Vorwürfe gegen Quentin Tarantino:Terror am Filmset

Kill Bill - Volume 2 / Kill Bill - Volume 2; Uma Thurman

Vor dem Crash: Uma Thurman in der Rolle der "Braut" in dem Film "Kill Bill". Auf Wunsch des Regisseurs Quentin Tarantino steuerte sie den Wagen selbst - und fuhr gegen einen Baum.

(Foto: ddp images)
  • Die Schauspielerin Uma Thurman hat dem Regisseur Quentin Tarantino vorgeworfen, sie bei einem Stunt zum Film "Kill Bill" in Gefahr gebracht zu haben.
  • Tarantino bezeichnet den Dreh mittlerweile als Fehler, den er sich nicht verzeihen könne.
  • Auch die Schauspielerin Rose McGowan kritisierte die Arbeitsbedingungen unter Tarantino.

Von David Steinitz und Tobias Kniebe

Es ist einer der größten Fehler meines Lebens, dass ich sie diesen Stunt habe machen lassen." Das sagt der Regisseur Quentin Tarantino heute über eine Szene seines Films "Kill Bill", die ihm gerade um die Ohren fliegt.

Das Geständnis folgt auf eine Geschichte der New York Times über seine damalige Hauptdarstellerin Uma Thurman. Die 47-Jährige hatte mit der Zeitung zunächst darüber gesprochen, dass auch sie, wie viele Kolleginnen, vom Filmproduzenten und Tarantino-Weggefährten Harvey Weinstein brutal sexuell belästigt worden sei. Unter anderem habe er sie in einem Hotel in London attackiert. Diese Vorwürfe gerieten dann aber aufgrund einer anderen Geschichte, die sie der Journalistin Maureen Dowd erzählte, fast in den Hintergrund.

Zwei Tage schwieg Tarantino zu den Vorwürfen, dann rechtfertigte er sich in einem Interview

Thurman sagte, sie habe sich bei einem Autostunt während der Dreharbeiten zu "Kill Bill", bei dem sie gegen einen Baum fuhr, an Hals und Knien bleibende Schäden zugezogen. Als besonders traumatisierend habe sie erlebt, dass sie die Szene nicht drehen wollte, weil sie ihr gefährlich erschien, aber Tarantino trotzdem darauf bestand. Hinterher habe sie von der Produktionsfirma das Filmmaterial eingefordert, das den Crash zeigt. Das wurde über Jahre abgeblockt, jetzt aber steht das Video im Netz. Die New York Times berichtet außerdem, Tarantino habe in Großaufnahmen, in denen Thurman als "die Braut" bespuckt und gefoltert werden sollte, persönlich eingegriffen, man sehe auf der Leinwand seine Spucke und seine würgenden Hände. Daraufhin brach in den sozialen Netzwerken ein Shitstorm gegen den Regisseur los und feuert nun eine Debatte über die Arbeitsbedingungen an Filmsets auch jenseits der Diskussionen um sexuelle Belästigungen neu an.

Dass Regisseure ihre Vision über das Wohl ihrer Mitarbeiter stellen, ist kein neues Phänomen. Alfred Hitchcock war der Meinung, man müsse "Schauspieler wie Vieh behandeln". Auch anderen Star-Regisseuren wie Stanley Kubrick oder William Friedkin wird nachgesagt, dass sie Schauspielerinnen auf der Jagd nach der perfekten Szene in psychische oder physische Extremsituationen trieben, die bleibende Schäden zur Folge hatten. Die Aufdeckung des "Kill Bill"-Vorfalls fällt nun aber in die aktuelle Debatte über Machtmissbrauch und den Umgang von Männern mit Frauen, in der alte Ausreden nicht mehr zählen.

Der Video-Ausschnitt vom "Kill Bill"-Dreh

Zwei Tage schwieg Tarantino zu den Vorwürfen, bis er am Montagabend dem Medienmagazin Deadline ein langes Interview gab. Darin bezeichnet er den Dreh der Szene als Fehler, den er sich nicht verzeihen könne. Er möchte aber trotzdem ihre Entstehung detailliert beschreiben, um klarzustellen, dass er Thurman niemals in eine gefährliche Situation habe zwingen wollen: "Ich bin schuldig, weil ich sie in das Auto gesetzt habe, aber nicht auf die Art, wie die Leute jetzt glauben, dass ich schuldig bin." Es sei um eine Aufnahme gegangen, die gar nicht als Stuntszene deklariert war, weil es sich um eine ganz gewöhnliche Autofahrt gehandelt habe. Thurmans Bedenken hätten ihn vielleicht "irritiert", er sei aber nicht wütend geworden. "Ich bin nicht in Umas Wohnwagen gerannt und habe sie angeschrien, dass sie ins Auto steigen soll."

Stattdessen sei er die zu fahrende Strecke selbst abgegangen, habe sie für sicher befunden und das Thurman mitgeteilt, die daraufhin ins Auto gestiegen sei. Die einzige Planänderung sei gewesen, dass man aufgrund des schwindenden Tageslichts die Fahrtrichtung gewechselt habe, um das Licht optimal zu nutzen. Und da sei am Ende der Strecke dann jene S-Kurve aufgetaucht, die Thurman von der Straße abbrachte.

