Warhol-Auktion in New York:Vorspiel zum drohenden Massenverkauf

Die Versteigerung des dreifachen Elvis und vierfachen Brando in New York war offenbar nur der Anfang. Auch Bremen und Nordrhein-Westfalen wollen Kunstsammlungen verkaufen - staatseigene Unternehmen verhalten sich dann ganz privatwirtschaftlich.

Von Till Briegleb

Exakt 230 Kunstwerke besitzt der angeschlagene staatliche Casinobetreiber Westspiel in seinen diversen Spielbanken, Depots und Tresoren. Darunter sind Werke von Salvador Dalí, Günther Uecker, Tom Wesselmann, Victor Vasarely, Fernando Botero, aber auch richtiger Kitsch von Mel Ramos und James Rizzi. Dass nicht alle diese Objekte aktuell zum Verkauf stehen, um die schwierige Lage des Glücksspielunternehmens zu verbessern, liegt weniger an dem Protest von 26 Museumsdirektoren aus Nordrhein-Westfalen anlässlich der Versteigerung von zwei Warhol-Gemälden aus der Aachener Spielbank. Grund ist vor allem die geringe Gewinnerwartung.

Im Gegensatz zu dem dreifachen Elvis und dem vierfachen Brando, die in den Siebzigerjahren für 388 000 Mark in Zürich gekauft und jetzt bei Christie's in New York für rund 120 Millionen Euro versteigert wurden, hat der gesamte restliche Kunstschatz der Westspiel trotz der zahlreichen prominenten Namen nur einen Schätzwert von sechs Millionen Euro - das sind rund 25 000 Euro pro Bild.

Das heißt natürlich nicht, dass einzelne Casinos ihren ökonomischen Niedergang nicht trotzdem mit dem Verkauf ihres Kunstbesitzes verlangsamen dürfen. Rein rechtlich ist das kaum anfechtbar, weil sie auch im Vollbesitz des Staates eigenständige GmbHs sind. Und der Unternehmenssprecher Christof Schramm lässt wenig Zweifel daran, dass alle Werke veräußert werden können, selbst wenn die Museumsdirektoren und der Deutsche Kulturrat dagegen Sturm laufen und von der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verlangen, dass Kunstwerke aus staatseigenen Betrieben unveräußerlich sein müssten und ins Museum gehören.

Paula Modersohn-Becker in der Bremer Roselius-Sammlung

Der nächste Fall aus dem strauchelnden Westspiel-Imperium ist dabei besonders prekär. Denn die zwei Gemälde, die dem Casino an der Bremer Schlachte gehören und jetzt verkauft werden, sind keine Wanddeko zwischen Roulettetisch und Toilette, wie die beiden Warhols es bis 2009 in Aachen waren. Die Gemälde von Paula Modersohn-Becker hängen in dem ihr gewidmeten Bremer Museum in der Böttcherstraße, das eine Bild ("Häuser, Birken und Mond") sogar, seit Gründungs-Sammler Ludwig Roselius es 1922 direkt von Otto Modersohn erwarb.

Wie genau es dazu kam, dass dieses Worpsweder Nachtbild sowie die "Anbetung" (beide von 1902) von der Bremer Spielbank gekauft wurden, als der Kunstbesitz des berühmten Bremer Sammlers 1989 von seinem Sohn an die Stadt veräußert wurde, weiß keiner der Beteiligten heute mehr zu sagen. Das berühmte expressionistische Gebäude von Bernhard Hoetger, das die Roselius-Sammlung beherbergt, erwarb damals die Bremer Sparkasse, die Sammlung wurde eigentlich aus Mitteln der Stadt und des Bundes gekauft. "Vielleicht hat das Geld für die zwei Bilder nicht mehr gereicht", sagt Verena Borgmann, Leiterin der Kunstsammlung Böttcherstraße, spöttisch. Allerdings rechnet Borgmann nicht ernsthaft mit dem Verlust der Bilder.

