Wallraffs Rushdie-Lesung in Moschee:Gratis-Mut mit falschen Bärten

Das Enthüllungs-Urgestein Günter Wallraff will Rushdies "Satanische Verse" in einer Kölner Moschee lesen. Na toll! Da kann man ja auch den Papst bitten, einen ökumenischen Schwulengottesdienst im Petersdom abzuhalten.

Sonja Zekri

Man kann Günter Wallraff seine Rolle als Pionier eines opferbereiten, investigativen Journalismus nicht absprechen, auch wenn man feststellen muss, dass es in den letzten Jahren still um ihn geworden ist. Wallraff, der als "Mann, der bei BILD Hans Esser war" eine Generation von Journalisten und von Lesern prägte ("Der Aufmacher"), der als Türke Ali bei McDonald's die kurze Distanz zwischen Buletten-Grill und Kloschüssel vermaß ("Ganz unten"), hatte seine große Zeit in einer Ära klarer Feindbilder: die Konzerne, die Springer-Presse, "die da oben".

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Inzwischen aber zählen Selbsterfahrungsberichte zum Standardrepertoire der Medien, für Enthüllungen muss man sich keinen falschen Bart mehr ankleben, und viele vertraute Feindbilder sind abhanden gekommen. Dafür aber kommen neue hinzu.

Günter Wallraff möchte nämlich in einer Kölner Moschee aus den "Satanischen Versen" von Salman Rushdie lesen. Der Schriftsteller hat nach der Fatwa in Köln bei Wallraff gelebt, vor kurzem randalierte in Pakistan und Iran ein radikaler Mob gegen den Ritterschlag für Rushdie, in Köln wiederum wogt seit Monaten ein Streit um die geplante Moschee in Ehrenfeld. Da muss Wallraff Stellung beziehen, da kann er nicht schweigen. Der Moschee-Trägerverein Ditib habe erklärt, er wolle sich öffnen für kulturelle Veranstaltungen, so Wallraff. Da soll er nun mit Rushdies Buch gleich mal anfangen, schließlich lehnten viele Muslime das Buch ja ab, ohne es zu kennen. Er, Wallraff, jedenfalls werde "notfalls unter Polizeischutz" lesen, hat er im Interview nachgeschoben: "Ich bin ja kein ängstlicher Mensch."

Demnächst vielleicht eine Steak-Party im Hindutempel?

Dass ausgerechnet Altlinke wie Wallraff oder auch Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck die muslimische Einwanderung als größte Gefahr für Freiheit und Gerechtigkeit identifiziert haben, gehört zu den Absurditäten des Islam-Diskurses. Wallraffs Bekenntnis-Erpressung aber, die Maximalforderungen als Entgegenkommen ausgibt, ist ein wunderbares Beispiel für einen scheinheiligen Aufklärer-Gestus, einen populistischen Gratis-Mut, der sich dem Zeitgeist gerade nicht entgegenstemmt, sondern nur den Stammtisch munitioniert. Wenn die Rushdie-Lesung gelänge, hatte Wallraff treuherzig gesagt, könne dies "wirklich ein Durchbruch" sein. Selbst die Erbauer der Moschee, habe man ihm mitgeteilt, haben sein Ansinnen ja nicht als Provokation aufgefasst, sondern sie diskutierten "ernsthaft" darüber. Ja, was sollen sie denn sonst sagen?

Während also die Muslime noch überlegen, ob sie ihre Demokratie-Tauglichkeit mit der Lesung eines Textes beweisen, den selbst Nicht-Radikale als Affront auffassen, seien deshalb an dieser Stelle einige Vorschläge nachgereicht: Der Vatikan könnte seine Nächstenliebe durch einen ökumenischen Schwulengottesdienst im Petersdom beweisen; Synagogen sollten sich samstags endlich der Vorführung von Mel Gibsons umstrittenem Jesus-Film "Passion" öffnen; und in Hindu-Tempeln könnte eine zünftige Steak-Party einen echten Durchbruch bedeuten. Nur Mut.

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