Wagners Rücktritt:Bis zur letzten Sekunde

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Ende und Anfang zugleich: Wolfgang Wagners Rücktritt als Chef der Bayreuther Festspiele macht den Weg frei für eine Neuorientierung im Operngeschäft und die Wiederentdeckung der Anarchie.

Reinhard J. Brembeck

Wolfgang Wagner, Jahrgang 1919, wird von seinem auf Lebenszeit zugesprochenen Posten als Chef der Bayreuther Festspiele zurücktreten. "Hiermit erkläre ich, dass ich die Leitung der Festspiele bis spätestens zum 31. August 2008 niederlegen werde", heißt es in dem Brief vom 28. April, der am Dienstag bei der Sitzung des Stiftungsrats in Bayreuth verlesen wurde. Eine Sensation? Nein, denn trotz seiner jahrelangen Weigerung, diesen Schritt zu vollziehen, war nichts anderes zu erwarten.

Als guter Theatermann allerdings hat Wolfgang mit seiner Erklärung bis zur letzten Sekunde gewartet, hat die Peripetie eines seit Jahren gespielten Dramas geduldig erwartet. Diese Peripetie war nun, lang und sorgfältig geplant, für den vergangenen Dienstag angesetzt. Für den Tag, an dem der Stiftungsrat wieder einmal tagte - jenes Gremium, das für die Festspiele und die Führungsnachfolge zuständig ist.

Im Vorfeld hatten die im Stiftungsrat vertretenen Kräfte Wolfgang Wagner heftig umworben, hatten eine ihm genehme Lösung für die seit Jahren verfahrene Nachfolgefrage suggeriert - die Wolfgang dann dankbar und prompt aufgriff. In nun nicht mehr allzu ferner Zukunft werden aller Wahrscheinlichkeit nach seine beiden Töchter Katharina und Eva das Schicksal der Festspiele bestimmen. Eine Lösung, die nicht nur für Wolfgang Wagner und für den Großteil der im Stiftungsrat vertretenen Fraktionen (Bund, Bayern, Bayreuth, Festspielfreunde, Wagner-Familie) tragbar ist, sondern auch künstlerisch überzeugt. Weil sie den Realitäten eines Festspielbetriebs im 21. Jahrhunderts entspricht.

Neuorientierung

Angesichts seines vorgerückten Alters, angesichts der Tatsache, dass er die neunundzwanzigjährige Katharina (wie zuvor seine vor kurzem gestorbene Frau Gudrun) nicht als Alleinerbin durchsetzen konnte, auch angesichts seiner Aussöhnung mit der dreiundsechzigjährigen Eva, der Tochter aus erster Ehe, hat Wolfgang Wagner sich auf diese Lösung eingelassen. Nur auf den ersten Blick erscheint sie als dynastisch und politisch motiviert. Diese Lösung, die eine Sängerexpertin (Eva) mit einer bekennenden Regietheaterfrau (Katharina) zusammenspannt, markiert vor allem eine Neuorientierung im Operngeschäft, die derzeit in ganz Deutschland zu beobachten ist.

So gehörten die letzten Jahre des 20.Jahrhunderts unverkennbar den konzeptuell denkenden Intendanten, die die Erfahrungen der 68er-Bewegung in die Leitungsgremien der Opernbetriebe trugen. Die beiden prominentesten dieser Macher waren Gérard Mortier als Chef der Salzburger Festspiele und Klaus Zehelein, der bis vor kurzem die Stuttgarter Oper leitete. Deren beste Zeit war glorios, sie boten das beste, intellektuell anspruchsvollste Operntheater des ausgehenden 20. Jahrhunderts, das sich von den vom Musikmarkt vereinnahmten Klassikprofis zu emanzipieren wusste.

