Vortragsreihe:Reform oder Resignation

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Eine ambitionierte neue Reihe der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung untersucht die Zukunft der Demokratie im internationalen Maßstab. Zum Auftakt ging es um die "Politisierung von Differenz" in der arabischen Welt.

Von Johan Schloemann

Das klingt immerhin so, als hätte sie noch eine: "Die Zukunft der Demokratie". So heißt eine ambitionierte neue Reihe der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung in München. Sie soll bis zur heißen Phase des Bundestagswahlkampfes reichen, demokratietheoretisch aber, so die Hoffnung, darüber hinaus - auch mit Reformvorschlägen, die gegen Populismus und Aushöhlung der Staatsform helfen könnten.

Bis Mitte Juli werden unter anderen der Politikwissenschaftler Herfried Münkler (bekannt), der Philosoph Peter Sloterdijk (berühmt) oder der Staatsrechtler Horst Dreier (mindestens so bedeutend) vortragen und diskutieren, letzterer an diesem Dienstag. Geplant wurde das Ganze lange vor "Brexit, Trump, Erdoğan", wie die inzwischen schon fast automatisierte Gegenwartsumschreibung heute lautet; aber zuvor war ja auch schon genug Krise, besonders, was den Zustand der Demokratie im internationalen Maßstab angeht.

Man kann nur hoffen, dass der erste Vortrag in dem distinguierten Gelehrtenforum am Nymphenburger Schlossrondell nicht für alle weiteren den Ton angegeben hat. Sonst sähe es ziemlich hoffnungslos aus für die (repräsentative) Herrschaft der Mehrheit, die mit einem liberalen Rechtsstaat einhergehen muss, um den hohen Namen einer modernen Demokratie zu verdienen. Es sprach nämlich zu Beginn der Historiker Dan Diner über das Scheitern des Arabischen Frühlings.

Diner, der in Leipzig und in Israel gelehrt hat, hatte vor zwölf Jahren in dem Buch "Versiegelte Zeit. Über den Stillstand in der islamischen Welt" vor allem die Religion und eine versäumte Säkularisierung als Demokratiehindernis ausgemacht. In der Zwischenzeit hat keine der Volkserhebungen in Nordafrika und Nahem Osten eine Demokratie hervorgebracht, geschweige denn eine stabile, mit Ausnahme vielleicht von Tunesien, von wo die Protestbewegungen im Jahr 2010 ausgingen.

Nun aber unternahm Dan Diner eine historisch weit ausgreifende Fallstudie über Syrien und Ägypten, die sich nicht nur auf die Frage des Islams fixierte. Während in Ägypten das Militär trotz revolutionären Intermezzi seine alte Macht wiedererlangte und damit - bei allen Umbrüchen - an eine jahrtausendealte Tradition staatlicher, bürokratischer Herrschaft angeknüpft hat; während jetzt in Kairo machtpolitisch bedingte Kompromisse zwischen Staatsapparat und religiöser Rechtsauslegung versucht werden, liegen die Dinge in Syrien ganz anders: Eine Minderheit - die Alawiten des Assad-Staates, auch in Kollaboration mit der christlichen und der drusischen Minderheit - hat gegen die große sunnitische Mehrheit (70 Prozent des Landes) die Fiktion einer gemeinsamen säkularen Nation durch Unterdrückung durchgesetzt. Und nun kämpft sie im Bürgerkrieg gegen wachsende Islamisierung, aber zugleich als brutale Staatsmacht ums nackte eigene Überleben. Die Gegensätze der Volksgruppen, die vorher von künstlichem Zusammenhalt teils verdrängt, teils auch wirklich abgefedert oder bezwungen waren, brechen erbarmungslos auf.

Wie prekär die liberale Ordnung ist, damit versucht das politische Denken wieder klarzukommen

So unterschiedlich beide Fälle sind: Die westliche oder vom Westen inspirierte Vorstellung vom modernen Territorialstaat, dann auch von Verfassung und Demokratie, die gleichsam unnatürliche Erwartung an Homogenität und Gleichheit der Bürger haben laut Dan Diner der arabischen Welt eine ungewohnt scharfe "Politisierung von Differenz" beschert - und damit viel Unfrieden in Gesellschaften, die von ihrem Herkommen her eigentlich wenig prinzipienfreudig, wenig republik- und demokratiefähig seien.

Da zeigte sich indessen das Problem von Dan Diners Ansatz: Zwar kann man über die Hintergründe der aktuellen Konflikte und Regimes von ihm wirklich sehr viel Wichtiges lernen, von der Kolonial- über die Rechts- bis zur Ideengeschichte; zwar kann man seinen ernüchternden Befund über den Jetztzustand natürlich schwer bestreiten. Aber wer derart gründlich auf alte religiöse, verwaltungstechnische oder kulturelle Traditionen verweist, die so prägend wirksam seien und die kaum abgelegt werden könnten, dessen Lehre droht am Ende dann doch auf einen finsteren historischen Determinismus hinauszulaufen, wenn nicht Fatalismus. Für wie demokratiefähig hielt man denn Frankreich um 1770, Deutschland um 1810, Indien um 1900?

Schließlich werden die kommenden Vorträge der Münchner Demokratie-Reihe die Krise dieser Staatsform ja gerade auch im Westen zu sezieren haben. Sicher, ein paar Rechtspopulisten in einem reichen Land machen noch keinen Bürgerkrieg und keine Diktatur. Aber wie prekär die liberale Ordnung ist, welche Schwierigkeiten die Abstraktion der Nation auch in Europa und Amerika macht (und in Israel), welcher Streit zwischen Gemeinsinn, "Leitkultur" und purer Verfassungstreue entbrennt - damit versucht das politische Denken gerade wieder klarzukommen. Da ist es durchaus mutig zu nennen, dass man wie zur Veranschaulichung dieser Konflikte auch den an sich hochinteressanten Althistoriker Egon Flaig zum Vortrag in die Siemens-Stiftung eingeladen hat - einen Mann, der sich zuletzt mit Attacken gegen Lügenpresse und Islam zu einer Art von Xavier Naidoo unter den Geschichtsprofessoren entwickelt hat.

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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