Wahlen in Indien:Konflikte und Symbole

Mehr als 800 Millionen Menschen sind zu einer Wahl aufgerufen, die für fünf Wochen angesetzt ist: Die Unterhauswahlen in Indien sind ein monströses Unterfangen. Zehn indische Fotografen dokumentieren das Geschehen.

Von Paul Katzenberger

10 Bilder

Unterhaus-Wahl in Indien

Quelle: AFP

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Ein Stimmvolk von mehr als 800 Millionen Menschen, und eine Wahl, die fünf Wochen lang dauert: Die Unterhauswahlen in Indien sind ein monströses Unterfangen. Zehn indische Fotografen dokumentieren mit ihrem Binnen-Blick das Geschehen, das mancherorts von gewaltvollen Konflikten und überall von Symbolen geprägt ist.

Mehr als neunmal mal so groß und die 15-fache Bevölkerung: Wer von Deutschland aus auf Indien blickt, der hat schon bei den Basisdaten ein Land in völlig anderen Dimensionen vor sich. Hinzu kommt eine ethnische Vielfalt, die mindestens der des ganzen europäischen Kontinents entspricht. Sechs große Religionen sind auf dem Subkontinent vertreten, doch selbst die kleinen Glaubenslehren kommen hier noch auf Millionen von Gläubigen. Circa 100 Sprachen werden in Indien gesprochen, viele von ihnen haben ihre eigene Schrift, sei es Assamesisch (bengalische Schriftzeichen) oder Urdu (arabische Schriftzeichen) - Europa nimmt sich dagegen geradezu als konformistischer Sprachraum aus.

Dass eine demokratische Wahl in einem solch gigantischen Land ein kolossales Unterfangen ist, ...

Eine Wahlhelferin markiert in einem Wahllokal im Dorf Pandori (Punjab) den Finger einer Wählerin.

Unterhaus-Wahlen in Indien

Quelle: dpa

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...erklärt sich allein durch die Zahl von 814 Millionen registrierten Wählern. Dem Westen erschließt sich die Komplexität dieses Urnengangs allerdings oft nur durch Bilder, die etwa die prekäre Sicherheitslage in den Wahllokalen andeuten oder dadurch, dass die Wahl für einen Zeitraum von fünf vollen Wochen angesetzt ist (vom 7. April bis zum 12. Mai).

Doch wie nehmen die Inder selbst diese Wahl wahr? Diese Frage stellte sich Fabrica, eine italienische Talentschmiede für Fotografen und andere junge Mediengestalter, die im norditalienischen Treviso sitzt und vom ortsansässigen Benetton-Konzern gesponsert wird. Die Antwort soll das Projekt Lok Sabha liefern, das nach dem indischen Unterhaus benannt ist, für das die Wahlen stattfinden. Zehn junge indische Fotografen stellen dabei die Stimmabgabe aus ihrer Perspektive dar. Nirvair Singh etwa ...

Ein Paramilitär steht Wache in einem Wahllokal in Sultanwind im Bundesstaat Punjab. Bei Anschlägen maoistischer Terroristen mit Landminen starben Mitte April 14 Menschen in Zusammenhang mit den Wahlen im Bundesstaat Chhattisgarh.

Baisakhi-Herbstfestival in Punjab, Indien

Quelle: Nirvair Singh

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... fing die Stimmung auf dem Baisakhi-Herbstfest ein, das traditionell am "Takht Sri Damdama Sahib", einem der fünf geheiligten Orte der Sikhs ausgerichtet wird und in diesem Jahr ganz im Zeichen des Wahlkampfes steht. Der nördliche Bundesstaat Punjab war stets eine Hochburg der Sikh-Partei SAD, die sich gelegentlich aber dem Indischen Nationalkongress (INC) geschlagen geben musste, der nach der Unabhängigkeit Indiens mit so einflussreichen Figuren wie Jawaharlal Nehru und Indira Ghandi sehr häufig die Premierminister des Landes stellte.

Bei der aktuellen Wahl könnte aber auch die neue Aam Aadami Partei ("Partei des einfachen Mannes", AAP) ein gehöriges Wort in Punjab mitsprechen, so wie auch in ganz Indien. Gestartet ...

Tollkühne Besucher des Baisakhi-Herbstfestes in einer Schiffsschaukel.

Unterhauswahlen in Indien

Quelle: Avani Tanya

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... als Ableger einer landesweiten Anti-Korruptionsbewegung erlebt die AAP derzeit dank ihrer charismatischen Führungsfiguren einen kometenhaften Aufstieg im indischen Politikbetrieb. Die Partei steht für Transparenz, die Übernahme von Verantwortung und saubere Praktiken, was sie von der Enttäuschung der Menschen über die politischen Eliten des Landes profitieren lässt. Im Bild hat die junge indische Fotografin Avani Tanya den AAP-Kandidaten Ravni Krishna für ihre Serie aus Indiens IT-Zentrum Bangalore eingefangen. Für seine Kandidatur hatte Krishna einen gutbezahlten Job in den USA aufgegeben.

