Bundestagswahl:Die Sehnsucht nach dem Wahlkampf-Guru aus Amerika

Bundestagswahl: Vincent Harris berät auch die AfD

Vincent Harris berät auch die AfD

(Foto: Facebook/AFP)

Die AfD heuert eine Agentur aus Texas für ihre Digital-Kampagne an. Die neuen Motive schockieren viele Facebook-Nutzer. Auch die SPD holt sich Expertise aus den USA - mit dürftigen Ergebnissen.

Von Matthias Kolb

An Selbstbewusstsein fehlt es Vincent Harris nicht. Im Eingangsbereich seiner Firma stapeln sich Pokale und Plaketten, darüber hängt ein Bilderrahmen mit Artikeln über ihn. Ganz oben steht: "Der Mann, der den Republikanern das Internet beibrachte".

Dieses Porträt von Bloomberg Politics machte ihn im Herbst 2014 bekannt, und seither traf sich Harris auch gern mit ausländischen Reportern in seinem Büro in Austin. Seine Designer, Programmierer und Texter sind wie er unter dreißig und fallen rein äußerlich in der liberalen Hipster-Metropole nicht auf. Der einzige Unterschied: Sie werben für konservative Politiker wie die Tea-Party-Ikone Ted Cruz oder den Abtreibungsgegner Mike Huckabee.

Im Frühjahr 2015 erklärte Harris der SZ die größte Herausforderung für digitale Wahlkämpfe: "Die Leute gehen nicht online, um mit Politikern in Kontakt zu treten. Sie wollen sich über Klatsch aus dem Freundeskreis informieren und lustige Videos anschauen. Es ist schwer, hier eine politische Botschaft zu platzieren. Wir suchen Leute, die unser Anliegen oder unseren Klienten unterstützen und deren Botschaft unter ihren Verwandten und Kollegen teilen."

Für Strategen wie Vincent Harris gleichen Parteien und Kandidaten einer Marke, und daher ist nichts wichtiger als Aufmerksamkeit. Wortspiele, Mitmach-Aktionen, extreme Zuspitzung und Grenzüberschreitung - alles ist erlaubt, solange es nur Retweets bei Twitter bringt und auf Facebook geteilt wird. Und weil seit August auch die AfD zu den Kunden von Harris Media gehört, erleben viele Deutsche nun erstmals, wie schmutzig ein Wahlkampf durch "Negative Campaigning" werden kann. Die US-Firma steckt hinter einer Website, die Merkel als "Eidbrecherin" bezeichnet und der Kanzlerin die Schuld an den Terroranschlägen in Europa gibt. Diese Personalisierung ist typisch für die USA, wo die Kandidaten stets wichtiger sind als die Parteien und in Bezug auf den Gegner regelmäßig das Wort "Charaktermord" fällt.

Die rechtspopulistische AfD ist längst nicht die erste Partei, die auf Kampagnen-Gurus aus den USA setzt. Die Hoffnung, durch Tricks und neueste Technik die entscheidenden Stimmen zu bekommen, ist global. Schon 1969 ließ sich Joe Napolitan seine Erfahrungen aus dem Wahlkampf von John F. Kennedy teuer vom philippinischen Diktator Ferdinand Marcos bezahlen. "Gerade in Jahren, in denen keine Kongress- oder Präsidentschaftswahlen stattfinden, heuern viele US-Berater im Ausland an. Sie sind Söldner und kassieren ohne viel Aufwand gutes Geld", sagt Sasha Issenberg, Autor des Buchs "Victory Lab" und Wahlkampfexperte.

Merkels Blutspur durch Europa? Ist doch nur "ironisch zugespitzt"!

Die höchsten Honorare gibt es in Lateinamerika, Afrika und Osteuropa. In der Ukraine kassierte Paul Manafort, der 2016 zeitweise Trumps Wahlkampf leitete, mehr als 15 Millionen Euro. Doch auch in Westeuropa lässt sich einiges verdienen: Mehr als 400 000 Euro erhielt der ehemalige Obama-Berater Jim Messina von Italiens Premier Matteo Renzi, um im Herbst 2016 für dessen Verfassungsreform zu werben. Die Italiener stimmten trotzdem mit "Nein", und Renzi trat zurück.

