Wanda-Sänger Marco Michael Wanda:"Wir sind keine Hallodri"

Wanda auf dem Reeperbahn Festival 2015

"Wir sind keine Hallodri", sagt Marco Michael Wanda über seine Band.

(Foto: dpa)

Ist die österreichische Band Wanda wirklich so authentisch, wie ihr zugesprochen wird? Sänger Marco Michael Wanda über die Flüchtlinge, Schnaps auf der Bühne und Sexismus.

Von Martin Wittmann, Wien

Am Sonntag treten Wanda auf dem "Danke-Konzert" am Königsplatz in München auf. Die Musiker, die sich schon vor Wochen auf ihrer Facebook-Seite für Flüchtlinge stark gemacht hatten, werden an diesem Abend nicht die größten Stars sein, wohl aber die derzeit angesagtesten. Vor noch nicht einmal einem Jahr erschien Wandas Debüt "Amore" mit dem Hit "Bologna", nun veröffentlichen die Wiener ihre zweites Album "Bussi, Bussi". Der Hype, der sich seither entwickelt hat, ist selbst für die Hype-narrische Popwelt erstaunlich. Marco Michael Wanda sitzt an einem diesigen Nachmittag in einem Wiener Kaffeehaus, "rotzverklebt und erst am Aufwachen". Trotz Erkältung raucht er Kette.

SZ: Sie sind Wiener, und das hört man Ihren Texten auch an. Könnten Sie Ihre Lieder auch außerhalb der Stadt schreiben?

Marco Michael Wanda: Ich habe ein paar Lieder in Kairo geschrieben. Und am Meer kann man auch wunderbar schreiben.

Ich dachte: "Jetzt sagt er sicher Berlin."

Ich war mal ein Jahr in Berlin, aber das hat mir nicht so entsprochen. Ich bin viel herumgekommen, kam mir aber immer heimatlos vor.

Warum?

Stoffwechsel? Keine Ahnung. Es hat aber nicht gereicht, mir ein melancholisches Lebensgefühl zu verleihen.

Dabei denkt man als Deutscher, sich als Österreicher zu fühlen, macht erst melancholisch. Deswegen hört sich ein rockiges "Oh yeah" in Ihrem Dialekt immer ein wenig nach "O je" an.

Echt? Melancholie ist tatsächlich eine Qualität, die sich in viel mehr irdischen Dingen verbirgt als man glaubt. Ein Kaffeehaus ist melancholisch, oder ein Ehevertrag.

Ein Ehevertrag wahrscheinlich noch mehr als das Kaffeehaus. Kann man Patriot sein, wenn man sich heimatlos fühlt?

Wir verstehen uns nicht als Patrioten, sondern als Humanisten. Wir erkennen natürlich Regierungen und die Säulen der Demokratie an, aber wir sind in Gedanken nicht bei großen politischen Zusammenhängen, sondern beim Menschen.

Der Mensch ist zur Zeit schwerlich ohne diesen Zusammenhang zu denken, in Deutschland wie in Österreich.

Man lebt mit dem Schrecken. Aber was ich vor allem sehe, ist eine unglaubliche Hilfsbereitschaft. Ich glaube, wir sind an diesem Problem als europäische Gesellschaft gewachsen.

Ihre neue CD beginnt mit den Worten: "Ich bin ein trauriger europäischer Geist." Ist das schon Politik?

Ich werde nicht der nächste Bob Dylan werden. Ich möchte mit den Flüchtlingen keine Platten verkaufen, ich werde diese Leute nicht instrumentalisieren. Alles, was ich schreibe, verdanke ich dem Unbewussten.

Sie haben gerade Ihr zweites Album herausgebracht. Es hört sich an wie das erste.

Danke.

Keine Angst, dass Ihnen vorgeworfen wird, sich nicht zu entwickeln? Sie stehen jetzt unter Beobachtung.

Den Beatles haben sie bei "Help!" gesagt: "Wer bitte braucht noch so eine Beatles-Platte?" Den Rest der Geschichte kennen wir. Ich will mich als Musiker im Moment gar nicht weiterentwickeln. Ich habe 20 Jahre gebraucht, um solche Pop-Songs zu schreiben, und ich will jetzt nicht damit aufhören.

"Im Vergleich zu anderen Bands wirken wir wie abgefuckteste Alkoholiker-Junkies"

Sie singen in diesen Songs mit Vorliebe vom Schnaps, Sie spielen gerne mit dem Rausch.

So wie das Kind mit Bausteinen spielt, also natürlich. Dass wir deswegen den Ruf der Alkoholiker haben, das kann ich verstehen, aber nicht nachvollziehen. Wir sind keine Hallodri.

Naja, Sie trinken auf der Bühne, und das nicht wenig.

Die Fallhöhe ist einfach groß, wenn man sich das ansieht im Vergleich zu anderen Bands wirken wir natürlich wie abgefuckteste Alkoholiker-Junkies. Weil in diesem Geschäft kaum mehr einer mit der Weinflasche auf die Bühne geht, sondern mit Wasserflaschen und Vitaminsäften.

Eines Ihrer neuen Lieder beginnt mit dem Satz: "Wenn du du selber bist, bist du so fad, dass niemand mit dir spricht". Ist das ironische Kritik am andauernden Rollenspiel?

Nein, das ist schon so gemeint. Bei dem Lied geht es darum, dass mich die Authentizität in der Kunst und in der Gesellschaft immer schon gestört hat. Vor allem in der Kunst ist das Konzept der Authentizität so präsent wie in keinem anderen Teil der Gesellschaft. Sie wird erwartet von Musikern und Künstlern, aber ich verstehe es einfach nicht. Der Ich-Entwurf ist doch deswegen so spannend, weil er viele Facetten hat und das Spiel mit dem Ich auch sehr wichtig ist, etwa um Krisen zu überwinden. Ein Psychologe würde sagen: "Scheiß drauf, authentisch zu sein, probier' dich aus."