Was für eine Männerfantasie: das eine Bein ein Gewehr, das andere im Stiefel mit Riesenabsatz

Das Filmmaterial, das nun im Netz kursiert, hat Tarantino ihr nach eigener Aussage persönlich und freiwillig ausgehändigt, nachdem eine Assistentin lange in den Archiven danach gesucht habe. Auch von dem Artikel in der New York Times habe er vorab gewusst, Thurman und er hätten darüber gesprochen und er habe sie dazu ermutigt. Gegen die Vorwürfe, Thurman beim Dreh bespuckt und gewürgt zu haben, rechtfertigt er sich mit künstlerischen Argumenten - sie sei nun mal in ihrer Rolle bespuckt und gewürgt worden. Sein einziger Fehler sei gewesen, sich nicht - wie von Thurman gefordert - ebenfalls mit der Reporterin der New York Times zu treffen, um seine Perspektive zu schildern. Deshalb müsse er nun "alle Prügel einstecken".

Die Tendenz, die eigenen Obsessionen über das Wohl der Mitarbeiter zu stellen, ist keine Ausnahme

Zumindest, was die Herausgabe des Filmmaterials betrifft, ist Thurman ihrem Regisseur mittlerweile zur Seite gesprungen. In einem Instagram-Post erklärte sie am Montag, sie mache für die Art und Weise, wie nach dem Unfall mit ihr umgegangen worden sei, nicht ihn, sondern allein die Produzenten um Harvey Weinstein verantwortlich. Auch das Spucken und Würgen wirft sie ihm nicht persönlich vor, das berichteten in der New York Times nur andere Crew-Mitglieder.

Trotzdem scheint die Tendenz, die eigenen Interessen und Obsessionen über das Wohl der Mitarbeiter zu stellen, im Tarantino-Weinstein-Kosmos keine Ausnahme gewesen zu sein. Das zeigt eine Geschichte über den Filmemacher und Tarantino-Kumpel Robert Rodriguez, geschildert von der Schauspielerin Rose McGowan.

Auf Twitter brachte sie vor ein paar Monaten Harvey Weinsteins Entmachtung ins Rollen. Nun berichtet sie in ihrem vor wenigen Tagen erschienenen Enthüllungsbuch "Brave" neue Details aus ihren Erfahrungen mit den Regisseuren. Im Jahr 2007 stand sie für "Grindhouse" vor der Kamera, ein Double-Feature von Tarantino und Rodriguez, ihrem damaligen Lebensgefährten. Ihre Figur Cherry ist einbeinig, und statt einer Prothese trägt sie ein an ihren rechten Beinstumpf montiertes Maschinengewehr, dazu am anderen Bein einen Stiefel mit Zehn-Zentimeter-Absatz.

Zur Komplettierung der absurden Männerfantasie sollte sie in dieser Montur an einem Drehtag eine "Backbend-Brücke" über eine andere Schauspielerin hinweg machen. Nach McGowans Aussage trieb Rodriguez sie an, ihren Rücken trotz der Beinprothese immer stärker zu krümmen. "Höher, höher", verlangte er - bis McGowan in ihrem Arm ein Reißen spürte, gefolgt von einem stechenden Schmerz. Die spätere Diagnose ergab einen schweren Nervenschaden und eine teilweise Lähmung ihres Arms, aber zunächst wurde der Dreh nicht einmal unterbrochen. Zudem habe sich Rodriguez später geweigert, die medizinischen Kosten seiner Filmversicherung aufzubürden - McGowan sagt, sie musste alles aus eigener Tasche bezahlen.

Nach dem Unfall am Set habe sie die Arztkosten selbst bezahlen müssen, sagt Rose McGowan

Glaubt man diese und weitere Geschichten in "Brave", wie Rodriguez und Tarantino sich am Set aufgeführt hätten, handelte es sich wirklich um einen "Planet Terror" - so der Episodentitel aus "Grindhouse". Als Liebhaber war Rodriguez laut McGowan rasend eifersüchtig. Einmal schleppte er einen Lügendetektor in ihren Trailer, um sie zu verhören. Er hatte den Verdacht, sie hätte sich in Tarantino verliebt. Dieser wiederum erzählte ihr, er habe eine ihrer Szenen aus dem Film "Jawbreaker", in der ihre nackten Füße zu sehen sind, "unzählige Male benutzt".

"Lassen Sie mich das in Klartext übersetzen", schreibt McGowan sarkastisch. "Tarantino hat einen bekannten Fußfetisch, nackte Füße erregen ihn. Das heißt also, dass er beim Anblick meiner nackten jungen Füße masturbierte und mir davon lauthals erzählte, immer wieder, vor vielen anderen - als sollte ich kleines, lustiges Ding dankbar sein, dass er mir seinen vergoldeten Samen gespendet hatte, so viel wertvoller als jeder andere Samen auf der Welt."

Bislang haben sich Tarantino und Rodriguez mit Entschuldigungslitaneien ganz gut als Täter aus der "Me Too"-Debatte heraushalten können. Ob das nach den neuen Vorwürfen so bleibt - und ob die neue Diskussion über Arbeitsbedingungen an Filmsets wirklich etwas bewirkt - bleibt abzuwarten.

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