Die E-Mail mit der Frage, warum er für die AfD arbeitet, beantwortet der sonst so medienfreundliche Harris leider nicht. Fest steht: Er hat zwei Mitarbeiter nach Berlin geschickt, die nun fleißig Vorschläge für Beiträge in den sozialen Netzwerken machen. Die endgültige Entscheidung trifft die Wahlkampfleitung der AfD. Ideologisch steht der überzeugte Christ Harris den deutschen Rechtspopulisten nahe: Er sieht den Islam kritisch und bewundert den Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage, für deren Partei Ukip er ebenso tätig war wie für Israels Premier Benjamin Netanjahu.

Harris' Spezialität sind Grafiken, die Sachverhalte extrem zuspitzen und sich daher unter Gleichgesinnten schnell verbreiten. Für die Merkel-Gegner der AfD hat er folgendes Skandalbild entworfen: Unter der Zeile "Die Spur der Welt-Kanzlerin durch Europa" sind Reifenspuren sowie Blutflecken zu sehen, daneben stehen die Orte von Terroranschlägen in Europa samt Todeszahlen. Kritik an solch widerwärtigen Motiven weist Harris stets mit dem Vorwurf zurück, dies sei nur "ironisch überspitzt" und als Provokation gedacht. Die allgegenwärtige politische Korrektheit dürfe nicht die angebliche Wahrheit verhindern, so das zynische Argument. Als digital native bedient sich Harris freimütig im Netz: Auf Twitter verbreitete er im Mai einen Cartoon, in dem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron von blutigen Reifen platt gefahren wurde. Was anderswo funktioniert, wird also schlicht geklaut.

Dass die Kooperation von Harris Media und AfD hierzulande für so viel mediales Aufsehen sorgt, liegt nicht nur an den drastischen Bildern: Die Texaner wurden mit US-Präsident Donald Trump in Verbindung gebracht. Nach dessen Wahlsieg hatten Berichte über die Datenfirma Cambridge Analytica vor allem in Deutschland Entsetzen ausgelöst, weil angeblich der Wählerwille allzu leicht zu manipulieren sei. Belege gibt es dafür kaum, aber den Amerikanern wird seither alles zugetraut.

Auslandseinsätze von Polit-PR-Profis sind riskant - das weiß auch die SPD

Trotz aller Tabubrüche ist auch bei den Texanern Gelassenheit angeraten: Vincent Harris arbeitete 16 Monate für den libertären Senator Rand Paul und konnte als Digitalstratege dessen klägliches Scheitern als Präsidentschaftskandidat nicht verhindern. Für Trump war er nur wenige Tage als Subunternehmer tätig; sein Anteil am Sieg des Milliardärs ist minimal.

Dass die Tricks der amerikanischen Wahlkampfstrategen nicht immer wirken, weiß mittlerweile auch die SPD. Groß war das Medienecho, als im September 2015 beim "Campaign Camp" im Berliner Gasometer der bereits erwähnte Jim Messina präsentiert wurde. Der 47-Jährige organisierte 2012 mit Hunderten Datenanalysten und Programmierern als oberster Wahlkampfmanager Barack Obamas Wiederwahl. "Ein Guru für Gabriel", titelten ehrfürchtig einige Regionalzeitungen, und noch heute gibt es auf Youtube ein Video, in dem Messina von einer "unglaublich aufregenden Veranstaltung" und den Chancen der SPD schwärmt.

Zwei Jahre später nennt ein Parteisprecher die mittlerweile beendete Zusammenarbeit "sehr fruchtbar": Messinas Firma habe "beim Aufbau einer datenbasierten und dialogorientierten Kampagne unterstützt", wodurch die Wahlkampagne an den Haustüren "viel besser" mit den Online-Aktivitäten verknüpft worden sei. Geholfen hat es bekanntlich nichts: Im Herbst 2015 lag die SPD bei 25 Prozent - einem Wert, von dem Martin Schulz heute träumt.

Das Beispiel von Jim Messina, der für Obama einst alle Probleme löste und "The Fixer" genannt wird, zeigt das Risiko von Auslandsaufträgen. In Großbritannien war der Demokrat für die Konservativen aktiv und verhalf 2015 David Cameron zum Sieg. Bereits der Brexit fügte seinem Sieger-Image erheblichen Schaden zu, und im Frühjahr 2017 war Messina auch mitverantwortlich für die desaströse Kampagne von Premierministerin Theresa May. Der Amerikaner hatte die Stimmung auf der Insel völlig falsch eingeschätzt.

Von den jungen Amerikanern, die Harris Media zur AfD geschickt hat, ist bekannt, dass diese kaum Deutsch sprechen. Ob das Kalkül aufgeht, die Sprache der Wut und der Fremdenfeindlichkeit über Ländergrenzen zu übersetzen, zeigt sich am Wahlabend.

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