Walser, Lenz und Hildebrandt:Historiker streiten über NSDAP-Mitgliedschaft

Wussten sie Bescheid oder nicht. Die NSDAP-Mitgliedschaft der Schriftsteller Martin Walser und Siegfried Lenz sowie des Kabarettisten Dieter Hildebrandt sorgt unter Historikern für heftige Diskussionen.

Mehrere Historiker zweifeln daran, dass die drei nichts von der Aufnahme in der NSDAP gewusst hätten. Demnach war für die Annahme in die Partei immer schriftlicher Antrag mit eigenhändiger Unterschrift nötig.

Laut dem zuständigen Abteilungsleiter im Bundesarchiv, Hans-Dieter Kreiskamp, wurde diese Praxis nach Erkenntnissen seiner Behörde auch während des Krieges streng eingehalten. Auch der Historiker Michael Buddrus vom Institut für Zeitgeschichte kommt laut Focus zu dem Ergebnis, dass eine Aufnahme in die Partei ohne eigene Unterschrift unwahrscheinlich sei.

Dem widerspricht der "Chefhistoriker" des ZDF, Guido Knopp. Er sagte der Bild am Sonntag: "Es gab Fälle der kollektiven Aufnahme in die NSDAP ohne Wissen und ohne Zutun der Betroffenen."

Genauso sieht es auch der Historiker Reinhard Rürup. Er hält die Diskussion für einen "Sturm im Wasserglas". Im Deutschlandradio Kultur verwies der ehemalige wissenschaftliche Leiter des Berliner NS-Dokumentationszentrums auf Pauschalerklärungen aus dem Jahre 1944, in denen Standortführer Gruppenanträge ganzer Hitlerjugendeinheiten weitergereicht hätten.

"Es scheint, dass dies auch in den vorliegenden Fällen so gewesen ist", sagte Rürup. Dafür spreche, dass es keine Unterschriften unter den Anträgen gebe. Ein klarer Hinweise für eine eingefädelte Mitgliedschaft sei außerdem das Symboldatum 20. April 1944, Hitlers Geburtstag. In vielen Fällen seien auch keine Mitgliedsbücher verschickt worden.

Diese Aussage hatten auch Walser, Lenz und Hildebrandt immer wieder betont. Sie wussten demnach nichts von ihrer Mitgliedschaft. Das Bundesarchiv in Berlin hatte einen Bericht des Nachrichtenmagazins Focus bestätigt, wonach bei Recherchen über die so genannte Flakhelfer-Generation entsprechende Unterlagen aufgetaucht seien.

Hildebrandt, der im Februar 1944 als Luftwaffenhelfer in Oberschlesien war, sagte der Bild am Sonntag ähnlich wie zuvor schon in der NDR-Talkshow am Freitagabend: "Meine Mitgliedschaft in der NSDAP war ein Geschenk des Reichsjugendführers Axmann an den Führer zu dessen 55. Geburtstag. Das betraf meinen gesamten Jahrgang. Jedenfalls alle, die ehrwürdig waren. Das waren alle, die wie ich in der damaligen Zeit Luftwaffenhelfer waren. Da stand man automatisch auf der Liste, musste also keinen Antrag stellen, nichts unterschreiben."

Walser verwies in der BamS auf einen Erlass der Partei-Kanzlei vom 11. Januar 1944. Darin verfügte Reichsleiter Martin Bormann, alle Jahrgänge 1926 und 1927 der Hitler-Jugend sollten eine Erklärung abgeben, welcher Gliederung sie beitreten wollen. Die Namen und Anschriften hätten danach "listenmäßig den örtlichen Führern übermittelt werden müssen. "Ich hätte niemals die NSDAP gewählt", versicherte Walser.

Der Bild am Sonntag liegt eine Kopie der NSDAP-Zentralkartei vor mit dem Namen Martin Walser, dem falschen Geburtsdatum 24.5.27 (Walser wurde am 24. März 1927 geboren), der Mitgliedsnummer 9742136, dem Ausstellungsdatum der Mitgliedskarte 5. April 1944, dem Aufnahmedatum 20. April 1944 (Hitlers Geburtstag) sowie der Ortsgruppe Wasserburg im Gau Schwaben.

Erst im vergangenen Jahr hatte Literaturnobelpreisträger Günter Grass mit seiner Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" für Aufregung gesorgt, in der er erstmals seine kurzzeitige Zugehörigkeit zur Waffen-SS als Jugendlicher gegen Ende des Zweiten Weltkrieges publik gemacht hatte.

Zuvor waren bereits andere prominente Literaten beziehungsweise Literaturwissenschaftler mit der späten Entdeckung ihrer NS-Karteikarten konfrontiert worden wie Walter Jens, Walter Höllerer (Mitbegründer der "Gruppe 47") und Peter Wapnewski.

Höllerer gestand seine Mitgliedschaft ein, der Germanist Wapnewski hielt sie für möglich, obwohl er nie ein Parteibuch gesehen habe, und Jens hatte "keine Erinnerungsbilder" an seine Mitgliedschaft. Grass hatte sich damals gegen den "Hämeton" der Kritiker in diesen Fällen gewandt: Mit Enthüllungen dieser Art könne man "nicht ein Leben zudecken".

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