Aber: "Alles hat seine Zeit", heißt es beim Prediger Salomo, "und für jedes Vorhaben unter dem Himmel gibt es eine Zeit." Nun ist, nicht nur in Bayreuth, eine neue Zeit drängend heraufgezogen. Die Zeit der Konzepte, wie sie Mortier und vor allem Zehelein vertraten, ist vorbei - Mortiers immer geringer werdender Erfolg, erst bei der Ruhrtriennale und jetzt bei der Opéra de Paris, ist ein starkes Indiz dafür. Genauso spricht dafür das Altern, das Veralten der ersten Generation der Regietheaterregisseure - allen voran Konwitschny und Neuenfels. Nike Wagner aber, die von interessierter Seite gern als Kandidatin für das Bayreuth-Amt ins Spiel gebracht wird, ist eine Vertreterin dieser Zeit und dieser Ideale. Auch ihr vom Programm her nur mäßig attraktives Weimar-Festival belegt dies.

Wiederentdeckung der Anarchie

Was aber kommt jetzt, was muss jetzt kommen? So genau weiß das niemand, obwohl oder weil die Sehnsucht nach einem Neuanfang überall spürbar ist. Katharina hat mit ihren bisher wenigen Inszenierungen kaum stilbildend wirken können, und die Erfolge ihrer Arbeiten sind zudem zu unterschiedlich, um etwas zu verallgemeinern. Eines aber kann man darin erkennen: Hier wird mit der großen Operntradition, die das Bildungsbürgertum ängstlich hütet und mit vielen Tabus umstellt, ganz (angst)frei und erfrischend umgegangen. Das schließt Fehler, Missgriffe, Patzer, Unerträglichkeiten nicht aus. Aber plötzlich zeigt sich, dass die Tradition auch ohne Verteidiger über genug Überlebens- und Verführungskräfte verfügt, um auch opernferne und klassikunbegeisterte Menschen in ihren Bann zu ziehen.

Oper verabschiedet sich derzeit aus vielen Relevanzen, die dem Bildungsbürgertum und/oder den Achtundsechzigern als heilig galten: Werktreue, gesellschaftliches Ereignis, politische Bedeutung. Statt dessen scheinen viele junge Regisseure, dazu zählt auch Katharina, das Anarchistische der Oper wiederzuentdecken, jener Kunstform, die viele Kräfte, Unsummen von Geld und ein Übermaß an Logistik bündelt, um damit das totale Spiel zu entfesseln. Dass dieses totale Spiel keiner jener Vorgaben und Regeln gehorcht, die frühere Generation aus einer Hilflosigkeit dem Golem Oper gegenüber postulierten, ist das Neue an dieser Regiegeneration.

Kontroverse wie relevante Zukunft

Aber so sehr Oper auch zuallererst Theater ist, so sehr ist dieses Theater doch essentiell auf Musik und damit auf Musiker angewiesen. Hier ist Eva Wagner gefragt. Der schon bis zum Überdruss beschworene Werkstattcharakter Bayreuths könnte durch sie tatsächlich neu belebt werden. Schließlich kann es sich dieses Festival als das einzige der großen dieser Welt erlauben (nicht einmal Salzburg kann und darf das), eine Produktion nur mit Newcomern zu besetzen. Das ist eine wundervolle Chance und angesichts der nicht wirklich großen Fülle an guten Wagnersängern geradezu eine Notwendigkeit.

Was die im Raum schwebende Co-Kandidatur des Dirigenten Christian Thielemann und des Managers Peter Ruzicka angeht, so wird der Stiftungsrat gut beraten sein, das Leitungsgremium erstens (aus finanziellen Gründen) nicht unnötig aufzublähen - und zweitens ist es recht fraglich, ob diese beiden für diese Aufgabe geeignet sind. Ruzicka hat sich in Salzburg als Konzeptmann, aber nicht als der große charismatische Macher und Visionär bewiesen, und Thielemann ist zwar ein wunderbarer Wagner-Dirigent, allerdings ästhetisch nicht allzu aufgeschlossen. Warum also nicht zwei Frauen? Das wäre auch ein Zeichen an andere Elitebetriebe, die eigene Besetzungspolitik zu überdenken.

Wolfgang Wagner wird also demnächst zurücktreten, und seine Töchter werden Bayreuth, hoffentlich, in eine so kontroverse wie relevante Zukunft führen. Das ist die große Chance, die dieser Rücktritt mit sich bringt.

© SZ vom 30.04.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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