Vorträge:Geister des Kommunismus

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Das "Festival über das revolutionäre Jahrhundert" kombiniert eine Lesung von Oskar Maria Graf mit Vorträgen über den Kommunismus als Pose und die Paradise Papers.

Von Meredith Haaf

Wenn man einmal anfängt, darüber nachzudenken, kann einem der Geist der Geschichte schon einen kalten Novemberschauer den Rücken hinunterrieseln lassen. Im Münchner Haus der Kunst wurde dieser Tage Oskar Maria Grafs "Wir sind Gefangene" gelesen, Anlass war das "Festival über das revolutionäre Jahrhundert", das gemeinsam mit den Kammerspielen dort veranstaltet wird. Es ist ja genau 99 Jahre her, dass Oskar Maria Graf durch die Münchner Straßen stromerte, immer auf der Suche nach dem, was man heute "die Action" nennen würde.

In der Rückschau erscheint es schon verrückt: Hätte die Republik ihre Probleme überwunden und hätte es kein Massaker an der Arbeiterbewegung gegeben - vieles wäre historisch wohl anders gekommen. Stattdessen kamen die Nationalsozialisten an die Macht und bauten sich das heutige Haus der Kunst. Und dann trifft man sich dort 99 Jahre später, um sich mit den "Spectres of Communism" zu beschäftigen, den "Gespenstern des Kommunismus".

Über drei Tage erstreckte sich der Hauptteil des Festivals, das an diesem Dienstag mit einem Abend zu den Paradise Papers endet. Doch was hat der Kommunismus in einer Kunsthalle zu suchen? Das indische Künstlerkollektiv Raqs Media Collective gestaltete mit Gästen aus China, Indien und Großbritannien immerhin einen Teil des Festivals. "Wir interessieren uns für die Revolution, die in den Details stattfindet, im Alltag zwischen den Menschen", erklärte Jebbesh Bagchi. Die chinesische Künstlerin Quingmei Yao performte die Gaga-Logik eines totalitären Regimes: In einem materialaufwendigen "Vortrag" führte sie das Hammer-und-Sichel-Symbol anhand vorgeblicher archäologischer Funde bis in das frühe Kaisertum zurück und schloss das Ganze mit einem irrwitzigen Gedicht über den Vorsitzenden Mao und seine Peniskraft ab. Im achtstündigen "Caste-Pital" setzte sich Sajan Mani mit der Frage auseinander, warum das indische Kastensystem so resistent gegen Klassensolidarität ist. Sein halb nackter Körper im Raum schien all die Erniedrigung und die Einsamkeit der sozialen Hierarchie zu tragen, die Unerreichbarkeit menschlicher Gleichheit. Und der 72-jährige Brite Adrian Rifkin referierte melancholisch über seine lebenslange Liebe zu Gorki, Lenin und Beethovens Appassionata. Er sprach über seine ästhetische Entscheidung für die Arbeiterklasse und den Kommunismus als Pose, die er als "schwuchteliger, bürgerlicher Intellektueller" erlernen musste. Hier entspann sich ein Austausch über die Spuren, welche die Idee des Kommunismus auf der ganzen Welt hinterlassen hat, als Regime, als Enttäuschung, als Geste.

Adrian Rifkin nannte sein Engagement eine ästhetische Entscheidung, eine Pose

So eine Veranstaltung hob sich ab von Podien, auf denen sich die Kulturwissenschaftlerin Anke Hennig und die Filmemacherin Claudia von Aleman gegenseitig aus Scripts vorlasen, deren Abstraktionslevel für Fachfremde undurchdringlich war. Claudia von Alemans Film "Es kommt darauf an, sie zu verändern" (1973) war dagegen ein warmes Dokument, in dem Fabrikangestellte über Arbeitskampf sprechen - so könnte es also aussehen, wenn man Revolution nicht als reines Diskurselement behandelt. Mit dem klassischen Revolutionsbegriff hatte das wenig zu tun. Aber wenn man Grafs "Wir sind Gefangene" liest, fällt auch auf, dass eine Revolution vielleicht nicht die Sache von Leuten ist, die zum Zuhören, Betrachten und Nachdenken neigen. Bei Graf geht es nie um Utopien und Ideale. Seine Revolution war eine der Rastlosigkeit: "Es ist schon gut, dass immer Unruhe ist... Immer muss Revolution sein!" Die Kunsthalle ist nicht unbedingt der schlechteste Ort für den Kommunismus, das hat "Spectres of Communism" gezeigt. Aber die Revolution wird von dort nicht kommen.

Die Abschlussveranstaltung "Die Paradise Papers - In der Schattenwelt globaler Geldströme", ein Werkstattgespräch mit Wolfgang Krach, Nicolas Richter, Vanessa Wormer und dem Steuerexperten Burkhard Lohmann moderiert von Karsten Fischer vom Geschwister-Scholl-Institut, findet am Dienstag 21. November, 20 Uhr, in der Kammer 1 statt.

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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