann. Ziel ist es, eine Redaktion zu bauen, die nach dem Prinzip der drei Musketiere arbeiten wird: Einer für alle, alle für einen.

SZ: Was ist Ihr journalistisches Ziel?

Reitz: Wenn jemand sich über diese Region informieren will, soll er wissen: Wenn du wirklich wissen willst, was hier gespielt wird, musst du die WAZ-Blätter lesen. Das wird uns nicht immer gelingen, aber es ist unser Anspruch. Deshalb finde ich es toll, dass wir mit einem eigenen, wahrscheinlich siebenköpfigen Rechercheteam die Chance bekommen, uns hier ein solches Schmuckstück zu basteln. Daran sehen Sie, dass unser Haus nicht nur vom Sparen spricht, sondern voll auf Qualitätsjournalismus setzt.

SZ: Sie haben im Zusammenhang mit dem Contest Desk oft vom einen Agentur-Modell als Dienstleister gesprochen. Wollen Sie Ihren Mantel auch auf dem freien Markt anbieten, also andere Zeitungen mit dem WAZ-Mantel beliefern?

Reitz: Wir müssen das erst einmal ans Laufen bringen. Und wenn es läuft, werden wir mal gucken. Aber natürlich ist das eine echte Option für uns.

SZ: Und wann sind die WAZ-Titel so weit, dass sie eine Hochglanzfassade haben und Ulrich Reitz sich die nächste Baustelle sucht?

Reitz: Die WAZ und Hochglanz, das finde ich lustig. Hochglanz passt nicht ins Revier, und ich bin wirklich froh, in diesem großen bunten bewegten Laden arbeiten zu dürfen.

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