Das ist lustig, weil gerade Sie von den Fans für sehr authentisch gehalten und dafür bejubelt werden.

Das ist klar, weil im Gegensatz zu Konzeptkünstlern oder Performancekünstlern wie ... fällt mir jetzt keiner ein ...

Andreas Gabalier oder Conchita Wurst?

Das, was sich da bei uns im Ich-Entwurf entwickelt, ist einem tiefen lebensbejahenden Gefühl unterworfen. So würde ich das sehen. Es ist kein kalkuliertes Rollenspiel.

Sie haben mal kokettiert mit dem Satz: Hätte es nicht funktioniert mit dem Erfolg, hätten Sie sich umgebracht.

Ja, aber danach habe ich gelacht. Ich meinte damit, dass ich das hier verdammt ernst nehme. Ich war jung, da sagt man sowas, wenn man sich verzweifelt ausdrücken möchte.

Jung? Das war vor ein paar Monaten.

In den paar Monaten wurden wir aber von hinten überfahren. Das ist jetzt so schnell nach oben gegangen, dass ich dieses Puzzle nicht zusammenbringen kann. Bisher haben wir uns auch einer Reflexion nicht bewusst gestellt.

Inwiefern würde die Reflexion schaden?

Man könnte nicht nur narzisstisch, sondern auch strategisch werden. Und dann wird es gefährlich: Wenn man glaubt, sich und seine Karriere wie Plastilin formen zu können. In Wahrheit zerquetscht man alles. So viele Dinge in der Karriere kann ich nicht beeinflussen und deshalb will ich gar nicht in Versuchung kommen, nach ihnen zu greifen. Das könnte der Abgrund sein.

"Es gibt eine gewisse Intellektuellen-Polizei"

Woher kommt diese Vorsicht? Sind Sie in einem Musiker-Haushalt aufgewachsen?

Meine Mutter hat Klavier gespielt, mein Vater war ein schrecklicher Opernsänger. Aber nur unter der Dusche.

Sie selbst werden immer und immer wieder mit Sängern wie Falco und Wolfgang Ambros verglichen. Langweilt Sie das?

Es langweilt mich nicht, aber ich hab' Schwierigkeiten, darüber zu reden, weil ich keinen wirklichen Bezug zu dieser Musik habe. Vor allem nicht zu einzelnen Musikern. Das alles ist Teil der österreichischen popkulturellen Volksseele. Dazu gehört aber auch amerikanische Bluesmusik und Techno. Irgendwann hat mich persönlich zeitgenössische Musik einfach nicht mehr interessiert. Die Ekstase, das Unbefangene, das Philosophische, der Mut der Doors oder der Beatles, das wurde nie mehr erreicht.

Heute heißt es dennoch: Wenn diese Band auf österreichisch singt ...

... dann muss es Austro-Pop sein. Ich bin dieser Kurzsichtigkeit aber dankbar. Sie hat uns einfach und ohne Umwege vermittelt.

Andere sagen: Das muss Schlager sein.

Es ist absurd. Hinter diesem Stempel verbirgt sich so viel Marginalisierung und Unlust, sich auf unsere Musik einzulassen. Aber Kritiker ermöglichen keine Karriere. Eine Karriere bemisst sich immer nur an der Masse an Menschen, die Zuspruch geben.

Musikkritiker sind Ihnen indes äußerst gewogen - bis auf ein paar wenige, die Ihnen Sexismus vorwerfen. Weil die Frauen in Ihren Texten immer nur Objekte sein sollen.

Da hat sich jemand erschrocken, völlig zu Unrecht natürlich.

Wer einfach nur altmodisch ist, gilt gleich als reaktionär oder überholt?

Das ist eine schöne Analyse. Es gibt eine gewisse Intellektuellen-Polizei, die teilweise zu Recht, teilweise zu Unrecht überprüft, inwieweit diese Gesellschaft einen nötigen Wertewandel vollzieht. Bei uns haben sie versucht, das Mann-Frau-Rollenbild anzugreifen, das wir angeblich propagieren. Mir kommt das eher verrückt vor. Da hat irgendjemand einen Block vor sich gehabt, der verhindert, dass man auf den Kern unserer Musik blickt. Der Vorwurf ist der profanste überhaupt. Vielleicht sind es die Lederjacken, wegen derer wir als Sexisten gelten.

Wird das Ihrer Sache schaden?

Niemals. Da haben andere Musiker mit ganz anderen Skandalen gelebt. Auch wenn das von uns nicht geplant war: Der Rock 'n' Roll muss ein wenig beißen und für Irritation sorgen.

Naja, Ihre erste CD beginnt mit dem Satz: "Ich kann sicher nicht mit meiner Cousine schlafen, obwohl ich gerne würde, aber ich trau mich nicht."

Vielleicht wäre das in Russland ein Desaster gewesen. Obwohl: Selbst da gab es mit t.A.T.u. ein bekennendes lesbisches Duo, das sich öffentlich geküsst hat, und der Aufschrei war auch marginal. Ich habe das mit der Cousine völlig naiv gesehen und gedacht: "Das ist nur ein Text, ein Gedicht." Ich hatte eine ironische Distanz zu der Nummer. Als die Platte draußen war, hat es mich aber schon überrascht, dass das kein Skandal wurde. Aber daran sieht man, wie viel aufgeschlossener die Öffentlichkeit eigentlich ist. Gesellschaften sind viel aufgeklärter, als man es ihnen unterstellt - selbst die österreichische.

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