Wahl zum "Unwort des Jahres 2009":Immer nach der Tagesschau

Das Unwort lautet "betriebsratsverseucht", gefallen in einer "Monitor"-Sendung. Schlimm. Doch hätte es in den Nachrichten zur aktuellen Politik Schlimmeres aus Politikermund gegeben.

Bernd Graff

Das ist jetzt mal wichtig. Die Jury, die unter Leitung des Frankfurter Professors Schlosser das Unwort des Jahres kürt, wird ausdrücklich in den Nachrichtenagenturen als unabhängig bezeichnet. Das wäre ja auch noch schöner, wenn die unwörternde Jury abhängig wäre und irgendwelche Interessen verfolgte. So aber darf man annehmen, dass bei der Kür wohl alles mit rechten Dingen zugegangen sein muss und das Unwort des Jahres kein interessegeleitetes Geschmacksdestillat, sondern Produkt einer objektiven Identifizierung gewesen sein muss.

Wörter Loreley ddp

Der Felsen der Loreley bei St. Goarshausen am Rhein wurde im vergangenen Herbst von den Projektionskünstlern Detlef Hartung und Georg Trenz mit verschiedenen Wörtern illuminiert.

(Foto: Foto: ddp)

"Betriebsratsverseucht" also lautet es, und man muss schon ein Knochenkapitalist allerältester Schule sein, wenn man diesen Begriff nicht als unschön geißeln möchte.

Und zwar in doppelter Hinsicht: einmal sprachlich-formal wegen dieses holprigen Genitivs. Und einmal inhaltlich: Die Instanz des Betriebsrats ist keine Pest und keine Plage, sondern die verfasste Arbeitnehmervertretung mit zugestandenen Rechten und Pflichten.

Darum kann man schon auch ein wenig empört sein über diese Form der Schmähung und Herablassung. Wenn man sich dann aber anschaut, bei welcher Gelegenheit und wie oft dieses angeblich Jahresunwort gefallen ist, dann fragt man sich, ob man ihm nicht zu viel der Un-Ehre erwiesen hat.

In einem Bericht der ARD-Sendung "Monitor" im Mai vergangenen Jahres hatte der Mitarbeiter einer Baumarktkette geschildert, dass Abteilungsleiter jemanden als "betriebsratsverseucht" bezeichnen, wenn er von einer Filiale mit Betriebsrat in eine Filiale ohne Betriebsrat wechseln wolle.

Diese als Warnung vor den neuen Kollegen gemeinte Bezeichnung könne eventuell verhindern, dass die Mitarbeiter überhaupt in der neuen Geschäftsstelle übernommen werden. Das ist natürlich fürchterlich und kündet von einer geradezu erbärmlichen Ehrlichkeit der Abteilungsleiter in dieser Baumarktkette: So sehen sie also die Arbeitnehmervertretung. Schlimm, schlimm! So schlimm, wie die Mitarbeiter einer großen Berliner Tageszeitung ihren neuen Besitzer einmal als "Heuschrecke" bezeichnet haben. Hand aufs Herz: Wo ist der Unterschied im Grad der Schmähung? Warum also hier Unwort, dort treffsichere Metapher?

Zufällig von der Kamera eingefangen

Die Kritik muss sich also gegen die "unabhängigen" Vergeber solcher Unwort-Titel richten. Schon rein sprachlich kann eine einzelne Bemerkung nie und nimmer ein Jahresunglück markieren, nur weil sie zufällig von einer Kamera eingefangen wurde. Insofern scheint hier wenig mehr als arbeitnehmerfreundliche Gutmenschen-Ideologie die Ohren gespitzt zu haben, als es um das Aufschnappen von Unworten ging.

Übrigens sind die unabhängigen Vergeber jene lustigen Gesellen, die tatsächlich Schneid genug besitzen, "Deutschland sucht den Satz des Jahres 2010" auf ihre Webseite zu schreiben, den sie seit vergangenem Jahr neben dem Unwort auch noch ausloben. Als ob die deutsche Sprache eine flapsige Dieter-Bohlenei wäre, die sich aus dem Fernsehen in die Mäuler der Teutonen verirrt hätte.

So aber verkauft man das Potential, das in Sprachbeobachtung steckt, weit unter Preis. Denn tatsächlich wird Sprache im Laufe eines Jahres ja auch markant, schleifen sich Aussagegewohnheiten ein, werden Euphemismen hof- und fernsehfähig, die nach und nach immer gedankenloser verwendet werden.

Was, bitteschön, ist eine Wachstumsbeschleunigung, die hierzulande sogar gesetzlich verankert werden kann, mehr als der fromme Wunsch, Klientel-Politik möge irgendwie nach einigen Drehungen und Wendungen doch auch irgendwie der Allgemeinheit nützen. Was sollen "systemrelevante Unternehmen" sein? Für welches System sind sie denn relevant? Und wer bestimmt, was was ist? Was sind "kriegsähnliche Zustände", die ausdrücklich kein Krieg sein sollen?

Mit anderen Worten: Es hätte genug Politiker-Unworte des Jahres gegeben, in denen Sprachmissbrauch als Politikersatz betrieben wird. Schade, dass die unabhängige Unwort-Kommission ihre Suche kissendrückend vor dem Fernseher beschließen musste. Eine Suche - leider immer nach der "Tagesschau".

Die bisherigen Unwörter des Jahres

Die bisherigen Unwörter des Jahres:

Seit 1991 wählt eine Jury um den Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser in Frankfurt am Main als sprachkritische Aktion das Unwort des Jahres aus. Hier eine Übersicht über die bisher gekürten Begriffe:

1991 ausländerfrei (fremdenfeindliche Parole in Hoyerswerda)

1992 ethnische Säuberung (Propaganda im ehemaligen Jugoslawien)

1993 Überfremdung (Scheinargument gegen Zuzug von Ausländern)

1994 Peanuts (Äußerung des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Hilmar Kopper über die 50-Millionen-Ausstände des Betrügers Jürgen Schneider bei Handwerkern)

1995 Diätenanpassung (Beschönigung der Erhöhung von Bezügen für Bundestagsabgeordnete)

1996 Rentnerschwemme

1997 Wohlstandsmüll (Beschreibung Arbeitsunwilliger und Arbeitsunfähiger durch Helmut Maucher vom Nestlé-Konzern)

1998 sozialverträgliches Frühableben (Zitat des Ärztepräsidenten Karsten Vilmar)

1999 Kollateralschaden (Verharmlosung der Tötung von Menschen im Krieg)

2000 national befreite Zone (Zynismus von Rechtsextremisten)

2001 Gotteskrieger (Bezeichnung islamistischer Terroristen)

2002 Ich-AG

2003 Tätervolk

2004 Humankapital

2005 Entlassungsproduktivität

2006 freiwillige Ausreise (bei abgelehnten Asylbewerbern)

2007 Herdprämie (diffamierender Ausdruck für staatliche Unterstützung von Kindesbetreuung zu Hause)

2008 notleidende Banken

2009 betriebsratsverseucht

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