Vorschlag-Hammer:Zeitenwenden

Der Blick auf Vergangenes lässt mitunter Rückschlüsse auf Zukünftiges zu - und erzählt ganz nebenbei, wenn man gut aufpasst, auch noch etwas über das Hier und Heute

Kolumne von Antje Weber

"Alles war Krachen und Tosen und heulende Nacht." Dieser Satz musste jetzt endlich geschrieben werden. Eigentlich hätte er bereits vor Tagen in der Süddeutschen Zeitung stehen sollen, glaubt man einem Eintrag auf der Webseite des in der Regel gut informierten Literaturportals Bayern. Unter der Rubrik "Nachlässe" wird dort der Schriftsteller Rick Fürstenbrodt von Fix-Sarg vorgestellt, verschollen nach einem umjubelten, angeblich von der SZ dokumentierten Auftritt auf einer Tagung über Netzliteratur.

Alles echt, alles Fiktion? Das Literaturfest zu diesem Motto ist zwar inzwischen vorbei, doch diese Frage wird man schon mal wieder stellen dürfen. Die Antwort ist in diesem Fall eindeutig: Bei Rick Fürstenbrodt von Fix-Sarg handelt sich um eine virtuelle Spielerei am Ende der realen Tagung "Screenshots" im Literaturhaus in der vergangenen Woche. Einer Tagung an den Schnittstellen zwischen Vergangenheit und Zukunft, bei der es um neue Literatur im Internet ging und damit eher um kleine Formen statt großer Romane. Eine literarische Revolution wurde allerdings nicht ausgerufen: Als "Übergangszeit" bezeichnete vielmehr Lektor und Autor Florian Kessler in der Abschluss-Diskussion die gegenwärtige Situation in der Szene, in der "produktive Vielfalt" herrsche. Nach Mikrotexten sind im Literaturhaus jetzt dementsprechend wieder mal die dicken Bücher dran, zum Beispiel beim Historischen Quartett an diesem Donnerstag (20 Uhr). Wobei man auch in dieser vergangenheitssüchtigen Runde diesmal die Zukunft im Blick hat - unter anderem werden Ute Daniel, Martin Schulze Wessel, Andreas Wirsching und ihr Gast Armin Nassehi über Joachim Radkaus "Geschichte der Zukunft" diskutieren und damit über "Prognosen, Visionen, Irrungen" in Deutschland seit 1945.

Doch auch die fernere Vergangenheit wird an diesem Abend Thema sein, anhand eines Buchs von Daniel Schönpflug über das Jahr 1918 zum Beispiel. Und da derzeit ein Werk nach dem anderen vorgestellt wird, das sich dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Münchner Räterepublik widmet, hier eine garantiert nicht irrende Prognose: Dieses Jubiläum wird uns im nächsten Jahr noch intensiver beschäftigen. Wer sich damit schon jetzt auseinandersetzen will, der kann im Stadtmuseum beginnen: Die Ausstellung über den Revolutionär und Ministerpräsidenten Kurt Eisner ist bis 14. Januar verlängert; man braucht allerdings Geduld und am besten auch etwas Vorwissen, um mit der dort gebotenen Materialfülle zurechtzukommen. Das dürfte bei der Ausstellung Blumenkinder von Stefan Moses (Literaturhaus, 20. Dezember bis 25. Februar) etwas einfacher sein: Der bald 90 Jahre alte Münchner Fotograf präsentiert Bilder aus der Zeit um 1968 - noch so eine epochale Zäsur, die es im kommenden Jahr rückblickend neu zu bewerten gilt. Und so eilen wir weiter durch die Zeiten; im Versuch, die Vergangenheit zu verstehen, die Zukunft zu erahnen - und die Gegenwart nicht zu vergessen, in ihrem Krachen und Tosen.

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