Kunst verkaufen, "zum besten Preis"

Denn den Fall, dass Schlüsselwerke aus einem Museum bei Auktionen versteigert werden, um staatliche Daddelhallen zu sanieren, will man in Bremen unbedingt vermeiden. Hinter den Kulissen wird deshalb intensiv um den Erwerb der Gemälde gerungen. Wobei das Pikante der Bremer Situation ist, dass es sowieso ein vertraglich geregeltes Rückkaufrecht der Stadt gibt, das ihr erlaubt, die Bilder zum ursprünglichen Kaufpreis plus Inflationsausgleich zu erwerben.

Nur leider hat das finanzschwache Bremen diese niedrige sechsstellige Summe nicht flüssig. Deswegen wird nun nach einer "Bremischen Lösung" gesucht. Mäzene und Sponsoren werden gebeten, die Bilder zu einem Wert für die Stadt zu erwerben, der irgendwo zwischen dem Rückkaufpreis und dem vermuteten Marktpreis liegt.

Westspiel, so Sprecher Schramm, erhofft sich von der Verhandlung nämlich "ein paar Hunderttausend". Der vertraglich geregelte Rückkaufpreis, über den niemand präzise Auskunft geben möchte, dürfte knapp über der Hunderttausender-Grenze liegen. Doch was immer treue Bremer Kunstpatrioten am Ende dafür auszugeben bereit sind, dass zwei Werke ihrer berühmtesten Künstlerin nicht auch bei Christie's landen - am Ende zahlen sie direkt an den Staat. Denn das Bremer Casino gehört zu 51 Prozent der Westspiel, zu 49 Prozent der Bremer Landesbank. Das ist streng genommen eine staatliche Quersubventionierung mit fremdem Geld.

Ein Drama namens "Portigon"

Dass staatseigene Unternehmen sich in Fragen des Kunstverkaufs vollkommen privatwirtschaftlich verhalten dürfen, wird in NRW bald zu einem neuen Drama mit dem Namen "Portigon" führen. Der Düsseldorfer Finanzdienstleister, der als Rechtsnachfolger der skandalträchtigen Landesbank von der EU 2012 den Auftrag erhielt, die Bank, also sich selbst, abzuwickeln, übernahm dabei ebenfalls eine bedeutende Kunstsammlung sowie wertvolle Musikinstrumente. Dieses Geschäftsvermögen muss im Zuge der Bankauflösung verkauft werden, und zwar, so Unternehmenssprecher Walter Hillebrand-Droste, "zum besten Preis".

Aktuell fürchtet der deutsche Star-Geiger Frank Peter Zimmermann deswegen um seine Stradivari "Lady Inchiquin", die er seit ein paar Jahren leihweise spielen darf, für die jetzt aber angeblich ein koreanischer Bieter ein sehr lukratives Angebot gemacht hat. Portigon-Sprecher Hillebrand-Dorste kann mit der Standardformel, aktuell läge zum Verkauf des kostbaren Instruments keine Entscheidung vor, keine wirkliches Dementi liefern. Und was die Veräußerung der WestLB-Kunstsammlung angeht, in der sich Werke von August Macke und Pablo Picasso bis zu Joseph Beuys, Imi Knoebel, Isa Genzken und Katharina Grosse befinden, so sieht der Sprecher für dieses Betriebsvermögen auch nur zwei Alternativen: Entweder kauft das Land die Sammlung, oder es verkauft sie.

Der Versicherungswert der Sammlung beträgt bereits 28 Millionen Euro, der "beste Preis" auf Auktionen dürfte wesentlich darüber liegen. Man wird also damit rechnen müssen, dass die besten Werke ihren Weg in den Kunstmarkt finden. Gegen diesen drohenden Massenverkauf wirkt der Warhol-Fall nun wie ein laues Vorspiel.

Auch war die WestLB bei Weitem nicht die einzige Landesbank, die sich eine stille Spekulationsreserve mit dem Namen "Kunstsammlung" aufgebaut hat. Von der Landesbank Baden-Württemberg bis zur NordLB besitzen die staatlichen Kreditinstitute Sammlungen teils "von musealem Rang", wie die LBBW in Stuttgart sich nicht ganz zu Unrecht rühmt. Die nächste Finanzkrise aber kommt bestimmt. Deshalb wären die aktuellen Fälle ein dringender Anlass, präventiv, grundsätzlich und bundesweit vorzusorgen, dass der Staat seinen Kunstbesitz nicht ein zweites Mal kaufen muss, wenn er ihn behalten will.

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