BJP's Narendra Modi Campaigns In Punjab

Quelle: Getty Images

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Der rechten hindu-nationalistischen Bharatiya-Janata-Partei (BJP) werden die größten Chancen bei diesen Unterhauswahlen eingeräumt. Ihr umstrittener Spitzenkandidat Narendra Modi (im Bild) hat sich als Regierungschef des Bundesstaates Gujarat einen Ruf als Modernisierer erarbeitet und will nun indischer Premierminister werden. Auch in ...

Unterhauswahlen in Indien: Mayawati Kumari

Quelle: dpa

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... Uttar Pradesh im Nordosten des Subkontinents sieht sich die BJP in der Wählergunst vorne, doch in Indiens bevölkerungsreichstem Bundesstaat ist Modi überraschend starke Konkurrenz durch eine Frau erwachsen: Mayawati Kumari von der Bahujan-Samaj-Partei (im Bild) findet ihre Wähler vor allem bei den Daliten, die als Nachfahren der Ureinwohner zu den Unberührbaren zählen und damit aus dem indischen Kastensystem ausgeschlossen sind. Doch Kumari, die von ihren Anhängern "Behenji" (ältere Schwester) genannt wird, hat inzwischen auch viele Anhänger unter den Muslimen, die ...

Unterhauswahlen in Indien: Anhänger der Kandidatin Mayawati Kumari

Quelle: Nikhil Roshan

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... noch immer unter den Folgen der Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen im vergangenen Jahr leiden. Die Muslime, von denen etliche seit September 2013 in Flüchtlingslagern leben müssen, haben oftmals den Glauben an ihre Samajwadi-Partei (SP) verloren. Schließlich konnte die SP die Gewaltausbrüche gegen ihr Klientel nicht verhindern. "Behenji", die mehr auf Aussöhnung als die Polarisierer von der SP und der Hindu-Partei BJP setzt, habe durch ihren Kurs in Uttar Pradesh starken Zulauf erhalten, schreibt der junge Fotograf Nikhil Roshan, der das Geschehen in seiner Serie für das Lok-Sabha-Projekt dokumentiert.

"Vote for B" (Wähle Behenji"): Unterstützer von Mayawati Kumari in Uttar Pradesh. Das Symbol der Bahujan-Samaj-Partei ist der weiße Elefant.

Ambedkar-Monument

Quelle: Nikhil Roshan

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Doch noch immer versuchten alle Parteien, ihre Wähler mehr durch Symbolismus als durch Realpolitik zu überzeugen, beklagt sich Roshan in der Serie: Modi mit seinen Plänen zum Bau einer Statue für den Freiheitskämpfer Vallabhbhai Patel, die höher sein soll als die Freiheitsstatue in New York. Mayawati Kumari durch das Protzmonument von Ambedkar, einer Art zweitem Taj Mahal, das sie in ihrer Zeit als Regierungschefin von Uttar Pradesh errichten ließ. Nikhil Roshan hierzu: "Der Symbolismus hat in der Politik lange seinen Platz gehabt, in Indien oft mit surrealen Einschlägen bis hin zur Farce. Doch ob ... Statuen aus Stein die Herzen der Wähler auch dieses Mal erwärmen, wird man erst noch sehen."

Das Ambekdar Memorial in Gomti Nagar, Uttar Pradesh, soll sieben Milliarden indische Rupien (83,9 Millionen Euro) gekostest haben.

Unterhauswahlen in Indien

Quelle: Gitartha Goswami

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Aber auch die althergebrachten Symbole der Weltrevolution spielen in diesem Wahlkampf eine Rolle, wie der Fotograf Gitartha Goswami bei einem Gang durch die lokalen Vertretungen kommunistischer Splitterparteien herausfand. Seine skurrile Serie "Marxismus in indischer Sauce" lebt vom Gegensatz zwischen kabarettreifer Szenerie und dem Ernst in den Gesichtern lokaler Parteifunktionäre.

Kommunistische Partei Indiens (marxistisch-leninistisch). Büro des Bundesstaates West Bengalen, Creek Road, Kolkata.

Unterhauswahlen in Indien

Quelle: Ronny Sen

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Mit dem Hammer und der Sichel scheinen die kommunistischen Parteien auch die Oberhand bei den Graffiti gewonnen zu haben, die Ronny Sen in seiner Serie von Wandmalereien für das Lok-Sabha-Projekt dokumentiert. Doch mit der Lotus-Blüte, der flachen Hand oder einer kleinen emporsprießenden Pflanze haben auch BJP, Congress-Partei oder der "Gesamtindische Graßwurzel-Congress (All India Trinamool Congress) ausdrucksstarke Zeichen entwickelt.

© SZ.de/pak/mkoh/lala
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