Vorschlag-Hammer:Wunder planen

Wunder gibt es immer wieder. Sogar geplante, wie Nora Gomringer als Siegerin des diesjährigen Bachmann-Preises in Klagenfurt aufs Schönste vorgeführt hat

Von Antje Weber

Als ich jüngst einmal durch die Paul-Heyse-Straße radelte, sah ich am Eingang der Schauspielschule Zerboni ein Schild: "Plane ein Wunder". Es war fast Mitternacht, doch die Temperaturtafeln zeigten satte 24 Grad - das sei nur nebenbei erwähnt, um es festzuhalten, bevor die Sommerhitze bald wieder als ein Wunder aus einer Münchner Vergangenheit gelten wird, an die wir uns nur schemenhaft erinnern (ja, Patrick Modiano lesen heißt lernen für immer). Plane ein Wunder: Ist das ein gutes Motto für angehende Schauspieler, die schon auf ein sehr großes Wunder hoffen müssen, wenn sie berühmt werden wollen? Der Spruch - dem noch ein "Sei realistisch" vorangestellt werden kann - wird im Internet wahlweise dem indischen Guru Osho oder dem deutschen Theater-Guru Christoph Schlingensief zugeschrieben. Als elender Realistin fällt mir dazu leider gleich Bert Brechts "Dreigroschenoper" ein: "Ja, mach nur einen Plan /sei nur ein großes Licht /und mach dann noch 'nen zweiten Plan /gehn tun sie beide nicht."

Und doch, und doch: Wunder gibt es immer wieder. Sogar geplante, wie Nora Gomringer als Siegerin des diesjährigen Bachmann-Preises in Klagenfurt aufs Schönste vorgeführt hat. An Wunder glaubt vermutlich auch Uday Prakash, sonst hätte der indische Autor und Filmproduzent längst resigniert. Immer wieder prangert er in seinen Werken Umweltzerstörung, Korruption und soziale Ungleichheit an; am 16. Juli liest er im Alpinen Museum seine "Geschichten von der Schattenseite der Macht". Um letztlich das gleiche Thema geht es am selben Abend im Literaturhaus, wo das Revolutionstagebuch von Victor Klemperer vorgestellt wird. Er beobachtete die Münchner Wirren nach dem Ersten Weltkrieg, als Erich Mühsam und Kurt Eisner auf ein politisches Wunder warteten und nur ein blaues bekamen.

Und planen wir alle nicht in unserem sehr viel unbedeutenderen Alltag immer wieder vor uns hin, in der Hoffnung, dass es glücken möge? Zum Beispiel plane ich, an diesem Samstag, 11. Juli, um 19 Uhr vor meinem Laptop zu sitzen. Um den Live-Stream der Bayerischen Staatsoper anzusehen und anzuhören, um mir eine Meinung zu Richard Strauss' "Arabella" bilden zu können. Das Staatsopern-TV ist wirklich ein überaus großzügiges Angebot, Kultur genießen zu dürfen, ohne dabei sein und bezahlen zu müssen. Allerdings stellt so ein Live-Stream den Menschen vor nicht unerhebliche Herausforderungen. Bei "Paquita" vor einigen Monaten zum Beispiel bekam ich auf meinem alten Computer nur den Ton hin, aber kein Bild, was mich fast zu einer Arie des Wahnsinns hinriss. Auf einem anderen Laptop klappte es schließlich, allerdings war da schon der halbe Ballettabend rum. Egal, ich werde wieder unverdrossen mit den Tücken der Technik kämpfen und an das Gelingen glauben. Wie schrieb der weise Jean Paul: "Das größte unzerstörbare Wunder ist der Menschenglaube an Wunder."

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